der erste stein: dietmar köring

Teil des Systems

Der erste Stein kann gelegt oder geworfen werden. Unter dieser Rubrik erscheinen Beiträge, die beides vermögen: Es sind theoretische Texte von Autoren mit Thesen zur architektonischen Praxis, die kontrovers diskutierbar sind. Dietmar Köring bringt den Stein ins Rollen: Diskutieren Sie mit – per Leserbrief und auf www.architektbda.de/der-erste-stein!

Heutzutage wird Smartheit in der Architektur durch Daten erreicht, die irgendwo zwischen Mensch und Maschine liegen. Das führt zu einer inhärenten und tiefgehenden Komplexität in der Welt der zeitgenössischen Architektur.

Seit den frühen Achtzigern nutzen wir die schließlich bezahlbar gewordenen Computer für die unterschiedlichsten Aufgabenbereiche – auch für die Architektur. Dieser Wechsel hatte großen Einfluss auf unsere Gesellschaft und auf den weiteren Verlauf der Architektur und führte zur Entstehung und Entwicklung mehrerer Architekturgattungen, zum Beispiel der bekannten Blob-Architektur und der neuen digitalen Entwurfsmethodik, die einige „Parametrismus” nennen. Bis zu den späten Neunzigern jedoch blieb die computergestützte Berechnung ein Spezialgebiet, das von Unternehmern wie Greg Lynn angeführt wurde. Er brachte die digitale Architektur in Mode, die immer mehr zum täglichen Werkzeug für uns und auch für die Studierenden wurde. Computer sind in Universitäten heute kaum noch wegzudenken. All unser historisches Wissen wurde digitalisiert und im virtuellen Raum gespeichert. Jetzt entwickeln wir Programme für Programme in Programmen, um nicht nur mehr Komplexität, sondern auch mehr Freiheit in der Verarbeitung und Verwaltung von Daten zu schaffen.

Diese Entwicklung zeigt, dass der Mensch die Maschine in den vergangenen 30 Jahren so optimiert hat, dass sie ihre Funktion allein durch eine direkte oder indirekte Berechnung der CPU erreicht. Die englische Abkürzung „B.C.“ steht nicht mehr für „before christ“, sondern für „before computer“. Kurioserweise war es ausgerechnet Charles Babbage, der Vater der Computer, der sagte, dass er eine laufende „Differenzmaschine“ bräuchte, um die erste Differenzmaschine fertigzustellen. Kurz gesagt, er benötigte einen funktionierenden Computer, um den ersten Computer fertigzustellen.

Die Abbildung zeigt das ursprünglich von Albert Bierstadt gemalte Bild „In the Mountains (1867)“. Er war dafür bekannt, romantische Ansichten des westlichen Amerikas zu Beginn der Kolonialisierung darzustellen. Bierstadt erstellte Skizzen, um sie später in ein komplett romantisches, aber unrealistisches Gemälde zu verwandeln. Die von ihm dargestellte Landschaft basiert somit auf einer realen Umgebung, ist jedoch selbst eine Collage. Auf diese Weise wurde in einer Zeit, lang vor der Existenz der Computer, eine Debatte über Realität und Darstellung entfacht, die den Diskussionen der heutigen Zeit sehr ähnelt. Mit der Erfindung einer neuen Bildaufnahmetechnik – der Fotografie – verloren die meisten das Interesse an seiner Arbeit. Als Albert Bierstadt letztlich in sehr ärmlichen Verhältnissen starb, war er schon längst in Vergessenheit geraten.

Dietmar Köring, Into the Mountains 2013

Dietmar Köring, Into the Mountains 2013

Das eingefügte digitale Objekt wurde mit Hilfe von modernen virtuellen Modellierungstechniken (Virtual Sculpting) erstellt. Man könnte sich daher fragen, wie Architekten heutzutage arbeiten und in welcher Verbindung sie zu Computern stehen. Benötigen Architekten noch physische Skizzen oder läuft jetzt alles virtuell ab? In the Mountains 2013 soll keine Antwort liefern, aber ein Bewusstsein dafür schaffen und die Fähigkeit fördern, noch einmal darüber nachzudenken, wie die neuen Techniken den Raum und ihre Anwender beeinflussen können.

Wir sind immer noch zu sehr mit der Eingabe der Daten in die Maschinen beschäftigt, dabei sollten wir uns eher fragen, welche Informationen uns diese Maschinen zurückgeben können. Wir müssen die Nahtstelle zwischen Mensch und Computer in Zukunft optimieren, um ein konstant positives Feedback zu erhalten. Dieses Problem hat Norbert Wiener schon 1940 mit seinem berühmten Zitat hervorgehoben: „Wir haben unsere Umwelt so radikal verändert, dass wir uns jetzt selber ändern müssen.“ Die Integration von Computern in unseren Alltag hat so schnell stattgefunden, dass der Mensch keine Zeit für einen längeren evolutionären Prozess hatte, um sich an diese neue Umwelt anzupassen. Eine Umwelt, in der wir stets neue technologische Herausforderungen zu meistern haben, die uns bisher völlig unbekannt waren.  Wir müssen daher herausfinden, wie man am besten mit diesem neuen komplexen System umgeht. Wir müssen verstehen, wie man Daten analysiert und wie man in Zukunft mit den Daten arbeiten sollte – mit dem Bewusstsein, Teil des Systems zu sein.

Dietmar Köring

Dietmar Köring, Köln/Berlin, ist ausgebildeter Stahl- & Betonbauer, er studierte an der FH Köln, der University of Western Sydney und der Muthesius Kunsthochschule in Kiel, wo er 2005 als Dipl.-Ing. absolvierte. Er arbeitete für verschiedene Büros in Wien, Los Angeles, Berlin und London, wo er 2007 sein MArch am University College London, Bartlett School, erhielt. Köring ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin CHORA City & Energy. Er lehrte u.a. Virtual Realities an der TU Innsbruck, Digitales Entwerfen an der TU Braunschweig, Technologie und Design an der FH Köln / C-I-A-D und war wissenschaftlicher Mitarbeiter für SMART Grids an der FH Köln. 2009 wurde Körings Forschung von dem Niederländischen Architektur Institut NAI mit der Jaap Bakema Fellowship ausgezeichnet.

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