Buch der Woche: Lebensform Stadt

Unlustiges Taschenbuch

Im Januar 2016 fand am Starnberger See die Tagung „Lebensform Stadt“ statt. Subthema des gemeinsam vom Bund Deutscher Architekten und der Evangelischen Akademie Tutzing veranstalteten Diskussionsforums war damals „Der Mensch als unbekanntes Leitbild“ (siehe: der architekt 1/16, S. 72-75). Der Arbeitskreis Stadtplanung im BDA und die Evangelische Akademie konzipierten die zweitägige Veranstaltung als Abfolge von drei Begriffspaaren: „Gemeinsinn und Individualität“, „Inspiration und Leidenschaft“ sowie „Planung und Improvisation“.

Auch das nun vorliegende Themenheft von Ausdruck und Gebrauch trägt den Titel „Lebensform Stadt“. Und tatsächlich ist das kein Zufall. Gemeinsam mit dem BDA hat Herausgeber Achim Hahn die Beiträge der Tutzinger Tagung nun gebündelt, um einige weitere Texte ergänzt und im Reigen der von ihm an der TU Dresden publizierten Schriftenreihe veröffentlicht. Wie schon die Tagung zeichnet sich auch die jetzt vorliegende und erweiterte Dokumentation durch den Blick auf das urbane Leben aus, der sich dem Phänomen Stadt von unterschiedlichen Seiten und mit verschiedenen Blickwinkeln nähert. Der Begriff „Zeitschrift“ ist hier jedoch irreführend. Ausdruck und Gebrauch kommt im gleichen Format daher wie das inhaltlich in der Regel nicht ganz so angereicherte „Lustige Taschenbuch“, in dem der Ehapa-Verlag seit 1967 aus dem Universum von Donald Duck und Micky Maus erzählt. Tatsächlich also ist auch die 13. Ausgabe der „Zeitschrift“ mehr Buch als Magazin.

Herausgeber Hahn hat der Publikation „Lebensform Stadt“ eine andere Gliederung gegeben. So macht den Aufschlag nach einem Editorial zwar auch hier Erwien Wachter, ihm folgt dann aber die Darmstädter Professorin für Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebensführung, Cornelia Koppetsch. Sie attestiert, dass das Leben an sich zwar sicherer geworden sei, eine Form genereller Angst aber bliebe und sich gewissermaßen andere Bereiche suche. Untersuchungen wie etwa die Shell-Studie zeigten, dass einer ganzen Generation von Menschen Sicherheit und Geborgenheit derzeit wichtiger sei als Freiheit und persönliche Selbstbestimmung. In der Stadt, so Koppetsch, stünden sich unterschiedliche antagonistische Gruppen gegenüber: gemeinsam ist ihnen  der Wunsch nach Erhaltung und Festigung der Grenzen um das eigene Habitat. Auch das linke Bildungsbürgertum könne sich, so eine Vermutung Koppetschs, die eigene Toleranz gegenüber Flüchtlingen nur deshalb leisten, weil es letztlich eben doch nicht mit diesen um Wohnraum und Arbeitsplätze konkurrieren müsse.

Michael Hirsch legt Thesen vor zu einer anderen Aufteilung von Raum, Zeit und sozialer Praxis – mithin eine Anleitung zu einer „anderen städtischen Lebensform“. Das Manko des zu geringen Miteinanders macht der Autor und Privatdozent für Politische Theorie und Ideengeschichte der Universität Siegen an der Überlastung der Menschen durch Gelderwerb fest. Folgt man Hirsch, so kann keine relevante und die Stadt voranbringende kulturelle Arbeit geleistet werden. Er plädiert folglich dafür, Planstellen jeglicher Art künftig nur noch doppelt zu besetzen, auf dass jeder Einzelne Zeit zur Erholung sowie dem Entwickeln und Ausleben kreativer Potentiale finde. Das Geld dafür könne beispielsweise aus einem Modell für ein bedingungsloses Grundeinkommen stammen. Klar sei dabei aber, dass das nicht ohne Umverteilungen und damit mit Einbußen derer vonstatten gehen könne, die viel mehr haben als die meisten anderen.

Christopher Dell, der in Tutzing noch in einer Doppelrolle als Theoretiker und Vibraphonist den musikalisch furiosen Abschluss der Tagung bestritt, kommt hier nun ausschließlich schriftlich zu Wort. Er schildert seine Idee der Übertragung des Prinzips der Improvisation auf das Bauen. Dabei macht der Professor für Urbane Wissensformen, Organisationstheorie und relationale Praxis der HCU Hamburg deutlich, dass es ihm dabei nicht um die improvisierte Reparatur fehlgeleiteter Planung gehe, die wir auch heutzutage schon zuhauf fänden. Stattdessen schwebt Dell ein „konstruktiver Umgang mit der Unordnung der Gemeinschaft“ vor, bei dem nicht bereits vor der Planung feststünde, was für die „beplante Gesellschaft“ das Beste sei.

Chris Dercon legt dar, dass es nun an den Theatern und Museen der Stadt sei, sich so für die Allgemeinheit zu öffnen, dass diese ihre Räume für deren Zwecke bespielen können. Im Zweifel müsse man dafür den Alltag „hacken“, also Lücken in den Gesetzen und Verordnungen suchen oder einfach Fakten schaffen. Und wenn das Ergebnis dann sei, dass immens viele Besucher einer Kunstausstellung diese vor allem aufsuchten, um dort mit Freunden picknickend mitgebrachte Heißgetränke eines internationalen Kaffeeriesen zu verzehren, dann sei das eben so.

Die Gesamtschau der Beiträge, zu denen sich Texte von Ulfert Sterz, Klara Bindl, Achim Hahn, Frank Eckardt, Boris Harbaum, Alexander Henning Smolian und Henrik Hilbig gesellen, macht deutlich, dass unsere Theorie von Stadt nicht ohne die konkreten Erfahrungen ihrer Bewohner gedacht werden kann. Wem das wie eine Binsenweisheit vorkommt, möge den Blick auf aktuelle wie vergangene Planungen werfen. So ist „Lebensform Stadt“ ein inhaltlich sehr lesenswerter Beitrag zur Diskussion darüber, was unsere Städte ausmacht – trotz des, gelinde gesagt, nicht gestalteten Äußeren dieser Publikation. Layout und Satz sind weder einem Buch noch einer Zeitschrift würdig. Die „Lustigen Taschenbücher“, die sich inhaltlich „nur“ mit Micky, Donald und Co auseinandersetzen müssen, sind da liebevoller gesetzt. Von dieser formalen Unzulänglichkeit sollte man sich ob der sehr lesenswerten Inhalte jedoch nicht abhalten lassen.

David Kasparek

Achim Hahn (Hrsg.): Ausdruck und Gebrauch. Band 13, Themenheft: Lebensform Stadt, 218 S., 35 Abb., Paperback, 12,–  Euro, Shaker Verlag, Herzogenrath 2017, ISBN 978-3-8440-4964-0

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