Andreas Denk und Matthias Böttger im Gespräch mit Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, Günter Pfeifer und Markus Pfeil

Die Zukunft des Klimas

Der Nutzen der Wissenschaft I

Matthias Böttger: Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur? Welche Rolle spielen die Daten und Szenarien, die der Klimafolgenforscher Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe genannt hat, bei Ihrer Zusammenarbeit? Lassen sie sich nutzen, um ein Haus zukunftsfähig zu machen?
Markus Pfeil: Es gibt unterschiedliche Ansätze in der Diskussion um energieeffiziente Gebäude und Klimaschutz. Häufig werden dabei die Themen Energieverbrauch und Energiekennzahlen erheblich überbewertet. Das lenkt von den eigentlichen Aufgaben und Problemen ab. Manchmal habe ich den Eindruck, die Gebäude werden nur gebaut um Energie einzusparen. Natürlich geht es im Sinne des Klimaschutzes auch darum, den Energieverbrauch zu verringern und CO2 zu minimieren. Aber genauso wichtig ist es, zu diskutieren und nachzuforschen, wie wir heute schon auf die bereits stattfindende Klimaerwärmung reagieren. Es ist ja gut, zu wissen, dass Architekten das Thema Energieeinsparung wichtig ist. Aber ich meine, dass die Reduktion des Verbrauchs eben nicht die einzige  Hauptrolle in diesem komplexen Gefüge spielt. Als Ingenieur übernehme ich auch die Energiekonzeption bei der Planung.Wir sprechen über viel mehr Dinge, als über Ökologie: es geht um Nachhaltigkeit, um soziokulturelle und ökonomische Aspekte und um die Betrachtung von Lebenszykluskosten. All diese Komponenten sind gleichermaßen sehr wichtig. Ich habe gute Erfahrungen mit Architekten gemacht, die alle diese unterschiedlichen Aspekte im Blick haben. In der Zusammenarbeit mit dem Büro Pfeifer Kuhn findet – mit einem sehr starken Fokus auf Ökologie – genau dies statt. Aber es geht nicht nur darum, um jeden Preis Energie einzusparen.

Matthias Böttger: Folgt man den Szenarien des Klimafolgenforschers Gerstengarbe, so ist die Zunahme von Extremereignissen auch regional gegeben. Sind Ihre Berechnungsmodelle beispielsweise bei der Kirche, die Sie vorgestellt haben,  auch so genau?
Markus Pfeil: Nein, dieser sehr weit vorausschauende Aspekt ist bei der Planung nicht bedacht worden. Wir haben bei dem Projekt auch keine Statistik der zukünftigen Erwärmung zugrunde gelegt. Allerdings haben wir bei der Konzeption insbesondere den Aspekt des sommerlichen Wärmeschutzes genau betrachtet, da es in dieser Region im Sommer sehr warm werden kann – das hatte allerdings zunächst gar nichts mit dem Klimaschutz zu tun.
Es gibt jedoch andere Projekte, bei denen ich mich sehr intensiv mit dem Thema der Erwärmung auseinandergesetzt habe – beispielsweise im Krankenhausbau: In diesem Sektor fehlt es mitunter am Bewusstsein der Bauherren, bei der Planung von Patientenzimmern die zunehmende globale – und damit auch regionale – Erwärmung mit einzubeziehen. Es wäre angeraten, mit den Aussagen des Klimafolgenforschers an die Bauherren heranzugehen und im Sinne einer ganzheitlichen Planung zu argumentieren.

Pfeifer Kuhn Architekten BDA, St. Augustinus, Heilbronn 2004 – 2008; Foto: Ruedi Walti

Pfeifer Kuhn Architekten BDA, St. Augustinus, Heilbronn 2004 – 2008; Foto: Ruedi Walti

Matthias Böttger: Herr Gerstengarbe, Ihre Modelle sind Szenarien. Sie können aber nicht genau prognostizieren, wie die Zukunft sein wird. Halten Sie es für wesentlich, dass Ihre Szenarien schon heute Einfluss auf das Bauen haben? Oder sollte man eher sagen: Wir machen einfach das Beste aus dem, was wir jetzt haben? Ist es sinnvoll, heute schon sehr geplant in die Zukunft zu denken?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Es macht natürlich Sinn. Ganz so unsicher sind wir nicht im Wissen, was auf uns zukommt. Wir wissen, dass es wärmer wird und dass die Extremsituationen zunehmen werden. In den letzten Jahrzehnten hat in Deutschland  die Jahresmitteltemperatur je nach Region bereits um ein bis zwei Grad zugenommen. Gerade bei den genannten Krankenhäusern gibt es heute schon Probleme im Sommer – und die Nachrüstung mit Klimaanlagen ist sehr teuer. Hier sollte man sich überlegen, ob man mit dem oberen oder dem mittleren Wert dessen arbeitet, was die Klimaforscher als Temperaturanstieg „prognostizieren“. So, wie es heute aussieht, wird man mit dem mittleren höchstwahrscheinlich hinkommen…

Andreas Denk: Der Klimawandel hat Folgen für die Landwirtschaft wie auch für das Leben in den Städten. Können Sie bereits sagen, wie sich aus den meteorologischen Szenarien auch Szenarien des menschlichen Lebens in entweder stärker wärmeren, feuchteren Gebieten oder kälteren Arealen ergeben? Können Sie an Ihr meteorologisch-klimatisches Szenario ein solches für veränderte Lebensführung anschließen?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Am Institut für Klimafolgenforschung Potsdam sind wir jetzt, nachdem wir die Grundlagen geschaffen haben, mit einem Pilotprojekt bis Ende 2013 dabei, zu überlegen, wie die Folgen des Klimawandels aussehen. Wir haben auf unserer website www.klimafolgen.com zum ersten Mal für Deutschland bis auf die Landkreisebene herunter dargestellt, was die Folgen für die Gesundheit der Menschen im Allgemeinen, für die Landwirtschaft, die Wasserwirtschaft und die Forstwirtschaft sein werden. Wenn wir von den Architekten Anregungen, Antworten oder Rückmeldungen bekommen, würde uns das sehr interessieren. Dann sind wir auf dem richtigen Weg. Darüber hinaus sind wir in weiteren Planungen für Länder, die noch stärker als wir vom Klimawandel betroffen sind.

Pfeifer Kuhn Architekten BDA, St. Augustinus, Heilbronn 2004 – 2008; Foto: Ruedi Walti

Pfeifer Kuhn Architekten BDA, St. Augustinus, Heilbronn 2004 – 2008; Foto: Ruedi Walti

Andreas Denk: Herr Pfeifer, können Sie sich vorstellen, dass regionale und lokale Klimaszenarien, wie von Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe geschildert, Einfluss auf Ihr architektonisches Denken nehmen?
Günter Pfeifer: Ich fürchte, dass wir seit dem 19. Jahrhundert unser architektonisches Denken teilweise aufgegeben haben. Architektur war früher immer zunächst Klima, dann kam die soziokulturelle Umgebung hinzu. Daraus folgend hat sich die Identität der Kultur entwickelt. Irgendwann aber hat man im Laufe der technischen Entwicklung aufgegeben, Architektur auf ihre Klimatauglichkeit hin zu evaluieren. Und jeder neuen gesellschaftlichen Entwicklung wurde eine weitere neue technische Entwicklung hinzugefügt. In den siebziger Jahren sind die Kosten schließlich explodiert. Heute haben wir die Chance, dort wieder anzusetzen und die klimatischen Probleme mit architektonischen, nicht mit technischen Mitteln zu lösen. Die Integration der Technik sollte in der Art von Zusammenarbeit passieren, wie wir es in unserem Projekt ansatzweise gemacht haben.

Andreas Denk: Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, könnten Sie hierbei Günter Pfeifer und Markus Pfeil helfen?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Im Prinzip ja. Wir können natürlich Angaben machen, mit denen auch Architekten etwas anfangen könnten. Dass Architektur sich nicht mehr nach dem Klima richtet, ist in der Tat bedauerlich, obwohl ich auch verstehe, dass Architekten gerne technische Möglichkeiten ausnutzen, wenn sie vorhanden sind. Unser Institut in Potsdam bekommt gerade einen Neubau. Ich kann dabei nicht begreifen, wieso der Architekt die Heizung in die Decke gelegt hat – das ist für mich als Physiker eine Katastrophe. Es sei technisch eben machbar, bekomme ich auf meine Nachfragen zur Antwort. Aber ob diese Lösung energetisch und klimatologisch sinnvoll ist, bleibt unbeantwortet. Wir müssen aber nicht nach dem technisch Machbaren suchen, sondern nach dem energetisch Nötigen und ökologisch Möglichen. Das ist eine große Aufgabe für uns.

Pfeifer Kuhn Architekten BDA, St. Augustinus, Heilbronn 2004 – 2008; Foto: Ruedi Walti

Pfeifer Kuhn Architekten BDA, St. Augustinus, Heilbronn 2004 – 2008; Foto: Ruedi Walti

Andreas Denk: Würden Sie sich, Markus Pfeil und Günter Pfeifer, für ein Projekt vom Klimafolgeninstitut in Potsdam beraten lassen? Wäre ein bestimmtes Szenario für eine bestimmte Region für Ihre Planungen hilfreich?
Markus Pfeil: Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ich führe noch einmal das Beispiel Krankenhausbau an. Wir haben innerhalb einer Arbeitsgruppe des Arbeitskreises Krankenhausbau im BDA einmal untersucht, wo genau die Probleme im Krankenhausbau im Klimakontext sind. Hier wurde beispielsweise durch eine Recherche in der Presse oder bei Krankenkassen versucht zu erfahren, wie man im heißen Sommer 2003 mit den Folgen der Hitze umgegangen ist. Bei solchen Überlegungen können die Szenarien und Informationen aus dem Klimafolgeninstitut sehr hilfreich sein. Das müsste auch die mit spitzem Bleistift kalkulierenden Menschen im Gesundheitswesen dazu anregen, Krankenhäuser heute anders denkend zu planen, denn diese müssen mindestens 50 Jahre funktionieren.

Matthias Böttger: Herr Gerstengarbe, können Sie uns noch eine Empfehlung für die Zukunft geben?
Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe: Energie einsparen – das ist die eine – und CO2 einsparen – ist die andere. Wir werden sicher unsere Lebensumstände umstellen müssen. Ich möchte für ein Bewusstsein werben, mit dem man sich genau überlegt, was man tut. Wenn alle so leben wollen wie wir – es gibt 600 Millionen Autos auf unserem Planeten – geht das einfach nicht. Irgendwann sind wir am Ende. Mich enerviert, dass ständig von einem Wachstum die Rede ist – und zwar von materiellem Wachstum. Das ist Unsinn. Hier muss dringend umgedacht werden, insbesondere bei den Politikern. Wir brauchen eine neue Qualität des Wachstums: Das „Wachstum“ kann in der besseren Qualität eines Produktes liegen oder in seiner Energieeffizienz, aber nicht darin, dass ich zwei oder drei Autos mehr herstelle.

Prof. Dr. Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, (*1948), schloss sein Meteorologiestudium 1973 an der HU Berlin mit dem Diplom ab. Nach Mitarbeit in der Abteilung Forschung des Meteorologischen Dienstes der DDR und im Hauptamt für Klimatologie folgte 1984 die Promotion. Er arbeitete für den Deutschen Wetterdienst und seit 1992 in der Abteilung Klimasystem des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Nach der Habilitation an der Freien Universität Berlin mit einer Arbeit über das Thema „Definition und Beschreibung klimatologischer Extreme“ war er zunächst Dozent an der FU Berlin, seit 2004 ist Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe Professor am Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin.

Prof. Dipl.-Ing. Günter Pfeifer (*1943) ist freier Architekt BDA mit Büro in Freiburg. Bis zu seiner Emeritierung im Sommer 2012 hatte er an der TU Darmstadt den Lehrstuhl für Entwerfen und Wohnungsbau inne. Seit dem Sommer 2011 betreibt Günter Pfeifer mit Prof. Dr. Annette Rudolph-Cleff die Fondation Kybernetik – ein Praxislabor der TU Darmstadt und Pool für Nachhaltigkeitsforschung. Günter Pfeifer ist Mitglied des Redaktionsbeirats dieser Zeitschrift.

Prof. Dipl.-Ing. Markus Pfeil (*1967), Beratender Ingenieur VBI, studierte von 1987 bis 1995 Maschinenbau. 1997 gründete er gemeinsam mit Holger Koch das Ingenieurbüro Pfeil&Koch ingenieurgesellschaft in Stuttgart und Köln. Nach verschiedenen Lehraufträgen ist Markus Pfeil seit 2011 Professor für „Ganzheitliche Technische Gebäudeausrüstung“ an der msa | münster school of architecture im Fachbereich Architektur.

Matthias Böttger (*1974) ist Architekt und seit 2011 Kurator des DAZ. Nach Lehraufträgen an der Uni Stuttgart und der ETH Zürich ist er seit 2012 Professor im Fachbereich Sustainable Architecture an der Kunsthochschule Linz. 2008 war er mit Friedrich von Borries Generalkommissar des deutschen Beitrags „Updating Germany“ auf der Architektur-Biennale in Venedig. Mit seinem Büro raumtaktik – office from a better future – arbeitet er seit 2003 in Berlin an räumlicher Aufklärung und Intervention.

Prof. i. V. Andreas Denk (*1959) ist Architekturhistoriker und Chefredakteur dieser Zeitschrift. Er lehrt Architekturtheorie an der Fachhochschule Köln, lebt und arbeitet in Bonn und Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, Vorträge, Moderationen und Veranstaltungskonzepte.

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