Buch der Woche: Anja Schlamann. Encanto

Zauber und Charme

Die Kölner Oper gehört zu den schönsten aber auch umstrittensten Gebäuden der Nachkriegsmoderne in der Domstadt. Gemeinsam mit dem Schauspielhaus und dem Restaurant „Opernterrassen“ bildet die Oper ein auch städtebaulich bis heute faszinierend gutes Ensemble. Die Entwürfe aller drei Bauten stammen aus der Feder des kölschen Architekten Wilhelm Riphahn (1889-1963). Umstritten sind und waren sie ebenfalls alle drei. Mitte der 2000er Jahre war ein Teil-Abriss trotz Denkmalschutz bereits beschlossene Sache, ein Wettbewerb nicht nur ausgelobt, sondern auch schon ausgeführt und mit einem Sieger prämiert.

Obschon der Opernbau sich im Volksmund – wegen seiner sich sanft nach oben verjüngenden Werkstatttrakte – die Spitznamen „Indisches Grabmal“ und „Grabmal des gescheiterten Intendanten“ erarbeitet haben soll, galt er als Teil des Gesamtensembles vielen Bewohnern Kölns als Zeichen des Neubeginns nach dem Zweiten Weltkrieg. Entsprechend groß war der Aufschrei in der Bevölkerung bei Bekanntgabe des Abrisses auf Kosten eines Neubaus. Vor allem der Kölner Künstler Merlin Bauer machte sich um den Erhalt des Ensembles als Ganzes verdient. Zunächst mit der Preisschleife „Liebe Deine Stadt“, mit der er die Oper auszeichnete, später als Teil einer öffentlichkeitswirksamen Initiative zu Gunsten des Erhalts des Schauspielhauses. Ihm und vielen anderen engagierten Kölnern ist es also hoch anzurechnen, dass man die Verantwortlichen am Rhein davon überzeugen konnte, dass eine Sanierung des Ensembles die Stadt unterm Strich nicht teurer zu stehen käme als Neubauten. Die finanzielle Lage der Stadt am Rhein wird ihren Teil zur Entscheidung beigetragen haben.

Kurz vor dem Umbau der Oper hat die in Köln lebende Fotografin – und Architektin – Anja Schlamann den Bau als Bühne für ihre Fotoserie „Encanto“ genutzt. ‚Encanto‘ bedeutet im Spanischen nicht nur ‚Verzauberung‘ oder ‚Zauber‘, sondern auch ‚Reiz‘ und ‚Charme‘, schließlich aber auch ‚Zerstreutheit‘. In ihrer Serie, die in einem kleinen feinen, vom Heidelberger Kehrer Verlag veröffentlichten Buch mündete, ist es der 1967 geborenen Fotografin gelungen, die drei Bedeutungsebenen des spanischen Wortes miteinander zu verweben und anhand des Riphahn-Baus zu kontextualisieren. Die Fotos zeigen sowohl die öffentlich zugänglichen Bereiche des Hauses wie das Foyer, den eindrücklichen Opernsaal mit seinen wunderlich schwebenden, wie große Schlitten in den Raum ragenden Balkonen oder die Garderobe, als auch die für den Normalbürger im Verborgenen liegenden Werkstätten und Nebenräume hinter der Bühne. Die Bilder belegen, trotz der offenkundigen Gebrauchsspuren nach sechzig Jahren Theaterleben, den Reiz und Charme der gebauten Details und Fügungen dieses Hauses – ja, ihren Zauber.

In einer zweiten Ebene aber paart die Fotografin diese rein architektonische Bühne mit einer wiederkehrenden und stets nur schemenhaft auftretenden Protagonistin, die tanzend durch die verlassenen Räume der Oper zu wandeln scheint. Diese inszenierte Theatralik steht in deutlichem Gegensatz zur sonst so nüchternen Sprache der 36 Aufnahmen. Anja Schlamann agierte dabei als Regisseurin und Schauspielerin in einer Person, die das wechselseitige Spiel um den Blick zwischen Zuschauer und Schauspielerin in Szene setzt. Eine Art bildnerische Zerstreutheit entsteht dadurch, die den Reiz des Gebäudes potenziert und den Charme des kleinen, nur rund 80 Seiten dicken Büchleins ausmacht.

David Kasparek

Rolf Sachsse (Hrsg.): Anja Schlamann. Encanto. Mit Texten von Gunter Geltinger und Rolf Sachsse, 80 S., 36 Farbabb., deutsch/englisch, 29,90 Euro, Kehrer Verlag, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-86828-489-8

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