Buch der Woche: Frau Architekt

Endlich

Das Deutsche Architekturmuseum DAM wurde 1984 gegründet. Seitdem hat das Haus nach eigenen Angaben etwa 370 Ausstellungen gezeigt, von denen sich rund hundert einzelnen Architekten widmeten. Aber nur vier Ausstellungen zeigten das monografische Werk von Architektinnen –  vier Ausstellungen in 33 Jahren. Das ist, gelinde gesagt, nicht viel. Zumal inzwischen 53 Prozent der Architekturstudierenden in Deutschland Frauen sind. Unter den Absolventen, die dann als Architekten arbeiten, finden sich nur noch knapp 31 Prozent Frauen. Und die Anzahl derer, die ein Büro leiten, ist noch einmal deutlich geringer.

Obschon inzwischen viele renommierte Architekturlehrstühle an deutschen Hochschulen in Frauenhand sind, die Bundesarchitektenkammern und die Landeskammern in Berlin, Hamburg und Hessen Frauen an ihre Spitze gewählt haben und auch mehr Büros von Chefinnen und Partnerinnen geführt werden als noch zur Gründungszeit des DAM, ist die Architektur nach wie vor eine Männerdomäne. Dass sich diese Zahlen immer noch nicht in der beruflichen – und in Folge in der kuratorischen wie publizistischen Rezeption – niederschlagen, ist wenigstens erstaunlich. Schon deshalb kommt die im DAM gezeigte Ausstellung „Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf“ wie der gleichnamige Katalog also zur rechten Zeit – oder vielmehr: endlich!

Mary Pepchinski, Christina Budde, Wolfgang Voigt, Peter Cachola Schmal (Hrsg.): Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf, 316 S., 350 Abb., deutsch/englisch, Hardcover, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen 2017, ISBN 978 3 8030 0829 9

Mary Pepchinski, Christina Budde, Wolfgang Voigt, Peter Cachola Schmal (Hrsg.): Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf, 316 S., 350 Abb., deutsch/englisch, Hardcover, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen 2017, ISBN 978 3 8030 0829 9

Die Herausgeberinnen und Herausgeber Mary Pepchinski, Christina Budde, Wolfgang Voigt und Peter Cachola Schmal haben auf 316 Seiten ein reichhaltiges Konvolut zusammengetragen, dass Hintergründe beleuchtet, Geschichten erzählt, manches ins rechte Licht rückt und schließlich der Tatsache Rechnung trägt, dass Frauen „seit mehr als 100 Jahren im Architektenberuf“ agieren. Mehr noch als die Ausstellung, die, abgesehen von einigen kurzen (und teils krassen) Einführungsstatements und den erhellenden Kurzfilmen der Regisseurin Sophia Edschmid leider etwas in der Rückschau verhaftet bleibt, bereichert der Katalog die auch im DAM gezeigten 22 Beispiele von Architektinnen um geschichtlichen Kontext und aktuelle Bezüge.

Wie sehr das Frausein in der Architektur bis heute bedeutet, nicht ernst genommen zu werden, zeigen die bereits benannten Einführungsstatements in der Ausstellung ebenso wie Anekdoten in den Katalogbeiträgen. Wenn etwa Dörte Gatermann davon berichten kann, wie sie einst von einem Bauherren gefragt wurde, ob sie denn wirklich glaube – Wettbewerbsgewinn hin oder her –, dass er ein Projekt mit einer solchen Bausumme wirklich einer Frau anvertraue, oder eine anonyme Architektin in einer handschriftlichen Notiz mitteilt, sie hänge jetzt mit nur 32 Jahren „die Architektur fünf Jahre nach Diplom mit Berufserfahrung in Köln und London an den Nagel“, erlebe sie doch „viel Bullying und misogyne Chefs und Kollegen“, die sich allen Ernstes zu Kommentaren wie „Toughen up, Buttercup!“ hinreißen ließen, dann ist das bitter. Die Entscheidung vor dem Hintergrund dieser Schieflagen einen Berufswechsel anzustreben, ist nachvollziehbar.

Margarete Schütte-Lihotzky: „Die erste Frankfurter Architektin auf dem Hochbauamt“, Porträtzeichnung: Lino Salini

Margarete Schütte-Lihotzky: „Die erste Frankfurter Architektin auf dem Hochbauamt“, Porträtzeichnung: Lino Salini

Anhand der vorgestellten 22 Architektinnen zeigt der Katalog nach den fundierenden Essays, wo diese und jene Schieflagen auszumachen sind. Emilie Winkelmann etwa, die 1907 das erste Architekturbüro in Deutschland gründete, und fortwährend gegen Widerstände ankämpfen musste. Oder Lily Reich, deren Stahlrohrmöbel am Ende sogar Ludwig Mies van der Rohe zugeschrieben wurden, nur weil sie sich in seinen Entwürfen so gut machten. Oder Marlene Moeschke-Poelzig, die aus einem Foto zur Bebilderung eines Textes über das von ihr entworfene und gemeinsam mit ihrem Mann Hans bewohnte Haus herausgeschnitten wurde. Oder Margarete Schütte-Lihotzky, die von sich sagte: „Ich hatte mit Küchen nichts am Hut“, die jedoch von den Männern um sie herum zu dieser Aufgabe gedrängt wurde und bis heute vor allem für ihre Küchenentwürfe bekannt ist, während die wunderbaren Kindergärten aus ihrer Feder in der Rezeption untergegangen sind. Oder Gesine Weinmiller, die als Zweitplatzierte im Wettbewerb um den Berliner Reichstag neben Norman Foster für dessen Sekretärin gehalten wurde. Jede der vorgestellten Architektinnen kann mit ähnlichen Anekdoten aufwarten. Statt das jeweilige Werk zu betrachten, glänzten Zeitgenossen stets damit, die Weiblichkeit der Protagonistinnen zu betonen, im besseren Fall, oder eben herabwürdigende Zuschreibungen ins Feld zu führen. Iris Dullin-Grund etwa, die sich als Chefarchitektin des Wohnungsbaukombinats Neubrandenburg vom „Spiegel“ als „hübsche und naive Sozialistin“ titulieren lassen muss, oder Sigrid Kressmann-Zschach, deren bauliche Tätigkeit der Berliner Boulevard-Presse weniger Meldung wert sind als ihre Taille.

Warum also, müssen wir uns immer noch fragen, werden Frauen regelmäßig weniger stark wahrgenommen als ihre männlichen Berufskollegen? Neben vielen Antworten und weiteren Fragen, die dieser feine Ausstellungskatalog liefert, ist es dort schließlich Gesine Weinmiller, die einen der Gründe ironisch benennen kann: „Frauen sind eben keine eitlen alten Männer.“ Schließlich ist das Buch eine Würdigung der Leistungen von Frauen in der Architektur nach einhundert Jahren. Endlich.

David Kasparek

Mary Pepchinski, Christina Budde, Wolfgang Voigt, Peter Cachola Schmal (Hrsg.): Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf, 316 S., 350 Abb., deutsch/englisch, Hardcover, Ernst Wasmuth Verlag, Tübingen 2017, ISBN 978 3 8030 0829 9

Eine ausführliche Besprechung der Ausstellung „Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf“ lesen Sie in der architekt 6/17.

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