Buch der Woche

Stifters Rosenhaus

Adalbert Stifters Roman „Der Nachsommer“, erschienen im Jahre 1857, ist insbesondere im 20. Jahrhundert von zahlreichen Architekten intensiv rezipiert worden. Grundlage für dieses Interesse ist die von Stifter minutiös beschriebene fiktive Architektur des „Rosenhauses“, welches der Ich-Erzähler des Buchs, Heinrich Drendorf, auf der Suche nach Schutz vor einem Gewitter auf einer Wanderschaft entdeckt. Der Name „Rosenhaus“ gründet dabei auf der eindrucksvollen Erscheinung des unteren Stockwerks, das „über und über mit Rosen bedeckt“ ist. Uwe Bresan (*1980) liefert nun in seiner Publikation „Stifters Rosenhaus – Eine literarische Fiktion schreibt Architekturgeschichte“ eine ausführliche Rezeptionsgeschichte des Romans.

Dass Stifters „Nachsommer“ überhaupt überdauern und nicht in Vergessenheit geraten würde, war im 19. Jahrhundert keinesfalls zu erwarten. Nachdem das Buch 1857 zunächst floppte, war es vermutlich Friedrich Nietzsches lakonischer Literaturkritik in der Schrift „Menschliches, Allzumenschliches“ zu verdanken, dass man ihm wieder Beachtung schenkte: Nietzsche beschrieb den „Nachsommer“ hier als eine der wenigen beachtenswerten deutschsprachigen Prosaliteraturen. Da die Nietzsche-Rezeption erst Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt eintrat, wurde auch Stifters Buch erst mit dieser Verzögerung wieder wahrgenommen.

Obwohl der Roman mit drei Bänden recht umfangreich ist und sich dabei laut Bresan sowohl „durch das Fehlen jeglicher Ereignishaftigkeit“ als auch durch „emotionslose Beschreibungen und (…) langatmige Darstellungen“ auszeichnet, gehörte er seit dieser Wiederentdeckung zum Kanon der bürgerlichen Bildungsromane. Zu den entscheidenden Qualitäten des Buchs zählen für Bresan jedoch „die ausführlichsten und weitschweifigsten Beschreibungen verschiedenster Sitten und Rituale des Bürgerlichen“, mit denen Stifter eine „Moral und Ethik des Bürgerlichen“ zu begründen gesucht habe.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde Stifters Roman besonders im Kontext der sogenannten „Lebensreform“-Bewegung sowie den Reformbestrebungen auf dem Gebiet des Kunstgewerbes aufgegriffen. Der „Nachsommer“ war etwa für den an der Gründung des „Werkbundes“ beteiligten Schriftstellers Joseph August Lux, der – ausgehend von der Architektur und dem Kunsthandwerk der Biedermeierepoche – sein Ideal einer reduzierten, zweckmäßigen Architektursprache entwickelte. Stifter lieferte ihm mit seinen detaillierten Beschreibungen des „Rosenhauses“ ein Vorbild, dass sich durch eine klare und einfache Außengestaltung sowie eine kunsthandwerklich anspruchsvolle, aus den Qualitäten hochwertiger Materialien entwickelte Ausstattung auszeichnet. Gerd de Bruyn fasste einmal Stifters Architekturbeschreibung so zusammen: Es „versammeln sich einzelne Räume und ihre Funktionen, Farben, Materialien und Möbel etc. zu einem Musterkatalog jener Moderne, die wir die ‚gemäßigte‘ nennen.“

Dass die Bedeutung von Stifter als „Prophet des 20. Jahrhunderts“ bisher weitgehend unterschätzt wurde, schreibt Bresan einer zu einseitig ausgerichteten Architekturgeschichtsschreibung zu, die als Impulsgeber für frühe moderne Bewegungen in Deutschland vor allem das freiheitliche England und Geister wie William Morris betrachtet, andere Einflüsse aber negierte. Diese eindimensionale Perspektive, die Bresan in besonderem Maße dem Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner zuschreibt, habe den Blick auf Stifter als Einflussgeber der frühen Moderne verstellt und müsse korrigiert werden.

Bresans These in Bezug auf die unterschätzte Wirkkraft von Stifters „Nachsommer“ ist durchaus schlüssig, allerdings fragt man sich bisweilen, warum der Autor immer wieder auf Verknüpfungen zwischen dem „Nachsommer“ und der architektonischen „Avantgarde“ oder auch dem Bauhaus pocht. Er untermauert dies mit der Feststellung, dass ein „polemisch geführte(r) Architekturdiskurs (…) zuweilen die gemeinsame Entwicklung von traditionalistischer und rationalistischer/funktionalistischer Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ verdecke. Als Beweisführung, dass es „Verbindungslinien zwischen den Idealen Stifters und den Bestrebungen des Bauhauses“ gibt, führt Bresan zudem den Architekten Theodor Fischer an, der Lehrmeister vieler bekannter Architekten der Moderne (wie Bruno Taut, Ernst May und Erich Mendelsohn) war und sich in seinem Lehrprogramm in besonderem Maße auf Stifter und den „Nachsommer“ bezog. Allerdings ist die nachfolgende Rezeption Stifters vor allem bei jenen Schülern Fischers nachzuweisen, die eine eher konservativ geprägte Architekturauffassung vertraten; allen voran die prägenden Figuren der „Stuttgarter Schule“ Paul Schmitthenner und Paul Bonatz. Der Konnex zum Bauhaus scheint somit etwas konstruiert.

Interessante Seitenschwenks bietet Bresan auch mit der Suche nach einem realen Vorbild für die Fiktion des „Rosenhauses“, die schließlich zu Goethes Gartenhaus in Weimar führt oder auch in seinen Darlegungen, wie Motive aus Stifters „Nachsommer“ in nicht zu unterschätzendem Maße in deutsche Trivialliteratur einflossen. So ist Bresans Publikation insgesamt und in Anbetracht der sehr regen und andauernden Rezeption von Stifters „Nachsommer“ als bedeutsame Arbeit zu werten und dabei eine anregende und unterhaltsame Lektüre.

Elina Potratz

Uwe Bresan: Stifters Rosenhaus – Eine literarische Fiktion schreibt Architekturgeschichte, 248 S., Verlagsanstalt Alexander Koch, Leinfelden-Echterdingen 2016, ISBN: 9783871819063

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