Tramhaltestelle von Gruber + Popp Architekten

Alter Falter

An einem dieser typischen grauen Berliner Herbsttage aus dem Berliner Hauptbahnhof heraus zur Invalidenstraße zu laufen, kann verfrühte Winterdepressionen bescheren. Kran um Kran reiht sich Baustelle an Leerestelle zur Hintergrundmusik der schnurrenden Rollköfferchen der Reisenden. In der Ferne der Tour Total (Barkow Leibinger) mit seiner flirrenden Fassade mag auch nicht davon ablenken, dass hier größtenteils gerasterte Tristesse entsteht. Eine neue Straßenbahnhaltestelle möchte dem etwas entgegen setzen.

Optischer Ankerpunkt ist das Dach: In einer sanften Schwingung fällt es ab und steigt, nachdem es einen breiten Sockel passiert hat, wieder auf. Auf der anderen Seite der Gleise wird die Form gespiegelt, von weiten entsteht das Bild eines Flügelpaares oder Falters. Gestützt werden die 58 Meter langen, sechs Meter breiten Betonschalendächer durch Stahlpfeiler, die die auskragenden Dachflügel an den äußeren Rändern tragen und sie rhythmisieren – den schwebenden Eindruck jedoch auch ein wenig stören. Dennoch wirkt die im August 2015 eröffnete Haltestelle filigran und leicht, was vor allem an der geringen Aufbauhöhe der Dächer liegt, die in den Randbereichen nur sieben Zentimeter beträgt: Das Büro Gruber + Popp Architekten BDA verwendete Leichtbeton, der durch den Zuschlag von Leichtsanden und Blähton deutlich an Gewicht verliert. Darüber hinaus ist er widerstandsfähiger gegen Wasser und Frost als herkömmlicher Beton. Das Prinzip ist nicht neu: schon die Kuppel des Pantheons in Rom besteht aus Opus Caementitium mit leichter Gesteinskörnung.

Das Thema eines solchen Transitbereichs ist natürlich Bewegung. Die dynamische Form nimmt das Fließende der fahrenden Bahn auf. Die Dächer wachsen aus den Wandungen der zwei Treppenschächte empor, die nach unten zu den Bahnsteigen des Hauptbahnhofes und zur zukünftigen Anschlussstelle der S21 führen und dem Fahrgast so manchen Weg über den Europaplatz ersparen. Die Bewegung von unten nach oben wird somit bildlich übersetzt.

Dabei ergeben sich an den Verbindungsstellen Dach-Boden geschützte Bereiche, die die Ticketautomaten und Informationstafeln der BVG beherbergen. Das ist klug geplant. Nicht optimal dagegen ist die Position der Sitzmöbel. Die schlichten Sichtbetonbänke mit gebogenen Sitzflächen aus Hochdrucklaminat befinden sich im zugigen Bereich der Haltestellen. Durch die konsequente Verwendung von Sichtbeton in verschiedenen Grautönen, die goldgrauen Blechabdeckungen der Brüstungen und die anthrazitfarbenen Bodenplatten aus Granit, kontrastiert durch die warmen Brauntöne der Sitzflächen, wird eine einheitliche, schlichte Wirkung vermittelt – die nur durch marktschreierisch bunte Werbeplakate an hochaufragenden Glasvitrinen gestört wird.

Die Beleuchtung ist tageslichtgesteuert: Mit Abnahme des Tageslichts nimmt die Beleuchtungsstärke zu und umgekehrt, dadurch verringert sich der Energieverbrauch. Angeblich zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Wartenden ist die Beleuchtung während Nachtstunden heller eingestellt als notwendig.

Städtebaulich bezieht sich die Anlage der Haltestelle vor allem auf die Lage der Gleise und der parallelen Straße. Die Kurve der Dächer nimmt außerdem die des Vordachs des Hauptbahnhofs auf. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Haltestelle in Verbindung mit der noch zu errichtenden Bebauung an der Heidestraße behauptet. Dennoch – auch im Kontrast zu den benachbarten 0815-Bushaltepunkte – ist dem Büro Gruber + Popp hier ein weiteres Beispiel für bildhafte und elegante Haltestellen gelungen.

Juliane Richter

Gruber + Popp Architekten BDA, Tramhaltestelle am Hauptbahnhof Berlin, 2015, Bauherr: Berliner Verkehrsbetriebe BVG

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