kritischer raum

Eine Frage des Milieus

Sechs Stadthäuser im Braunschweiger Sankt Leonhards Garten von AHAD Architekten BDA, 2008 – 2010

Ein interessantes Experiment des gegenwärtigen Städtebaus findet gerade in Braunschweig seinen Abschluss. Auf dem Gelände eines ehemaligen Straßenbahndepots ist der „Sankt Leonhards Garten“ entstanden, eine Wohnanlage zwischen einem beliebten Quartier des 19. Jahrhunderts und einer etwas abgefallenen Großsiedlung der dreißiger Jahre mit erkennbarem Verbesserungsbedarf.

Nach einem städtebaulichen Ideenwettbewerb 2007 wurde Klaus-Theo Brenner mit der Weiterbearbeitung seines zweitplazierten Entwurfs beauftragt. Der in Potsdam arbeitende Architekt hatte einen Platz in der Figur eines Hippodroms mit umlaufender drei- und viergeschossiger Bebauung vorgeschlagen, die an drei Stellen von Erschließungsstraßen durchbrochen wird. Für dieses Areal entwickelte Brenner gemeinsam mit den Büros Kellner, Schleich, Wunderling (Hannover) und der Arbeitsgemeinschaft Walter Stamm-Teske und A 21 (Weimar) ein Gestaltungshandbuch, in dem verbindliche Regeln als Grundlage für die weitere Planung festgehalten wurden.

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

Brenners städtebauliches Ideal ist unverkennbar die Piazza Navona in Rom. Im unwesentlich nördlicher gelegenen niedersächsischen Oberzentrum sollte der lang gestreckte Platz mit halbkreisförmigen Enden indes eine kleinteilige Reihenbebauung mit der Präferenz für ein Mehrgenerationenwohnen mit etwa 50 Stadthäusern erhalten, die von Mehrfamilienhäusern mit etwa 100 Wohneinheiten gerahmt werden. Eine weitere Präzisierung des Konzepts gelang, als sich die federführende Stadtbehörde darauf festlegte, die Bauplätze ausschließlich an Baugruppen zu vergeben, die sich ihre Architekten allerdings frei wählen konnten.

Durch die Aufnahme des Projekts in das Programm zum Experimentellen Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) des Bundesbauministeriums war es unter anderem möglich, eine professionelle Betreuung der mitunter komplizierten und Zeit beanspruchenden Moderationsprozesse zwischen Architekten, potentiellen Bauherren, Wohnungswirtschaft, Stadt und Politik zu organisieren. Das Bemühen um eine homogene Gestaltung im Sinne eines „universal design“ betraf insbesondere das Format der Baukörper und ihre Gestaltung zum Platz.

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

Noch vor Kaufvertragsabschluss mussten die Entwurfspläne einem Gestaltungsbeirat vorgelegt werden, bei dessen Zustimmung sie Teil des Vertrags wurden. Dabei waren Mindestbedingungen zu erfüllen: Das im Internet öffentlich zugängliche Gestaltungshandbuch sieht eine durchgehende Baulinie zum Platzraum vor und eine Staffelung der Flächen vor den Häusern in eine fünf Meter private Zone, einen Bereich für Autoverkehr im Schritttempo und eine Parkspur. Vorgeschrieben sind Flachdächer, vertikal orientierte Lochfassaden ohne Vorsprünge zum Platz, die Verwendung von gemauerten Vormauerziegeln oder Klinkern aus rotem oder ockerfarbenem Ziegel und eine Abgrenzung der Häuser untereinander durch Fugen, in die Fallrohre eingelassen werden können. Loggien sind zulässig, empfohlen werden französische Fenster.

Das Ergebnis wirkt aus heutigem Blickwinkel enttäuschend: Selbst Gestaltungsfibel und Beirat haben eine überindividualisierte Auslegung des Bauprogramms nicht verhindern können. Die allzu libertär ausgelegte Materialverwendung, die teilweise allzu sehr verspringenden Traufhöhen und der Einbruch einer neoklassizistischen Hausgruppe in die ansonsten eher minimalistisch gestaltete Fassadenfolge schwächen die räumliche Wirkung der Anlage. Auch die Empfehlung, die Fassaden in der Platzrundung tatsächlich gerundet ausfallen zu lassen, blieb unerhört, was das nördliche Ende des Platzes recht unbeholfen wirken lässt. Ob die heute auffällige Heterogenität der Anlage in einigen Jahrzehnten und unter veränderten Rezeptionsbedingungen als gelungener Versuch zur Gestaltung eines einheitlichen Platzraums bewertet werden wird, ist – angesichts der heutigen Bewertung des Historismus – nicht ausgeschlossen.

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

Gut gelungen
Mindestens ebenso interessant wie die formale Konsequenz des Projekts ist indes sein soziales Gelingen. Der Entwurf von Katja und Sascha Ahad für sechs Reihenhäuser im Nordosten der Anlage ist ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten des Konzepts. Die Braunschweiger Architekten haben mit den vorgegebenen Richtlinien eine zusammenhängend wirkende Gruppe von Gebäuden entworfen, die die Flexibilität des Regelwerks für individuelle Grundrisslösungen, eine variantenreiche Architektursprache und gute Freiraumangebote nutzt.

Für das knapp 40 Meter lange Grundstück fand sich eine Gruppe von sechs Familien mit insgesamt zehn Kindern als Bauherrengemeinschaft „Upper Eastside“ zusammen. Aus drei verschiedenen Grundrisstypen entwickelten die Ahads in kontinuierlichen Planungsrunden mit den Mitbauherren sechs Reihenstadthäuser, die zwischen sechs und acht Metern breit sind. Ein gemeinsames Konstruktionsraster, die durchgehende Verwendung gleicher oder ähnlicher Materialien und die Standardisierung von Bauelementen hat Baukosten von deutlich unter 2000 Euro pro Quadratmeter ermöglicht. Trotzdem sind maßgefertigte Lösungen entstanden: Das Volumen der Reihenhäuser ist beidseitig mit loggienähnlichen Versprüngen und Terrassen auf mehreren Ebenen gegliedert.

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

Hier – im individuellen Grundriss und der raffinierten Staffelung der Baukörper, die ungedeckte Räume mit unterschiedlichen Graden von Privatheit eröffnet – entfaltet sich die Eigenheit der Hausgruppe. Und auch das Gemeinsame der Bauherrengemeinschaft hat einen sinnfälligen Ausdruck gefunden: Die Gärten der sechs Häuser sind, anders als die meisten anderen, nicht voneinander getrennt und mehr oder weniger zu einem gemeinsamen Aufenthaltsort der ansässigen Familien geworden: „Upper Eastside“ sei, so die Architekten, immer als „echte Bauherrengemeinschaft bewundert worden.“

Die Setzung der Sankt Leonhards Gärten zwischen altstädtischem Wohnquartier und stadtbaulicher Problemzone bewirkt jedenfalls eine Veränderung des „sozioenergetischen“ Potentials der Situation. Ein zu hoher architektonischer Anspruch birgt an dieser Stelle die Gefahr, eine Klientel anzusiedeln, die in der durchmischten Bevölkerungsstruktur des Quartiers zu einem sozialen Fremdkörper wird. In der ersten „Siedlungsphase“ haben sich vor allem junge Familien hier niedergelassen. Ältere Bewohner sind die Minderheit. Auch wenn sich das Konzept eines gemeinsamen Wohnens mehrerer Generationen (noch) nicht einlöst, scheinen zumindest Teilen der Bewohnerschaft Aspekte einer gemeinsamen Verantwortung für ein Zusammenleben in der Stadt wichtig zu sein.

Bei der Gestaltung des zentralen Platzes, die jetzt beginnt, ist wiederum ihre Mitarbeit gefragt. Die Offenheit der Gemeinschaften in den Sankt Leonhards Gärten entscheidet darüber, ob das städtebauliche Mustervorhaben zu einem integrativen Teil der Stadt wird oder als Luxusvariante akademischen Städtebaus theoretische Lehrbücher bereichert. Katja und Sascha Ahad und die Mitglieder der „Upper Eastside“ haben einen Teil zum Gelingen des Projekts bereits geleistet.
Andreas Denk

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

AHAD Architekten BDA, Stadthäuser St. Leonhards Garten, Braunschweig 2008 – 2010; Foto: Adrian Schulze

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