homestory: Claudia Meixner

Urbanes Wohnen

Bei den Projekten, die wir für andere gebaut haben, haben wir mehr über das Wohnen nachgedacht, als bei unseren eigenen Wohnungen. Wir wohnen im Frankfurter Nordend und sind froh, dort eine sehr schöne Altbau-Wohnung zu haben – auch wenn diese den Klischees vom Architekten-Wohnen entspricht. Der Raum, der uns dort fast am meisten am Herzen liegt, ist der Balkon. Die Wohnung hat insgesamt drei Balkone, zwei gehen nach Westen, in den stillen, idyllischen und grünen Garten. Doch wenn wir eines Tages wegziehen würden, dann würde uns der im Osten gelegene Balkon wohl am meisten fehlen. Dieser geht hinaus zu einer Verkehrskreuzung: drei Straßen treffen aufeinander, Autos halten und fahren wieder an, Fußgänger nutzen die Ampeln, dazu fährt noch eine Straßenbahn. Wir haben das am Anfang nicht gedacht: diesen Raum der Wohnung lieben wir am meisten. Hier haben wir eine Situation, in der immer Leben stattfindet, es tatsächlich urban ist und wir unsere Nachbarn sehen. Im ersten Obergeschoss sieht man uns nicht sofort, wir aber haben aber einen guten Überblick.

Dieser Raum lässt uns die Qualitäten, die wir bei unserer Wohnungssuche finden wollten, am intensivsten spüren. Er liegt an der Schnittstelle zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. Diese Schnittstelle ist auch etwas besonderes in unserer Arbeit. Die Art und Weise, wie man mit dieser Schnittstelle umgeht, hat einen hohen Wert für das Wohnen. Wohnen findet unserer Meinung nach nämlich nicht nur in der Wohnung statt, sondern eigentlich überall. Deshalb haben auch einige unserer Projekte mit „Wohnen“ zu tun, die eigentlich gar keine Wohnprojekte sind.

Bei der Dornbuschkirche in Frankfurt etwa haben wir eine große Kirche rückgebaut, das Kirchenschiff abgerissen und an seiner Stelle einen öffentlichen Platz eingerichtet (2004-2006). Dieser Platz hat eigentlich keine von uns zugewiesene Funktion, sondern ist eine Art Freiraum. Dieser wird dann besetzt: von spielenden Kindern oder von Inline-Skatern. Auch die Gemeinde tafelt auf diesem Platz. Im Sinne urbaner Verflechtungen sind das spannende Prozesse: unterschiedliche Eindrücke und Atmosphären überlagern sich und lassen unterschiedlichste Interaktionen entstehen.

Die eigentliche Funktion der Wohnung ist das Beheimaten und Verorten von Menschen – damit man nicht verloren ist in der Welt, sondern genau an diesem einen Ort wohnt. Die Frage, die sich uns stellt ist, wie man diese Verortung in der Planung fördern kann. Wie also spürt man der jeweiligen Besonderheit eines Ortes nach, macht diese sichtbar und verortet so die späteren Bewohner?

Zum Beispiel auf einem großen Gartengrundstück in Karlsruhe an einem Waldrand (Wohnhaus Schlüter, 2003): für uns war an diesem Ort der Übergang zwischen Haus und Garten spannend. Charakteristisch für das gesamte Haus ist dann der Raum gewesen, der diesen Übergang herstellt. Oder das Haus Wolfahrt-Laymann in Oberursel (2005-2006). Auf dem Grundstück, das die Eigentümer gekauft haben, stand ein altes Holzhaus. Ursprünglich aus den dreißiger Jahren, war es eigentlich zum Abbruch vorgesehen, hatte aber viel Charme und Authentiziät. Unsere Idee war, die Geschichte des Ortes zu erhalten, kein neues und beliebiges Haus zu errichten, sondern eine neue Hülle um das alte Haus zu legen. So entstehen Zwischenräume und Überlagerungen zwischen Alt und Neu, die das Haus für die Bewohner unverwechselbar machen.

Ein weiteres Haus ist auf einer wunderschönen Obstwiese entstanden, die so beeindruckend war, dass die Bauherren eigentlich direkt auf dieser Wiese wohnen wollten (Wohnhaus F, 2005-2007). Wir haben versucht, die Eigenheit des Ortes einzufangen, indem wir den sehr strengen Bebauungsplan in ein scheinbar archetypisches, dunkles Satteldachhaus übersetzt haben. Die Ebene des Gartens, in dem die Bauherren eigentlich wohnen wollten, haben wir dann der Topografie des Grundstücks folgend als Raumschicht wieder freigeschnitten.

Ein Haus mit völlig anderen Rahmenbedinungen haben wir im Blockinneren im Frankfurter Westend gebaut (Wohnhaus Schmuck, 2009-2011). Eine Familie mit vier Kindern wollte ein Haus mit Garten und das – von innen heraus gesehen – in einer Situation, in der als erste Kulisse der Block den Bestand umfängt und in zweiter Ebene diese wirklich hohen Frankfurter Wolkenkratzer stehen. Was uns zum Bild der Oase in der Stadt geführt hat. Aus dem zunächst gedanklich komplett gefüllten Block haben wir, auf Nachbarn und Abstandsflächen Rücksicht nehmend, Volumina geschnitten. In einem zweiten Schnitt wurden dann ganz akzentuiert die Räume herausgeschnitten, die als Freiräume dienen sollten – abhängig von, zum Beispiel, den Bäumen der Nachbargrundstücke oder dem Sonnenstand. Die Bauherren wollten bewusst keine Mauern und Zäune auf ihrem Grundstück, die sie an der geplanten Vernetzung vor Ort gehindert hätten. Diese Vernetzung und Verankerung am Ort ist auch hier wieder durch die Zwischenräume gelungen, an denen sich der Bau zu den Nachbarn öffnet.

Derzeit versuchen wir bei einem Wohnhochhaus, eine räumliche Vernetzung bei einer großen Anlage zu entwickeln. Etwa sechzig Meter hoch wird der Bau, bei dem wir das Gebäude in den Kontext des Spannungsfeldes zwischen Park, Blockrand- und Reihenhausbebauung einflechten. Auch in diesem Kontext wollen wir die Grenze zwischen öffentlich und privat vielfältig differenzieren und aufweichen. Transformation und Überlagerung unterschiedlicher inhaltlicher und räumlicher Ebenen spielen in unseren Projekten eine große Rolle. Eine wichtige Frage für uns ist dabei, wie weit wir einerseits Planung determinieren und wie weit andererseits vieldeutige Freiräume entstehen können, damit sich öffentliche Teilhabe und damit soziales Leben, also auch Wohnen entfalten kann.

Dipl.-Ing. Claudia Meixner (*1964) studierte Architektur an der TH Darmstadt und der Universita degli Studi, Florenz. Sie war freie Mitarbeiterin und Projektpartnerin im Büro Wörner+Partner in Frankfurt am Main sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Baukonstruktion und Entwerfen von Günter Pfeifer an der TH Darmstadt. Seit 1997 besteht die Bürogemeinschaft Meixner Schlüter Wendt Architekten mit Sitz in Frankfurt.

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