Heiner Farwick

Typ und Serie

Traditionen, Möglichkeiten, Grenzen

In der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts war auf politischer Ebene in Deutschland die Wohnungsfrage weitgehend für erledigt erklärt worden. Kommunale Wohnungsunternehmen wurden veräußert, die öffentliche Förderung des Wohnungsbaus heruntergefahren und neue Wohnbauflächen wurden nur noch vereinzelt ausgewiesen. Die Förderungsprogramme bezogen sich vermehrt auf den Abbruch oder Teilrückbau meist großer (in der Regel seriell errichteter) Wohnanlagen, die als nicht mehr zeitgemäß erachtet wurden und für die der Bedarf nicht mehr gesehen wurde. Darüber hinaus wurde die Liegenschaftpolitik der öffentlichen Hand durch die Finanzverwaltungen bestimmt, die die Veräußerung von Grundstücken als Aufbesserungschance für die Haushalte deklarierten – diese standen somit nicht mehr der gelenkten Stadtentwicklung im Rahmen der kommunalen Planungshoheit zur Verfügung.

Mit Beginn der zweiten Dekade veränderte sich die Sichtweise zunehmend: Bezahlbarer Wohnraum wurde zur „wichtigsten sozialen Frage“ der deutschen Gesellschaft erklärt. Bündnisse für bezahlbares Bauen und Wohnen wurden auf Länder- und Bundesebene geschlossen mit dem Ziel, möglichst schnell möglichst viele neue bezahlbare Wohnungen zu schaffen. Rasch geriet die Frage danach, welche Wohnungen in welcher Größe mit welcher Qualität eigentlich wo gebraucht werden, in den Hintergrund. Serielles und modulares Bauen soll es richten und das Mittel der Wahl sein, schnell und kostengünstig zu bauen.

„Burj Al Babas“-Projekt der Sarot Group, Mudurnu, Türkei 2014 ff., Foto: Esin Deniz / Shutterstock.com

Doch was ist eigentlich gemeint? Die Begriffe geraten durcheinander: Typenbauten, serielles Bauen, modulares Bauen, vorgefertigte Bauteile… Eine Bewertung erfolgt je nach Nutzen, den man sich von dem System verspricht und, auch das sei erwähnt, dem jeweils vermeintlichen Vorteil für die eigene Intention dient. Die Hoffnungen auf die Digitalisierung, ohne zu spezifizieren, worauf die Hoffnungen eigentlich beruhen, tragen ihr übriges zur Debatte bei. Um eine Sinngebung für das angesichts heutiger Wohnungsengpässe in Mode gekommene Schlagwort des „seriellen Bauens“ kreist die Debatte jedoch nicht. Rückblicke auf die Ansätze des seriellen Bauens in den 1920er Jahren und den Systembau der Nachkriegsarchitektur können Herkunft klären und bisherige Möglichkeiten und Potentiale, aber auch Defizite, die im Umgang mit serieller Architektur offensichtlich geworden sind, aufdecken.

Vieles von dem, was heute als Heilsversprechen hinsichtlich Effizienz, Baugeschwindigkeit und -kosten im Bereich des Wohnungsbaus, aber auch öffentlicher Bauten wie Kindergärten und Schulen proklamiert wird, beruht auf einer Idee, die schon mehr als einmal aktuell war. In der Auseinandersetzung mit dem Thema soll es nicht um eine Verteufelung auf der einen oder Lobhudelei auf der anderen Seite gehen, sondern um eine Objektivierung derzeit brodelnder Diskussionsbeiträge.

Anzuführen, dass seit jeher Architekten, Baumeister und Handwerker die Vorfertigung einzelner Bauelemente in allen Kulturkreisen vorantrieben, um die Effizienz des Bauens zu erhöhen, ist müßig. Wenden wir uns daher den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu, in denen die Frage des schnellen und rationellen Bauens von Wohnungen große Bedeutung erlangte. Unter den als fortschrittlich bezeichneten Architekten herrschte die Überzeugung, die Industrialisierung des Bauens stehe unmittelbar bevor. Ludwig Hilberseimer, Hugo Häring, Mies van der Rohe, Ernst May, Walter Gropius, Martin Wagner und andere sprachen und schrieben über Rationalisierung und damit auch über die Industrialisierung des Bauens. Bruno Taut beschäftigte sich mit Vorschlägen über die schrittweise Entwicklung der industriellen Vorfertigung, dachte an Skelettmontagen mit Füllelementen, schrieb aber auch über Verbilligung des Wohnungsbaus durch einfache Rationalisierung und setzte sich intensiv mit dem Serienbau auseinander, womit große Wohnanlagen mit wenigen Haustypen gemeint waren.

Bruno Taut, Hufeisensiedlung, Berlin-Britz, 1925 – 1933, Foto: David Kasparek

Die allseits bekannte und offensichtlich bis heute beliebte Hufeisensiedlung der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft Gehag in Berlin zeigt ein Musterbeispiel. Als Antwort auf das Bevölkerungswachstum, damit verbundener Wohnungsnot und auch als Reaktion auf überverdichtete Stadtteile mit sozialen und hygienischen Problemen, plante der Architekt Bruno Taut mit Stadtbaurat Martin Wagner und Gartenbauarchitekt Leberecht Migge die Siedlung mit 1.000 Wohnungen. Die Wohnanlage sollte Beispiel für die Überlegenheit des typisierten Bauens sein mit neuen, bis daher ungeübten Produktionsmethoden. Jedoch legte Taut großen Wert auf die städtebaulichen Räume und die Differenzierung der Typen mittels vielschichtiger Detailausbildungen oder Kolorierung. Die Kosteneinsparung stellte sich aber nicht wie erhofft ein, da die Baukosten letztlich doch über den geplanten Zahlen lagen. Der wirtschaftliche Erfolg hat sich wohl erst durch die dauerhafte städtebauliche, gestalterische und soziale Qualität gezeigt und besteht auch 90 Jahre nach Erstellung fort.

Eine dauerhafte Qualität scheinen heutige Vorschläge zum typisierten und seriellen Bauen gar nicht mehr im Sinn zu haben. Das hatten viele Siedlungen der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts offensichtlich auch nicht. Zumindest haben sie große Probleme hinsichtlich sozialer Stigmatisierung, fehlender städtebaulicher und architektonischer Akzeptanz und der ökologischen Parameter gezeitigt. An dem Absturz ganzer Quartiere durch Segregation aufgrund mangelnder Qualität, eines schlechten Images und einer kontinuierlich nach unten segregierenden Belegung, darf man nicht vorbeisehen, wenn man verantwortlich Wohnungsbau betreiben will. Abwärtsspiralen dürfen nicht schon in fehlender städtebaulicher und architektonischer Qualität angelegt werden.

Die Frage nach städtebaulicher Wirkung und Integrationsfähigkeit serieller Bauten muss geklärt sein, bevor die Frage der Produktionsmethode von Gebäuden entschieden wird. Über Produktionsmethoden muss letztlich der Markt entscheiden. Auch die Frage nach den zur Verfügung stehenden und mittel- bis langfristig vorzuhaltenden Fertigungskapazitäten wird über die Chancen der Vorfabrizierung entscheiden. Letztlich steht aber die Forderung nach hoher städtebaulicher und architektonischer Qualität vor der Produktionsmethode, da nur die Akzeptanz und Dauerhaftigkeit neuer Wohn- oder Schulbauten wirtschaftlich und gesellschaftlich gleichermaßen verantwortbar ist. Es ist die sorgfältige Unterscheidung der Begriffe notwendig sowie das Lernen aus der Geschichte des seriellen Bauens, um zu entscheiden, wo, wann, für wen und in welchem Maße Typ und Serie sinnvoll eingesetzt werden können. Die Idee, serielles Bauen sei ein Universal-Remedium für die Lösung der Wohnungsbaufrage, führt in die Irre. Dennoch gilt es, sorgfältig die Möglichkeiten serieller Bauproduktion heute und in Zukunft zu ergründen.

Heiner Farwick (*1961) studierte Architektur und Städtebau am Fachbereich Bauwesen der Universität Dortmund, wo er 1989 diplomierte. Von 1990 bis 1991 arbeitete er im Architekturbüro Hans Busso von Busse (München). 1992 erfolgte die Gründung des Büros farwick + grote architekten BDA und stadtplaner, Ahaus/Dortmund. 1996 wurde Heiner Farwick in den BDA berufen, war von 1998 bis 2007 Mitglied im Arbeitskreis Junger Architektinnen und Architekten im BDA (AKJAA) und von 2000 bis 2003 im Vorstand des BDA Münster / Münsterland. Farwick ist Mitglied in den Gestaltungsbeiräten von Coesfeld und Arnsberg. Von 2007 bis 2009 war Heiner Farwick kooptiertes Mitglied im BDA-Präsidium, ab 2009 Präsidiumsmitglied, seit 2011 Vizepräsident und seit Dezember 2013 Präsident des BDA.

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