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Wenn die HOAI baden geht

Ein Gespräch mit dem BDA-Bundesgeschäftsführer Dr. Thomas Welter

Andreas Denk: Herr Welter, die HOAI, die deutsche Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, wird gerade vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelt. Wie es aussieht, wird diese Verordnung der Deregulierung der EU zum Opfer fallen. Was ist passiert?

Thomas Welter: Vor dem EuGH ist ein Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik anhängig. Mit dem Hinweis auf die EU-Dienstleistungsrichtlinie behauptet die Kommission, dass sich ausländische Architekten nicht in Deutschland niederlassen und freie Honorare anbieten können, weil die HOAI als zwingendes Preisrecht für alle Personen, die in Deutschland Leistungen anbieten, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit im Sinne der EU ist. Dementsprechend wehrt sich die Kommission gegen die Höchst- und Mindestsätze der HOAI. Darum geht es bei der Verhandlung. Derzeit ist zu erwarten, dass der EuGH dem Antrag des Generalanwalts folgt und die Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze aufhebt.

Andreas Denk: Was bedeutet das für die Praxis der Honorarordnung?

Thomas Welter: Die Veränderung beträfe nur neue Verträge. Sämtliche bestehenden Architektenverträge und der Bezug zur bisher bestehenden HOAI bleiben gültig. Selbstverständlich könnte dann jeder Architekt auch weiterhin Sätze nach der HOAI vereinbaren, weil es ihm freistünde, zu vereinbaren, was er will. Er kann sich aber nicht mehr darauf verlassen, dass er, wenn er nichts vereinbart hat, wie bisher im Nachhinein einen HOAI-Mindestsatz einklagen kann.

Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Was heißt das für den bundesdeutschen Gesetzgeber?

Thomas Welter: Der Deutsche Bundestag hat sich für den Erhalt der HOAI ausgesprochen, weil es sie als Preisrecht qualitätssichernd einschätzt. Je nachdem, wie der EuGH entscheidet, könnte das Wirtschaftsministerium als Verordnungsgeber festlegen, dass die HOAI grundsätzlich immer dann gilt, wenn man nicht etwas anderes vereinbart hat. Das wäre eine Regelung analog zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG). Die Angelegenheit ist deshalb so brisant, weil es aussagefähige Studien gibt, aus denen hervorgeht, dass es viele Hinderungsgründe für Architekten gibt, nicht nach Deutschland oder in andere EU-Länder zu gehen – dazu gehören Sprache, Kultur, Bautradition, die unterschiedlichen Normen und Gesetzgebungen. Es sind aber nicht die Honorarordnungen, weil die geringen Unterschiede im Preisniveau für Architektenleistungen in den europäischen Ländern kaum einen Anreiz darstellen, in andere Länder zu gehen. Unterschiedlich ist jedoch das Leistungsspektrum: Viele Architekten in anderen Ländern bieten Leistungen in den späteren Planungsphasen nicht an, weil in den Ländern Generalunternehmermodelle Standard sind und sie sich auf die spezifischen Entwurfsleistungen konzentrieren. In Deutschland erbringen Architekten überdies Leistungen im Werkvertrag. Dagegen sind es in anderen Ländern der EU meist Verträge nach dem Dienstleistungsrecht.

Andreas Denk: Welche Konsequenzen sehen Sie für deutsche Architekten?

Thomas Welter: Der Angriff auf die HOAI resultiert aus einer Hoffnung der Kommission – nämlich mehr Erbringer von Dienstleistungen –, die sich nicht einlösen wird. Es ist schade, dass deshalb ein Instrument attackiert wird, das einen wichtigen Beitrag zur Qualitätssicherung erbracht hat. Die Verbände und Kammern sollten, falls das „Aus“ für die Verbindlichkeit der Honorarordnung kommt, ihren Mitgliedern eindeutig empfehlen, weiterhin Verträge mit einem Bezug zur HOAI abzuschließen, weil sie immer noch als Referenz, wenngleich rechtlich unverbindlich, gelten kann.

Andreas Denk: Die HOAI hat sich bisher als Verbraucherschutz und Qualitätssicherungssystem bewährt, weil sie gleiche Leistung zu gleichem Preis für alle ermöglicht hat. Befürchten Sie nicht einen Qualitätsverlust nach dem möglichen „Aus“ für die Honorarordnung?

Thomas Welter: Selbstverständlich. Ein Weiterleben der Idee kann nur gelingen, wenn die Marktakteure nicht versuchen, sich durch unrealistische Preisreduktionen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. In anderen Sparten der freien Berufe ist es üblich, gewisse Honorargrenzen nicht zu unterschreiten, um nicht das eigene Leistungsangebot unglaubhaft zu machen. Es besteht jedoch fraglos die Gefahr, dass die öffentliche Hand den Preiskampf nach unten eröffnen wird. Sie kann jedoch für ihre Sphäre ein verbindliches Preisrecht vereinbaren, darf und sollte dies auch tun, um ihrer beispielgebenden Rolle gerecht zu werden.

Andreas Denk: Am Beispiel Großbritanniens konnte man vor längerem sehr gut erleben, wie der Verzicht auf eine verbindliche Honorarordnung starke Konzentrationsprozesse bei den Architekturbüros nach sich gezogen hat. Würde das nicht ebenso in Deutschland passieren – und wären die vielen mittelständischen Büros des BDA nicht besonders gefährdet?

Thomas Welter: Die Anreize, größere Arbeitseinheiten zu bilden, werden inzwischen schon durch das Vergaberecht, die Komplexität der Bauaufgaben und eine Tendenz zur Generalplanung vermehrt. Die Aufgabe der HOAI, so glaube ich, würde diesen Konzentrationsprozess nur unerheblich beschleunigen. Was wir dagegen erleben werden, ist eine Spreizung der Honorare. Es wird einige wenige Gewinnerbüros geben, die wegen ihres Renommées und Namens höhere Honorare durchsetzen können, während ein Großteil derjenigen, der immer schon versucht, Aufträge oberhalb des Mindestsatzes zu bekommen, stärker unter Druck geraten wird. Für den BDA bietet sich vielleicht eine Chance, weil er durch sein Berufungssystem qualitätsorientierte Büros um sich scharrt: Da Qualität einen Preis hat, wird dann das Gütesiegel BDA vielleicht auch eine Preisgarantie. Dafür wird es aber nötig sein, dass die Mitglieder enger zusammenrücken und sich zu einem gemeinsamen ethischen Verhaltenskodex bekennen. Wir erwarten die Bekanntgabe des Urteils des EuGH in diesem Sommer.

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