Sie nennen es Abfall
Zum 1. August ist in Deutschland die sogenannte Mantelverordnung in Kraft getreten, die – obwohl bald der Herbst vor der Tür steht – nicht etwa bundesweit Bürgerinnen und Bürger zum Tragen von Mänteln verpflichtet, sondern als Kernstück die Ersatzbaustoffverordnung enthält. Das Ziel dieser Ersatzbaustoffverordnung klingt dabei erst einmal vielversprechend: Die Kreislaufwirtschaft im Bauen soll angekurbelt, das Recycling von mineralischen Abfällen, die in Deutschland den größten Abfallstrom darstellen, einheitlich geregelt und erleichtert werden.
Entscheidend ist jedoch, dass es hierbei lediglich um ein Recycling in technischen Bauten – und nicht im Hochbau – geht, beispielsweise für Straßen, Wege, Parkplätze, Baustraßen, Schienenverkehrswege, Lager-, Stell- und sonstige befestigte Flächen. Bei dem vermeintlich schwungvollen Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft geht es also wieder hauptsächlich um Downcycling, demnach eine unbefriedigende Degradierung des Baustoffs. Man hat den Eindruck, dass die begriffliche Unschärfe von „Recycling“ immer wieder zu Verzerrungen führt – denn im Prinzip fällt darunter alles, was man mit Abfall anstellt (am augenfälligsten wird die Ungenauigkeit beim „energetischen Recycling“, sprich: Verbrennen), und zudem spielt es meist keine Rolle, ob ein Stoff danach weiterhin im Kreislauf bleiben kann oder sich nur spiralförmig abwärts bewegt und irgendwann doch endgültig entsorgt werden muss. Nun hat es allein bis zur Umsetzung der genannten Mantelverordnung, die zu Beginn der Ära Merkel auf den Weg gebracht wurde, rund 17 Jahre gedauert. Es gilt zu hoffen, dass weitere Entwicklungen nicht erst in den 2050er-Jahren zu erwarten sind.
Auch bei der Kritik, die gegenüber der Ersatzbaustoffverordnung geäußert wird, geht es unter anderem wieder um ein begriffliches Problem: Ersatzbaustoffe sollen weiterhin bis zum Einbau als Abfall gelten. Dies stoße auf Ablehnung bei Bauherren, die Vorbehalte hätten, einen als Abfall deklarierten Baustoff zu verbauen. Hier wurde aber immerhin eine Änderung angekündigt: Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz arbeitet derzeit an einer Abfall-Ende-Verordnung, nach der hochwertige Ersatzbaustoffe nicht mehr als Abfall, sondern als Produkt eingestuft werden könnten.
Abgesehen von den frustrierend kleinen Trippelschritten, in denen die Circular Economy vorankommt, sollte klar sein, dass sie nur einen gewissen Anteil an der Begrenzung der Klimakrise und der Umweltverschmutzung leisten kann. Man wird früher oder später wohl nicht umhin kommen, auch die Produktionsmengen erheblich zu reduzieren und die Hersteller jeglicher Produkte in die Pflicht zu nehmen für das, was sie in die Welt setzen. Anschaulich wird es mit Blick auf die Meere, die Experten zufolge niemals wieder von den Milliarden Tonnen Plastik befreit werden können – sondern nur noch voller werden – sowie der Atmosphäre, aus der ein Großteil des anthropogenen CO2 vermutlich erst in einem Jahrtausend verschwunden sein wird: Am Ende zählt nur, was wir nicht produzieren und konsumieren.
Elina Potratz