Buch der Woche: Makeover

Verwandlungen

Viele Bauten, die wir heute als architektonische Ikonen verehren, wie etwa das Schloss Versailles oder den Kölner Dom, sind das Ergebnis Jahrhunderte währender Umbau-, Ausbau-, Modernisierungs- und Renovierungsmaßnahmen. Der vermeintlich homogene Bau ist dabei eigentlich eine Zusammensetzung von komplexen Schichten, die ohne Expertenblick kaum voneinander zu trennen sind. Bei vielen jüngeren Beispielen des Umbaus stehen Ergänzungen und Ausbauten dem Bestand im gestalterischen Kontrast gegenüber und ziehen eine klare Grenze zwischen Alt und Neu. So beispielsweise beim Berliner Reichstag von Paul Wallot, dessen von Norman Foster hinzugefügte Glaskuppel sich deutlich hinter dem historistischen Außenbau abhebt.

INT2 architecture, Interior AM, Moskau, Russland, Foto: INT2 architecture

Bei Wohnhäusern ist der Erneuerungsdruck besonders hoch, denn hier geht es einmal mehr um persönliche Aneignung sowie um bauliche Anpassung an aktuelle Bedürfnisse und Funktionen. Der große Bildband „Makeover. Conversions and Extensions of Homes and Residential Spaces“, zusammengestellt von Chris van Uffelen, zeigt hundert neue Beispiele aus der ganzen Welt, in denen bestehende Bausubstanz in zeitgenössische Wohnformen umgewandelt wurde. Hier zeigen sich immer wieder kreative Höchstleistungen von Architekten, die es schaffen, sonderbarste Raumsituationen in architektonisches Potential umzuwandeln.

DOS architects, London, GB, Foto: Carlo Carossio

Obwohl es das Thema eigentlich nahelegt, liefert die Publikation leider größtenteils keine Grundrisse und Fotografien des Zustands vor der baulichen Veränderung. Hieraus wäre sicher noch deutlicher hervorgegangen, wie groß etwa der Eingriff in die Bausubstanz war oder wie deutlich sich Wertigkeit und Atmosphäre durch die Umbauarbeiten gewandelt haben. Bei einigen Bauwerken ist die durchlebte Verwandlung jedoch noch sichtbar: beispielsweise der Ausbau eines belgischen Ferienhauses, einem einfachen Holzbau in typischer Zeltform, der vom Büro dmvA durch einen an die Schrägseite geschobenen Anbau zu einem großzügigen Wohnhaus transformiert wurde. Der nahtlose, glatt-weiße Innenausbau bildet dabei einen schönen Kontrast zu der waldigen Dunkelheit der Umgebung. Beim „Haus Chapeau“, von Wirth Architekten in Bremen wurde dagegen nach oben erweitert: statt des klassischen Dachstuhlausbaus eines gründerzeitlichen Einfamilienhauses wurde dem Bau ein „Hut“ aufgesetzt. Dieser ragt aus der Giebelfassade mit über Eck laufenden Fenstern als selbstbewusst-moderne Geste heraus. Im Innern ergibt sich hierdurch ein lichtdurchfluteter, großzügiger Wohn- und Essbereich mit Luftgeschoss – ein für den ursprünglichen Bautypus ungewöhnlicher Raumeindruck.

Wirth Architekten, Haus Chapeau, Bremen, Foto: Christian Burmester

Bei vielen Projekten zeigt sich zudem die Wirkmacht von individuellen Einbaumöbeln sowie hochwertigen Wandverkleidungen und Bodenbelägen. Die Grenze zur Innenarchitektur ist in dem Band daher fließend. BFDO Architects schufen etwa in einem New Yorker Reihenhaus eine 15 Meter lange Regalwand, die sowohl Platz für eine umfangreiche Sammlung von Kunstbüchern bereithält, als auch eine Kletterlandschaft für die Katzen der Bewohner bietet. Der raumgroße Einbaukubus von Nils Holger Moormann in Bad Aibling dagegen erschafft auf kleinstem Raum Platz für Aufbewahrung, Bett, Sitzgelegenheiten und Esszimmer.

Paolo Martins Arq&Design, SH House, Foto: Its. Ivo Tavares Studio

Wenngleich Neugestaltungen von Einfamilienhäusern in dem Buch dominieren, finden sich zum Teil auch Exempel für Mehrfamilienhäuser. Der Ausbau eines gewachsenen Gebäudeblocks in Porto durch Pedro Ferreira Architecture Studio ist beispielhaft für außergewöhnliche und charmante Raumsituationen mit merkwürdigen Winkelungen, die sich durch die Zerstückelung des Bestands ergeben. Haus 08 von Stefan Forster Architekten in Halle (Saale) dagegen, der Umbau eines Plattenbaus von 1971, zeigt, wie durch das Wegnehmen und Hinzufügen von Elementen auch aus den monotonsten Ausgangsobjekten lebenswerte Räume entstehen können. Die Vielfalt der Beispiele, die mit unterschiedlich hohem finanziellen Aufwand betrieben und zum Teil von vielen kleineren Büros umgesetzt wurden, ist die Stärke von „Makeover“. Damit ist das Buch dankenswerterweise etwas mehr als eine Inspirationsquelle für Bauherren, sondern eine schöne Bestandsaufnahme der aktuellen Lust am Weiterbauen.

Elina Potratz

Chris van Uffelen: Makeover. Conversions and Extensions of Homes and Residential Spaces, 456 S., 700 Abb, engl., Braun Publishing, 68,– Euro, Salenstein 2018, ISBN 978-3-03768-234-0

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