editorial

klima und ästhetik

Fast wäre es beim BDA-Tag in Halle (Saale) zum offenen Disput gekommen. Zum Hintergrund: Am Nachmittag des Tages stellte der BDA sechs Projekte zur Diskussion, die pars pro toto aus den Einsendungen ausgewählt worden waren, die ein „Call for projects“ erbracht hatte. Dieser Aufruf war Ende letzten Jahres auf Initiative unserer Redaktion, von BDA und DAZ ergangen und hatte über 150 Einsendungen erbracht. Gezeigt werden sollte – nachzuvollziehen in der hier vorliegenden Ausgabe unserer Zeitschrift, beim BDA-Tag und in der Folge im DAZ – , dass es zahlreiche kleine und große Möglichkeiten gibt, der vermeintlichen „Alternativlosigkeit“ des Klimawandels im individuellen und gemeinschaftlichen Leben Lösungsansätze entgegenzusetzen.

Bei der Diskussion um die Projektvorstellungen aus ganz Deutschland erhob sich nicht zum ersten Mal die Frage nach den ästhetischen Kategorien, die auf klimaneutrale, nachhaltige, rezyklierbare oder sonstwie ökologisch orientierte Architekturen anzuwenden sind. Erfordern neue Materialien, neue Konstruktionsweisen und neue Zwecke einen anderen architektonischen Ausdruck als traditionell gebaute Häuser? Braucht das Umdenken, das der BDA-Tag mit dem Manifest „Das Haus der Erde“ akklamatorisch verabschiedet hat, vielleicht sogar architektonische Metaphern und Symbole, die erkennbar machen, dass es sich um eine neue Art von Architektur handelt, die sich aus dem Zwang gestalterischer Konvention und vordergründiger Kostenersparnis gelöst hat und anstelle dessen ostentativ Dauerhaftigkeit und Nachhaltigkeit demonstriert?

Die klassische Antwort auf die Frage gab Christoph Mäckler, der als Grandseigneur der Runde nicht ganz überraschend die Idee vertrat, dass Menschen zum Wohnen gut gemachte Räume brauchten, die sich mit den tradierten Mitteln des Hausbaus am besten erreichen ließen. Das Wohnen bedürfe keiner neuen Formen und keiner anderen Ästhetik. Dem pflichtete das Gros der Referenten zu. Nur der Kemptner Architekt Jörg Heiler (heilergeiger architekten BDA) räumte ein, dass es wahrscheinlich zwei Arten von Bauten geben könne und müsse. Wohnbauten seien vornehmlich von Zweck, Gebrauch und Bedürfnis des Menschen geprägt, während Gebäude mit öffentlicher Funktion auch metaphorische Formen haben könnten, um so etwas wie Appellcharakter zu bekommen. Im Plenum herrschte später darüber fast einmütig die Auffassung, dass die Frage der Ästhetik der Ökologie in der architektonischen Diskussion offenbar nur am Rande und mit unklarem Ausgang geführt werde.

Tatsächlich könnte man irrtümlich annehmen, dass die ästhetische Debatte angesichts der unmittelbaren Bedrohung unserer Lebensräume und -gewohnheiten von nachrangiger Bedeutung ist. Es droht das „Ende der Welt, wie wir sie kannten“, wie ein Buch von Claus Leggewie und Harald Welzer heißt. Geht es vielleicht nur noch um eine rigorose Pragmatik und nicht mehr, wie in der gesamten Geschichte der Architektur, um die Wohlgestaltung von nützlichen Räumen? Mit dieser eher politisch-wirtschaftlichen Sicht verzichteten Architekten auf die Anwendung der dem Berufsstand eigenen Befähigung und auf ein entscheidendes rhetorisches Mittel, das eine klimagerechte, also im Sinne des BDA dauerhafte Architektur populär machen könnte. Genau deshalb muss auch die Debatte um die ästhetischen Kriterien einer klimagerechten Architektur mit aller Klarheit und Entschiedenheit geführt werden. Denn natürlich ist es möglich, Konzepte, Materialien und Konstruktionen, die eine neue Architekturauffassung begründen, zum Thema, ja zum Ausdruck der Bauwerke zu machen, ohne sie gleich in die Hütten Schlumpfhausens oder weltraumtaugliche High-Tech-Monster mit banalen Klimahüllen zu verwandeln.

Schon vor genau zehn Jahren wurde an dieser Stelle in einem Beitrag zur „Ästhetik der Ökologie“ von einer „dritten Umdrehung“ der Architektur gesprochen. Nach dem Ende der Säulenordnungen als gestaltbestimmende architektonische Elemente und dem „Aus“ für das historische Gewand am Anfang des 20. Jahrhunderts sollte als dritte Antwort der Architektur auf den derzeitigen Epochenwandel ein konsequentes „Nachdenken über Materialeigenschaften, die Entwicklung und Wiederentdeckung von konstruktiven Spezifika, die einer höheren energetischen Effizienz zuträglich sind“ folgen, das „zwangsläufig zu einer anderen Architektur“ führen müsse. Damit war zum ersten Mal ausgesprochen, dass eine energieeffiziente, ressourcenschonende und klimagerechte Architektur genauso wie die Architektur der Moderne den Anspruch auf konzeptuelle Folgerichtigkeit, Materialgerechtigkeit und konstruktive Ehrlichkeit nicht nur beanspruchen, sondern auch als Ausdrucksform verkörpern sollte. Denn diese drei Kriterien führen durch ihr Zusammenwirken zu Gebäuden, deren umweltorientierte Konzeption ablesbar ist: Aus dem vorurteilsfreien Abwägen der Vorteile tradierter Typologien und radikaler neuer Lösungen entstünde, so unsere Forderung damals, gleichsam eine „Architektur der Verantwortung“, die ihren Zweck bildhaft sichtbar mache und als materialgewordenes Wort für ihresgleichen Propaganda macht. Diese gleichermaßen psychologisch wie sozial wirksame Dimension der Architektur könne unter anderem dazu führen, „dass wir Häuser nie mehr als Einzelbauwerke betrachten, sondern nur noch als Teile der Stadt, die wir inzwischen fast selbstverständlich als wesentlichen Lebensraum, als ‚Wohnung’ der meisten Menschen annehmen“. Offensichtlich ist es an der Zeit, diesen Faden wieder aufzunehmen und von Neuem zu diskutieren, wie aus der architektonischen Ästhetik ein Impuls für die Ethik werden kann.
Andreas Denk

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