der schöne gebrauch

Tierische Liebe

Über das Design von Möbeln für Tiere und ihre Besitzer

Wenn die US-amerikanische Kulturwissenschaftlerin Kathleen Kete in einem Essay die Geschichte der Haustierhaltung seit dem 19. Jahrhundert untersucht, weist sie darauf hin, dass bereits im 19. Jahrhundert eine Analogie zwischen Tieren und Kindern gesehen wurde: Haustiere lebten „in einer ewigen Kindheit, einer Minderjährigkeit ohne Ende“, schreibt ein französischer Zeitgenosse. „Sie nehmen den Platz toter oder verlorener Kinder ein“, ergänzte das Petit Journal, „den Platz verführter Töchter oder undankbarer Ehegatten“. Von dieser Auffassung ist es nur ein kurzer Schritt hin zur Humanisierung des tierischen Gefährten, der in heutiger Zeit seinen gefühlten Höhepunkt erreicht zu haben scheint.

Die Tierliebe treibt zuweilen bizarre Blüten: Da gibt es Hunde-Bier, welches stilecht in der Kronkorkenflasche daherkommt, rutschsichere Schuhe und Wintermäntel der Sorte „Ischgl“. Hunde essen von silbernen Gabeln mit Swarovski-Steinen und Katzen wetzen auf dem „Cat Scratch DJ Deck“ ihre Krallen, währenddessen sich die stolzen Besitzer die DNA ihres Lieblings auf Fotopapier ausbelichten lassen und übers Sofa hängen. Neben diversen Tierbekleidungsmoden und Pflegeprodukten bietet der Markt Katzensaunen, Hundeparfüm und sogar Sexpuppen. Die plastische Veterinärmedizin wartet derweil mit Silikonhoden-Implantaten auf, die dem kastrierten Waldi seine verlorene Männlichkeit zumindest optisch zurückgeben. Zur interaktiven Beziehungspflege werden Programme angeboten, mittels derer Mensch mit seinem Vierbeiner über das Internet kommunizieren und per Fernbedienung Bälle werfen kann. Und welcher Hund wollte nicht schon immer einen eigenen Twitter-Account, der durch einen am Halsband befestigten Sender automatisch mit Tweets versorgt wird?

myKitty, Spiel- und Schlafgelegenheit Lui; Foto: myKitty

myKitty, Spiel- und Schlafgelegenheit Lui; Foto: myKitty

Die Branche, in der selbst die abwegigsten Produkte in Serie zu gehen scheinen, ist jedoch nicht nur Freakshow, sondern auch ein Milliardenbusiness: 3,86 Milliarden Euro betrug in Deutschland im Jahr 2012 der Umsatz jener Industrie, die Tiernahrung, -pflege und -zubehör produziert. Der Markt trotzt der Krise und verzeichnete eine Steigerung von 2,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Auch das Segment für ästhetisch anspruchsvolle Einrichtungsgegenstände für Haushalte mit Tieren wächst. Diese Modelle gehen über das bloße Verniedlichen und Verkleinern von Menschen-Möbeln und Klassiker, wie die Hundehütte mit Satteldach und Rundbogentür, hinaus. Bei modernen Haustiermöbeln muss man sich nicht mehr entscheiden zwischen Funktionalität und Ästhetik, oft sind sie geschwungen, rund und fließend – besonders Katzenbetten scheinen in der Form die eleganten, weichen Bewegungen ihrer Benutzer zu spiegeln, wie etwa die Schlaf- und Spielgelegenheiten Lui und Vigo von myKitty. Der Kratzbaum hat eine Evolution vom rindenlosen Holzstumpf zum minimalistischen Tower mit abgerundeten Ecken erfahren – beispielhaft der Kratzbaum Acacia von Square Cat Habitat. Tiermöbel sind Funktionsgegenstand und Deko-Artikel zugleich und lassen selbst die Tiere darauf wie ein Accessoire wirken.

Square Cat habitat, Kratzbaum Acacia; Foto: Square Cat Habitat

Square Cat habitat, Kratzbaum Acacia; Foto: Square Cat Habitat

Aufsehen erregte das Ende 2012 veröffentlichte Projekt Architecture for Dogs von Mujis Design Director Kenya Hara. Er bat zwölf bekannte Architekten, architektonische Umgebungen zu schaffen, die „die Art, wie Menschen mit ihren Hunden interagieren, verändern“ sollten. Es entstanden wippende Hundehütten von MVRDV, fluffige Kissen von Kazuyo Sejima und filigrane Zwitter zwischen Hütte und Regal von Sou Fujimoto: Häuser und Betten im weitesten Sinne, meist eher Hüllen, Strukturen oder Raumteiler, die unverkennbar die sonst im architektonischen Werk ausgeprägte Handschrift ihrer Erschaffer tragen. Nicht in jeder dieser Umgebungen wird sich das Tier wohlfühlen, aber darum ging es Kenya Hara auch nicht. Vielmehr wollte er durch eine gezielte, begrenzende Themenvorgabe demonstrieren, wie architektonisches Denken unser tägliches Leben neu konzeptualisieren kann.

Sou Fujimoto, Architecture for Dogs; Foto: Hiroshi Yoda

Sou Fujimoto, Architecture for Dogs; Foto: Hiroshi Yoda

Einen anderen Ansatz verfolgte der belgische Designer Corentin Dombrecht. Er entwarf ein modulares Regalsystem, dessen Birkenholzbretter so arrangiert sind, dass eine Katzentreppe entsteht, die vorbei an den Büchern hin zum eingebauten Katzenkorb nach ganz oben führt. Das Holz ist weder lackiert noch geölt, damit der Stubentiger nicht abrutscht. Der Designer begreift das Haustier als selbstverständlichen, integrierten Teil des Haushalts und der Familie und entwirft ein Möbel, das für Mensch und Tier gleichermaßen gemacht ist. Dombrecht erweitert ein grundlegendes Ausstattungsstück einer Wohnung um eine Komponente: einen hohen Aussichtsposten für die Katze, den sie besteigen kann, ohne die Bücher zu beschädigen. Das Ergebnis nennt er Cat Library und referiert damit auf die in den USA bekannte Assoziation zwischen Katzen und Bibliotheken: Öffentliche Bibliotheken beherbergen oft Katzen – und Bibliothekarinnen, die viel lesen, werden Library Cats genannt.

Corentin Dombrecht, Cat Library; Foto: Corentin Dombrecht

Corentin Dombrecht, Cat Library; Foto: Corentin Dombrecht

Corentin Dombrecht hat versucht, sich in Katzen hinein zu versetzen um festzustellen, dass „Regale aus Katzensicht den Maßstab von Gebäuden für uns“ haben. Also gilt es, diese den Bedürfnissen des Tiers anzupassen. Hier offenbart sich die alte Sehnsucht des Menschen, mit Tieren zu kommunizieren und deren fremde, missverständliche Welt zu verstehen. Als der Ethnologe Claude Lévi-Strauss einmal gefragt wurde, was er in seinem Leben gern noch gelernt hätte, antwortet dieser: „Ich hätte mich gern einmal richtig mit einem Tier verständigt. Es ist schmerzhaft für mich zu wissen, dass ich nie wirklich herausfinden kann, wie die Materie beschaffen ist oder die Struktur des Universums. Das hätte es für mich bedeutet, mit einem Vogel sprechen zu können. Aber da ist die Grenze, die nicht überschritten werden kann.“

Juliane Richter

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