Buch der Woche: Max Bill und die Architektur der HfG Ulm

Ganz im Geiste Ulms

Neben dem Bauhaus, das derzeit landauf, landab mit mal mehr mal weniger, relevanten Bezügen gefeiert wird, haben einige anderen Schulen einen tatsächlich stilbildenden Einfluss auf die Entwicklung hiesiger Architektur- und Gestaltungsdiskurse geübt. Eine davon ist unbestritten die Hochschule für Gestaltung in Ulm – kurz HfG. Auf zwei Ebenen war und ist die HfG Ausdruck eines neuen, grundlegend durchgelüfteten Deutschlands nach den Verbrechen und dem Muff der Nazi-Diktatur.

Ansicht Schulkomplex von Südwesten

Zum einen ist da die konkret gestalterische Ebene. Durch frisches, aufgeräumtes Industrie-Design wurden hier auch international gültige Maßstäbe gesetzt. So wurden in der Zeit der HfG von Teams aus Lehrenden und Studierenden der Hochschule die rot-silbernen Triebwagen der Hamburger Hochbahn oder das Corporate Design der Lufthansa entworfen. Hans Gugelot, damals Professor in Ulm, entwarf 1956 gemeinsam mit Dieter Rams die als „Schneewittchensarg“ in die Geschichte eingegangene Radio-Plattenspieler-Kombination SK 4 für Braun. Gugelot war es auch, der gemeinsam mit Max Bill und Paul Hildinger den – tatsächlich wenig gebrauchs- und rückenfreundlichen, aber dennoch legendären – „Ulmer Hocker“ konzipierte. Von 1967 bis 1972 war Otl Aicher, Mitbegründer und Professor an der HfG, Beauftragter für die Gestaltung der Olympischen Spiele von München, die bei der Neubewertung der Bundesrepublik in der internationalen Medienwelt maßgeblichen Anteil hatten. Ehemalige Studierende der HfG wie Alexander Neumeister oder Ferdinand Alexander Porsche prägten oder prägen bis heute durch ihre Entwürfe von Zügen und Sportwagen das Erscheinungsbild des Landes. Diese Kette der Bezugsgrößen lässt sich bis ins Hier und Jetzt fortführen, wenn man sich vor Augen hält, dass Jonathan Ive, Chefdesigner des Tech-Giganten Apple und verantwortlich für die Entwürfe der ersten iMacs, iPods und iPhones, sich in seiner Arbeit immer wieder explizit auf Rams bezog.

Blick von Nordwesten auf Werkstatt- und Lehrgebäude

Daneben war die HfG auch als gesellschaftliches Symbol von kaum zu verkennender Relevanz. Sie kann mit Fug und Recht als eine, wenn nicht die erste Institution der Bundesrepublik angeführt werden, die sich bewusst der Erinnerung des Widerstands gegen die Nazis und das gesellschaftliche Versagen im Nationalsozialismus verpflichtete. Dafür steht, neben der Programmatik der Schule selbst, der Name ihrer Mitinitiatorin Inge Scholl – älteste Schwester der von den Nazis ermordeten Sophie und Hans Scholl.

Weg zum Haupteingang und auf die Terrasse

„Das Erbe des deutschen Bildungsbürgertums bezog sich vornehmlich auf klassische, humanistische und traditionelle Themen. Zu Fragen des Neubeginns, der Veränderung der Gesellschaft waren kaum Autoritäten zu finden. Sie waren durch die Politik des Dritten Reiches entweder eliminiert worden oder mussten emigrieren. Es schien notwendig, über die Unterrichtsform einer Volkshochschule hinaus ein überregionales Zentrum einer aktiven Gegenwartskultur zu schaffen.“ So umreißt Inge Aicher-Scholl im Interview mit Hans Nick Roericht die Ausgangslage der Schulgründung. Gemeinsam mit Otl Aicher und dem Schriftsteller Hans Werner Richter, Leiter der legendären Gruppe 47, ist Inge Scholl Kern derer, die sich Gedanken über eine Schulneugründung machen. Aicher, Ideengeber und Verfasser von Texten zur Gestaltung, wird im Rahmen seiner Studien zu Architektur auf die Schriften von Max Bill aufmerksam, zu dem erstmals 1948 Kontakt aufgenommen wird.

Blick auf Mensa, Aula und Hörsaal

Von den ersten, noch vagen Ideen der Gründung einer „Geschwister-Scholl-Hochschule“ 1948 bis zur Eröffnung der Hochschule für Gestaltung vergehen gerade einmal sieben Jahre: Im Herbst 1953 wird mit dem Bau des Campusgebäudes begonnen und der Lehrbetrieb in provisorischen Räumen gestartet. Eingeweiht wird die Hochschule im Oktober 1955. Nur gut 13 Jahre später, zum 31. Dezember 1968, stellt die Geschwister-Scholl-Stiftung den Betrieb der Hochschule ein. Das von Max Bill entworfene Hochschulensemble wurde – ebenso wie die hier konzipierten Produkte, Filme, und dergleichen mehr – selbst zum beispielgebenden Vorbild. Eine frühe Ikone der Sichtbetonarchitektur auf deutschem Boden.

Max Bill mit dem Modell der HfG

Im Zürcher Verlag Scheidegger & Spiess liegt nun ein Buch vor, das die architektonische Entwicklung und Relevanz der HfG en detail nachzeichnet. Im wahrsten Wortsinne, wie im übertragenen. Dagmar Meister-Klaiber und Daniel P. Meister haben beide selbst an der HfG studiert, dort gearbeitet und nach und nach ein Atelier, ein Wohnturmzimmer, ein Gugelot-Appartement und ein Dozentenhaus in Ulm bewohnt. „Fünf Jahrzehnte Nutzererfahrung mit HfG-Bauten“ also, wie sie selbst bekennen. Stringent bauen die beiden das opulente Buch auf: Von der Entwurfs- über die Baugeschichte zu einer Entwurfsanalyse, gefolgt von der Nachgeschichte und der Betrachtung des „Baudenkmals HfG“. Den Abschluss bildet ein Anhang, der allein knapp 100 Seiten umfasst und Interviews mit Zeitzeugen, das Programm zum Bau, Biografien und die Einordnung der Person Max Bills versammelt.

Halle, genannt Säge

Bis ins Kleinste nehmen Dagmar Meister-Klaiber und Daniel P. Meister das Gebäude auf, zeigen Originalpläne der Bauausführung, die bis in die Details der Fensteranschläge, Stützenausbildung oder Treppenauftritte und -Neigungswinkel gehen, ebenso wie zeitgenössische Bestandsaufnahmen dieser und weiterer Bauteile, Details und Einbauten. Diese Akribie führt bis hin zu rekonstruierten Planungs- und Bauzeitenplänen der Bauteile des Hochschulkomplexes, die sich aus dem Buch herausfalten lassen.

Dabei geht es dem Autorenteam nicht nur um die Darstellung der Komplexität im vermeintlich Einfachen des Entwurfs von Bill, sondern auch um die Frage, wie heute und in Zukunft auf denkmalpflegerischer Ebene mit dem baulichen Erbe, das die HfG darstellt, umgegangen werden sollte. In der Gesamtschau entsteht so eine minutiöse Beschreibung eines der großen Klassiker der bundesdeutschen Nachkriegsmoderne, die sowohl in der Detailtiefe wie im Kenntnisgrad ihresgleichen sucht. Gemeinsam mit dem vermittelten Hintergrundwissen um die handelnden Personen und zeitgeschichtlichen Geschehnisse entsteht ein nachvollziehbares Bild eines beeindruckenden Ensembles, das sowohl die Architektur selbst wie auch die für ihr Entstehen entscheidenden Personen entsprechend würdigt.

David Kasparek

Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber: Einfach komplex. Max Bill und die Architektur der HfG Ulm, 650 S., 520 farb. und Duplex-Abb., 152 s/w Pläne, 140,Euro, Scheidegger & Spiess, Zürich 2018, ISBN 978-3-85881-613-9

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert