Buch der Woche: Das Monumentale ist meine Krankheit

Ein Quellentext

Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll sind künstlerisch Forschende. Wie Wissenschaftler stellen sie Thesen auf und suchen Belege oder Widerlege dafür, forschen in Archiven und zitieren Quellen. Anders als Wissenschaftler bewegen sie sich aber im Freiraum der Kunst, können also stärker vereinfachen, zuspitzen, Fehlstellen akzeptieren. Die seit 1984 als Duo auftretenden Künstler, die vorrangig im öffentlichen Raum arbeiten, haben nun einer kürzlich in Graz realisierten urbanen Intervention eine kleine Publikation ihrer Recherchen beigefügt: Ausgehend von einem Ort in Berlin spannen sie einen weiten Bogen zu handelnden Akteuren, die mit diesem Ort verknüpft sind und Geschichten, die damit verbunden sind. Dabei wollen sie nicht weniger als ein paar große Fragen des Verhältnisses von Kunst, Staat, Gesellschaft und Politik angehen. Es geht um Kunst und Macht und darüber, in welchen Vokabeln wir heutzutage darüber reden – und um die Frage, „wie verhält sich die Indienstnahme von Kunst zu der heutigen Vorannahme ihrer Widerständigkeit?“

Eine direkte Beantwortung verweigern die Künstler. Stattdessen lassen sie Quellen für sich sprechen: „Mit der Sichtung von Quellentexten und Dokumenten über Kunst unternehmen wir eine Reise in den Sprachraum des Dritten Reichs“, beschreiben die Künstler ihre Methode. Dabei verstehen sie Geschichte als einen „unabgeschlossene[n] Prozess des Überschreibens, Löschens, Neuinterpretierens und Rearrangierens von Fragmenten.“ Diesen Prozess vollziehen die Künstler anhand des sogenannten Staatsateliers von Arno Breker in Berlin-Dahlem nach, das später das „Atelierhaus Käuzchensteig“ wurde und erst kürzlich, im Sommer 2015, als „Kunsthaus Dahlem“ neu eröffnete.

Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll waren 2001 während einer Künstlerresidenz ins Atelierhaus gezogen. Zufällig stießen sie auf Filmschnipsel der „Deutschen Wochenschau“ von 1942 mit Aufnahmen vom Ort ihres Aufenthalts. Ausgehend davon starteten sie eine Recherchereise in die Geschichte der sie umgebenden Architektur und ihres des Entstehungskontextes: 1939 bis 1942 nach Entwürfen von Hans Freese gebaut, wurde das Gebäude ab 1942 das „Staatsatelier“ von Arno Breker, der dieses jedoch nur sporadisch nutzte und seine Hauptarbeitsstätte im Schloss Jäckelsbruch in Wriezen hatte. Ursprünglich war in Berlin-Dahlem eine ganze Künstlerkolonie für Maler, Mosaikbauer, Bildhauer und Architekten geplant, die bei dem Umbau Berlins zu „Germania“ helfen sollten. Verwirklicht wurde letztlich nur Brekers Atelier. Nach Kriegsende wurde das Atelier schließlich zum Arbeits- und Lebensraum des damals 34jährigen Bernhard Heiliger, eines ehemaligen Meisterschülers Brekers. Parallel dazu eröffnete ab den 1970ern der DAAD ein Atelierhaus für internationale Künstlerresidenzen. Ab 2011 wurde es – quasi als gegenläufiger Prozess zu dieser Öffnung – wieder umgebaut, die Residenz-Ateliers geschlossen und 2015 unter dem Namen „Kunsthaus Dahlem“ neu eröffnet. Die – auch politischen – Verflechtungen auf dem Weg dahin zeichnen Dellbrügge und de Moll in ihrem Buch nach.

Anschließend lassen sie die Protagonisten zu Wort kommen – so werden unter verschiedenen Kapitelüberschriften unkommentiert die jeweiligen Personen durch eigene Aussagen oder Medienberichte charakterisiert: „Der Staatskünstler“ (Arno Breker), „Der Architekt“ (Albert Speer), „Der Auftraggeber“ (Adolf Hitler), „Der Propagandist“ (Joseph Goebbels) und so weiter bis hin zu dem „Meisterschüler“ (Bernhard Heiliger selbst). Das unkommentierte Zusammenstellen der Quellen ist nur auf den ersten Blick objektiv, denn durch die Auswahl und die Reihenfolge allein wird eine Wertung vorgenommen.

Die Fragen, die die Künstler damit aufwerfen wollen, haben sie im vorangestellten Text bereits gestellt: Warum hält sich „die Argumentationsfigur vom unpolitischen Künstler, vom „reinen Tor“ der Kunst, so hartnäckig?“ Wie kam Breker mit seiner Behauptung davon, nicht politisch gewesen zu sein? Warum bekam ausgerechnet ein Breker-Schüler diesen Atelierraum auf Lebenszeit?

Vorläufiger Schlusspunkt ihrer Beschäftigung ist eine künstlerische Intervention in Graz mit dem – Breker zitierenden – Titel „Das Monumentale ist meine Krankheit*“. Auch sie wird im Buch beschrieben. Das Büchlein ist schlicht in der Gestaltung – serifenlose Schrift, sparsam bebildert mit Aufrissen und Isometrien des Atelierhauses, komplett in Schwarz und Weiß, dem größtmöglichen Kontrast also. Ein Quellentext und Denkanstoß, aber auch Lehrstück über den Umgang mit einem belasteten Ort und seiner Geschichte, über die Indienstnahme von Kunst und Architektur in einem totalitären System und ihrer Befreiung davon – beziehungsweise der Frage, ob das überhaupt möglich ist.

Juliane Richter

Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll: Das Monumentale ist meine Krankheit*, hrsgg. v. Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark, Graz 2015, 131 S., 10,Euro, ISBN 978-3-902-09572-5

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