Spaziergänge mit Heiner Farwick

Am Fluss in der Stadt

Wieder einmal trafen sich Heiner Farwick, Präsident des BDA, und Andreas Denk, Chefredakteur dieser Zeitschrift, zum Gedankenaustausch beim Gehen. Diesmal führte die beiden der Weg durch die Innenstadt von Münster, von der Promenade, dem ehemaligen Stadtring, den Fluss Aa entlang, quer durch den Kern der Stadt: ein einzigartiger Spaziergang mitten in der „Westfalenmetropole“, dessen nahezu romantische Wirkung nur durch den überaus unromantischen Inhalt des Gesprächs getrübt wurde: Die HOAI ist in Gefahr.

Andreas Denk: Die HOAI ist eine in Europa recht seltene Regelungsform.  Die meisten anderen europäischen Länder haben keine solche Regelung, die die Leistung eines freien Berufes nach seiner Auskömmlichkeit regelt. Entweder spielt bei ihnen die Idee des freien Berufes keine so große Rolle, wie sie in der Bundesrepublik nach dem zweiten Weltkrieg stark gemacht worden ist, oder solche Regelungen wurden zu Hochzeiten des Neoliberalismus abgeschafft, wie es in England zu beobachten war. Über ihre Sinnhaftigkeit ist schon viel gesprochen worden. Doch nun hat die EU das Spielfeld betreten. Was ist passiert?

Heiner Farwick: Es gab eine Aufforderung der EU-Kommission an die Bundesregierung zu prüfen, wo der Dienstleistungssektor im Sinne eines freien europäischen Binnenmarktes dereguliert werden kann. Besonderes Augenmerk war auf die Regulierungen der Freien Berufe gerichtet worden. Die Bundesregierung hatte dahingehend geantwortet, dass eine Regelung sinnvoll sei, wenn sie der Qualitätssicherung und dem Verbraucherschutz dient und dabei zu keiner Benachteiligung von EU-Bürgern führt. Das ist bei der HOAI, um auf unseren Berufsstand zu fokussieren, der Fall.

Aber trotz dieser eigentlich stichhaltigen Begründung gibt es jetzt Gegenwind?

Die EU-Kommission hat nun ein formales Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingereicht. Die Bundesregierung hat bis September Zeit, ihre  Argumentationen vorzutragen. Danach entscheidet sich, ob die EU-Kommission Klage gegen die Bundesrepublik beim Europäischen Gerichtshof einreicht. Das Gericht müsste dann die Rechtmäßigkeit der Regulierung von Leistung und Honorar klären, die es ja nicht nur bei Architekten, sondern auch bei anderen freien Berufen gibt. Das Wesen der Freien Berufe mit ihrer Verantwortlichkeit gibt es in anderen EU-Ländern nicht, weshalb es offensichtlich dringend erforderlich ist, dass seitens der Bundesrepublik die Vorzüge des Systems hoher Eigenverantwortlichkeit wichtiger Berufsgruppen für die Gesellschaft dargelegt werden. Wir sind daher mit allen freien Berufen im selben Boot. Nehmen wir einmal die Juristen: Die Rechtsanwälte gehören in Deutschland zum System der Rechtspflege. Auch in diesem Bereich gibt es nachvollziehbare Gründe, warum es definierte Leistungen mit Qualität nicht zu frei verhandelbaren Preisen geben kann.

Was könnte der Vorteil einer Abschaffung der HOAI sein?

Ich kann mir eine Abschaffung nicht vorstellen. Es gibt ja solche Szenarien einer freien Angebotsebene bereits. Da müssen wir aber über die Form und Qualität der Leistung sprechen. Natürlich können Architekten sagen, dass sie eine bestimmte Leistung für einen bestimmten Preis anbieten, der nichts mit einer Honorarordnung zu tun haben muss. Daraus ergibt sich aber die Frage nach der Qualität: Wenn es um einen reinen Preiswettbewerb, also letztlich um einen Preiskampf geht, ist die Qualität in höchster Gefahr. Und das wird dann zu einem entscheidenden Argument des Verbraucherschutzes. Auch sind die Besonderheiten der Verantwortlichkeit von Architekten in Deutschland nicht mit denen in anderen EU-Ländern vergleichbar. Ich verweise nur auf das gesamte Spektrum der Leistungsphasen, das Werkvertragsrecht und die Haftungsthematik.

Die Abschaffung der HOAI hätte wahrscheinlich einen ähnlichen Verdrängungswettbewerb – mit einer Konzentration in der Architekturproduktion auf bedeutend weniger Büros – zur Folge, wie wir sie in den 1990er Jahren in England erlebt haben. Natürlich wird es weiterhin kleine Architekturbüros geben, die in lokalen und regionalen Zusammenhängen agieren, aber die größeren, überregionalen Aufträge und die meisten Wettbewerbe werden immer mehr von größeren Büros mit anderen, in gewissem Sinne effizienteren Strukturen akquiriert werden. In Großbritannien kann man den Eindruck bekommen, dass dabei einiges auf der Strecke geblieben ist….

Die Strukturen der Architekturbüros in Deutschland sind wesentlich durch kleine und mittelgroße Büros geprägt, deren Inhaber ihre Büros mit hohem persönlichem Engagement betreiben. In der breiten regionalen Verteilung wird ablesbar, dass Architekten in Deutschland nicht einige wenige, Aufsehen erregende Projekte verantworten, sondern Träger einer weit gefächerten Baukultur sind. Gerade auch kleine Büros sind oftmals Stätten der formalen, technischen und sozialen Innovation. Architekturbüros sind klassische Mittelständler. Damit sind sie nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in gesellschaftlichem und kulturellem Engagement eine Säule der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Ich habe den Eindruck, dass manch Verantwortlichem in Berlin oder Brüssel gar nicht klar ist, welch dramatische Konsequenzen drohen.

Sie sind auch in dieser Sache in Kontakt mit dem Bundesbauministerium. Wie sieht man dort die Wahrscheinlichkeit, dass der Europäische Gerichtshof die Klage der Kommission zulassen wird? Und welche Folgen erwartet man, falls die Klage zugelassen wird?

Das Bundesbauministerium, zuletzt ja auch durch die Bundesbauministerin, Barbara Hendricks, auf dem BDA-Tag in Berlin betont, lässt keinen Zweifel an der Überzeugung des Ministeriums aufkommen, dass die Vergabe von Planungsleistungen im freien Spiel der Marktkräfte zu einem erheblichen Qualitätsverlust des Bauens in Deutschland führen muss. Aufgrund der besseren Kenntnisse der Hintergründe des Architekturschaffens ist das Verständnis für Architekten im Bauministerium vielleicht größer als in anderen Ministerien. Ob die Klage zugelassen wird, ist eine Rechtsfrage.

Lassen Sie es mich einmal forsch sagen: Wenn wir die möglichen Folgen eines Auslaufens der HOAI als verbindliche Reglementierung einer lebenswichtigen Leistungserbringung betrachten, sind da der Ärger und die Larmoyanz, die sich derzeit mit dem sicherlich unzureichenden Wettbewerbswesen verbinden, Ausdruck eines  Luxusproblems?

Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Die Klärung der Regelung der Vergabe von öffentlichen Planungsaufgaben ist alles andere als ein Luxusproblem. Wir fordern ja gerade im Sinne der EU-Dienstleistungsrichtlinie faire und transparente Verfahren. Diese wären dann auch für Architekten aus anderen EU-Staaten offener. Im übrigen stehen die Regelungen der HOAI auch heute dem freien Zugang nicht im Wege.

Was wird der BDA unternehmen, was wird er unternehmen können?

Auf Bundesebene ist es Aufgabe, an den verantwortlichen Stellen zu verdeutlichen, dass die HOAI nicht ein vordergründiges Sicherungssystem für einen Berufsstand ist. Sie ist die Basis für den Leistungswettbewerb, dem sich Architekten im Wettbewerb stellen und Garant für qualitätvolles Planen und Bauen. Dieser Wettbewerb muss die Qualität der Leistung sichern, nicht das billigste Angebot hervorbringen. Dass muss sowohl auf den legislativen wie auf den exekutiven Ebenen in Deutschland und der EU verstanden werden.

Der BDA wird im Schulterschluss mit den anderen Freien Berufen, allen voran den Ingenieuren, auftreten. Und zwar sowohl auf der Bundes- als auch auf der Länderebene. Nicht zuletzt muss auch in den kommunalen Spitzenverbänden verstanden werden, dass ohne Sicherung einer guten Planung kein nachhaltiges, wirtschaftlich sinnvolles und qualitatives Bauen möglich sein wird.

Foto: Andreas Denk

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