tatort

Falsche Bilder

Auch in dieser Ausgabe suchen wir ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per Post oder E-Mail an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 26. März 2018.

Der gesuchte „tatort“ liegt in einem bis vor wenigen Jahrzehnten vornehmlich durch die Schwerindustrie geprägten Teil des Landes. Die Neugründung einer Hochschule sollte mittels einer Bildungsoffensive die als vorrangiges politisches Ziel ausgerufene „Chancengleichheit“ befördern. In landschaftlich schöner Lage – über einem Tal, in dem sich bis heute viele Spuren des frühen Bergbaus finden – entstand deshalb im Süden der Stadt, die sich auch im Namen der Hochschule findet, um einen „Forumsplatz“ ein vielteiliger Campus mit einem eigenen Wohn- und Einkaufsstadtteil. Geplant hatte den Hochschulstadtteil ein Düsseldorfer Architekturbüro, das im Wettbewerb Alvar Aalto, Jacob Bakema und Hendrik van den Broek sowie Walter Gropius ausstach.

Foto: Andreas Denk

Wie die öffentlichen Gebäude in der griechischen Polis liegen am Forum das Audimax, die Bibliothek mit eigener Kunstsammlung, die Verwaltung, das Verfügungszentrum und – mit Talaussicht – die Mensa, während sich die Fakultäten als starke bandförmige Strukturen in zwei Reihen an einem Achsenkreuz dem Forum angliedern. Während die Sonderbauten spezielle architektonische Formen bekommen haben – die vieleckige Form des Audimax lässt sich als originelle Paraphrase auf den griechischen Tempel lesen – verdanken je 110 Meter langen Riesenbauten für die Fakultäten Medizin, Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Ingenieurbauwesen ihre architektonische Struktur dem Marburger Bausystem, das erstmals eine serielle Großbauweise mit vorgefertigten Fertigteilen ermöglichte.

Schon in den achtziger Jahren genoss die universitäre Sichtbetonarchitektur keine große Wertschätzung mehr. Vielmehr wurde sie – trotz eines klugen Kommunikationssystems mit Caféterien als Transferräume im Erdgeschoss jedes Fakultätsgebäudes und einer hochrangigen Ausstattung mit architekturbezogener Kunst – als Grund für die Entfremdung und Vereinzelung von Studenten im universitären Großbetrieb angesehen. Später belegte man die rustikale Architektur des Campus mit einem harmonisierenden, aber frei erfundenen Bild: Hier sei ein Hafen im Meer des Wissens entstanden, dessen zentraler Bau die Figur einer Muschel bekommen habe, während die Fakultätsgebäude Schiffe symbolisierten, die in diesem Hafen angelegt haben.

Die Zeit hat das Ensemble allmählich eingeholt: Zwei Gebäude der Ingenieurfakultät sind in alten Dimensionen neu gebaut worden, manche Zubauten verunklären das Gleichheitsprinzip, das die ursprüngliche Architekturlandschaft auszeichnete. Inzwischen stehen die Bauten, die nach und nach saniert werden, und die Gesamterscheinung unter Denkmalschutz. Die Bewertung des Campus hat sich nicht nur in Fachkreisen gedreht: Mehr und mehr werden Benutzern und Betrachtern auch die gestalterischen Vorzüge dieser „Universität im Grünen“ bewusst.

Der etwas schwieriger zu findende „tatort“ der Ausgabe 6/17 war das Hauptpostamt 6 in Dresden-Neustadt, das Wolfram Starke und Kurt Nowotny von 1962 bis 1964 ent- warfen und realisierten. Gewinner des Buch- preises ist Architekt BDA Andreas Rieger in Lübben (Spreewald).

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