tatort

Eine Familiengeschichte

Wieder fahnden wir nach einem Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Wir möchten dessen Bezeichnung und den Namen seines Architekten wissen. Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir ein Buch. Die Lösungsvorschläge können Sie per Post, Fax und e-Mail an die Redaktion senden (tatort@derarchitektbda.de).

Zum Ende der zwanziger Jahre reiste das junge Ehepaar einmal nach Südwesten und einmal nach Osten: Ziel waren jeweils später legendäre Bauausstellungen des Werkbundes, bei dem die neuesten Vorstellungen des modernen Wohnens präsentiert wurden. Seit der Hochzeit wohnte das wohlhabende Paar in einem zweigeschossigen Reihenhaus einer sächsischen Kleinstadt, das der Sohn vom unlängst verstorbenen Vater geerbt hatte. Ebenfalls Teil der Erbmasse war eine Nudelfabrik, die die Familie des verstorbenen Unternehmers mit auskömmlichem Einkommen versorgte. Nach der Geburt zweier Kinder wurde das Haus zu klein, so dass sich der Familienrat darauf einigte, dass die Familie ein neues Haus im Garten hinter der Nudelfabrik bauen sollte, während das ererbte Anwesen vom jüngeren Bruder bezogen wurde. Die Reisen des Ehepaars zu den Bauausstellungen dienten also nicht der reinen Erbauung, sondern vielmehr der Architektensuche, die erfolgreich endete: Der Nudelfabrikant bekam Kontakt zu einem jungen Mann, auf den er durch seine Beteiligung an der Ausstellung aufmerksam geworden war. Der Architekt wurde später einer der bekanntesten Architekten seines Landes, der eine mit organischen Elementen angereicherte Version moderner Architektur entwickelte. Der Bau in Sachsen ist in vielerlei Hinsicht ein Schlüsselwerk dieser Entwicklung.

Der Bauherr hatte konkrete Pläne, wie er sich später erinnerte: „Ein modernes Haus für zwei Eltern, vier Kinder und gelegentlich ein bis zwei Gäste; da der Garten zur Hauptsache nördlich des vorgesehenen Bauplatzes lag, sollte der Blick nach dort wohl frei sein, jedoch sollten die Wohnräume auch Südsonne haben; leichte Bewirtschaftung, nur eine Gehilfin für die Hausfrau; praktische Fußböden, einfach und leicht zu reinigende Bäder, Schlaf- und Waschräume; Wohn-, Wasch- und Baderaum für die Hausgehilfin; Möglichkeiten zur Blumenpflege, an der die Hausfrau besonders interessiert war…”. Die Küche wurde nach den neuen Prinzipien der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky eingerichtet. Drei Jahre nach dem ersten Treffen konnte die Familie in den ungewöhnlichen Neubau einziehen.

Bis zum Kriegsende wohnte die Familie – schließlich mit vier Kindern – im neuen Heim. Einen Tag nach der Hochzeitsfeier einer Tochter musste man vor der anrückenden Roten Armee fliehen. Ein Jahr nach dem Krieg gaben die Besatzer das Gebäude zurück, in dem zeitweise Offiziere einquartiert waren. Zugleich wurde die Nudelfabrik enteignet, weil sie die Wehrmacht mit Nahrungsmitteln beliefert hatte. Um den nötigen Lebensunterhalt zu verdienen, richtete die Mutter im Haus ein Erholungsheim für Kinder ein. Wenige Jahre später ging sie in den Westen, um zu ihrem Mann zu ziehen. Das Projekt, denselben Architekten mit dem Neubau eines weiteren Wohnhauses zu beauftragen, scheiterte nach wenigen Jahren wie auch die Ehe des Paares.

Währenddessen hatte die sächsische Kleinstadt das Haus gepachtet und ein Klubhaus für die Freie Deutsche Jugend eingerichtet. Später wurde es zum „Haus der Pioniere”. Nach der „Wende“ verzichtete die enteignete Familie auf eine Rückübertragung des Baus, der inzwischen als Kinderfreizeitzentrum genutzt wurde. Gerettet wurde das Haus, als die Wüstenrot Stiftung eine denkmalpflegerische Instandsetzung veranlasste. Die Familie veranlasste die Rückführung einiger originaler Einrichtungsgegenstände. Seit 2009 verfolgt eine Stiftung die Umsetzung eines musealen Nutzungskonzepts, das der Bedeutung des einzigartigen architektonischen und historischen Denkmals gerecht wird. Um welches Gebäude handelt es sich und wer hat es entworfen?

Der „Tatort“ der letzten Ausgabe war das im Volksmund „Café Verrückt“ genannte Café Worpswede, das Bernhard Hoetger 1925 als Café und Restaurant entwarf – Teil eines Backsteinesembles, zu dem auch die Große Kunstschau gehört. Der Gewinner des Buches ist Friedrich Osmers aus Hamburg.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert