neu im club

Ganz und gar Architekten

Benjamin und Jan Wirth, Wirth=Architekten BDA, Bremen

Kurz vor dem anberaumten Interview-Termin mit den Gebrüdern Wirth in Bremen klingelt in Berlin das Redaktionstelefon. Am anderen Ende der Leitung meldet sich Benjamin Wirth, der jüngere der beiden Brüder: „Können wir das Interview vielleicht um eine Stunde nach hinten verschieben?“ Umplanungen in dieser Richtung des Zeitstrahls sind in aller Regel kein Problem. Warum, möchte ich dennoch gerne wissen. „Meine Freundin erwartet am Wochenende unser Kind und da wird 13 Uhr vielleicht ein bisschen knapp.“ „Aber 14 Uhr schafft ihr dann?“ frage ich mehr im Scherz zurück, doch der 1983 geborene Architekt antwortet ruhig und sachlich: „Ja, das sollte dann passen.“ Und tatsächlich, als ich am darauffolgenden Wochenbeginn das Gemeinschaftsbüro der just in den Arbeitskreis Junger Architektinnen und Architekten (AKJAA) berufenen Brüder im Bremer Steintorviertel betrete, sind beide vor Ort – keinem steht ein anstrengendes und von einer Geburt geprägtes Wochenende ins Gesicht geschrieben. Tief entspannt bereiten Jan und Benjamin Wirth mir einen Earl Grey Tee zu, setzen für die italienische Praktikantin und sich selbst Espresso auf. Dazu wird frischer Obstkuchen gereicht. Wir sitzen im Wintergarten, der dem Büro – das sich die Brüder mit zwei weiteren Architekten, einer Innenarchitektin, einem Kosmetikhersteller und einer Grafikerin teilen – als Besprechungsraum dient.

Aus Berlin kommend wirkt das „Viertel“ wie ein Idyll mit klar definierten Räumen, wohl proportionierten Häusern und einer homogenen Bebauungsstruktur. Die gebürtigen Bremer Jan und Benjamin Wirth aber zeigen sich latent genervt von der geringen Urbanität ihres unmittelbaren Arbeitsumfelds: „Den Erdgeschosszonen fehlt das Leben.“ Dennoch schätzen sie die Vielschichtigkeit des Austauschs mit den Sitznachbarn der anderen Disziplinen im Büro. „Das hält den Kopf frei, zeigt, dass es auch noch andere Dinge gibt als die eigene Arbeit, schärft aber auch die eigenen Gedanken, wenn man ab und an den anderen erklären muss, an was man gerade arbeitet“, erklärt Jan Wirth.

Benjamin Wirth hat an der Berliner UdK und in Paris studiert, sein Bruder in Lübeck, Paris, Rom und Bremen. Bereits in der Schule sind die beiden im Vorfeld in Kontakt mit Architektur gekommen. „Auch wenn unsere Eltern keinen dezidiert architekturinteressierten Hintergrund haben, gab es bei uns zuhause einen Bildband über Palladio-Bauten und einen mit Schinkels ‚Sammlung architektonischer Entwürfe‘,“ erinnert sich Benjamin Wirth. Und wie aus der Pistole geschossen beantwortet Jan Wirth meine Frage, warum er Architekt geworden sei: „Ich habe nie etwas anderes in Betracht gezogen. Der Schinkelband war das erste Buch, das ich mir bewusst durchgeblättert habe.“

Früh haben die beiden dann den Schritt in die Selbständigkeit gewählt. An den wenigen offenen Wettbewerben, die sich noch bieten, nehmen sie teil, wenn es sich zeitlich irgendwie einrichten lässt. „Nur wir gewinnen sie nicht“, lacht Jan Wirth. Ohnehin lachen beide viel – und das trotz der unzähligen Stunden, die die Brüder gemeinsam im Büro verbringen. Als Folgeprojekt der vielfach publizierten und ausgezeichneten, „Remisenpavillon“ genannten Garage bauen Wirth-Architekten derzeit ein weiteres Mini-Haus für Autos. Wieder in Backstein. Wieder mit unzähligen Skizzen und vielen, vielen Zeichnungen, auf denen sie die Grenzen von Konzept und Material ausloten. Zudem wurde das Büro inzwischen zu zwei beschränkten Wettbewerben eingeladen. „Wir haben hier eine super ‚jugend‘-freundliche Senatsbaudirektorin in Bremen, die sich stark für junge Büros einsetzt.“ Auch wenn die Wettbewerbe bis dato keinen konkreten Erfolge zeitigen, führt allein die Teilnahme doch dazu, dass sich das Büro in Fachkreisen zusehends einen Namen macht. Erste Anfragen für Projekte, die momentan jedoch noch nicht spruchreif sind, und die Hoffnung auf weitere Wettbewerbsteilnahmen deuten zumindest auf Folgeprojekte hin.

Ein beredtes Beispiel dafür, aber auch für die Haltung, mit der die zwei Architekten an die Entwurfsaufgaben herangehen, ist der Umbau einer typischen Bremischen Wohnung. Straßenseitig als halb unter dem Gehsteigniveau liegend, öffnet sich der Wohnraum zu einem Hof hin ebenerdig. Mit wenigen Interventionen haben die Architekten hier ein Kleinod geschaffen, das die beiden Wohnräume um einen inneren Außenraum erweitert: Nicht groß, nicht pompös, aber sensibel im Umgang mit dem Vorgefundenen.

Auch der „Carlskaskade“ titulierte Beitrag für den Wettbewerb eines Bürohauses im ehemaligen Bremer Hafenareal zeugt von dieser Arbeitsweise. Das Konzept sah dafür gedachte, voll aufgemauerte Wände vor, die die Betondecken tragen. Aus diesen Wänden wurden dann an den notwendigen Stellen Öffnungen herausgebrochen. Die Parabelfiguren, die sich dabei in der Ansicht ergeben, sind schließlich keine konstruktiv gemauerten Bögen, sondern die Kraftverlaufslinien der jeweiligen Brucharbeiten. Bauen konnten Wirth Architekten dieses Konzept zwar nicht, Aufmerksamkeit haben sie dennoch gewonnen.

Anders stellt sich das bisher mit der Medienpräsenz des Büros dar. Diese ist in doppelter Hinsicht beachtlich. Zum einen, weil es das Büru noch nicht so lange gibt, zum anderen, weil sie doch erheblich ist, wenn man betrachtet, mit welchem Bauwerk sie erreicht wurde. Der „Remisenpavillon“, die Garage rund fünfzig Kilometer südlich von Bremen, wurde inzwischen vielfach publiziert, diente auch Designern als Präsentationshintergrund für die eigenen Projekte. „Das ist aber völlig entkoppelt“, stellt der 1980 geborene Jan Wirth lapidar fest. „Potenzielle Bauherren freuen sich zwar darüber, wenn wir ihnen die Veröffentlichungen zeigen, aber konkret hat uns noch niemand angesprochen.“ Mit seinem perforierten Mauerwerk aus wiederverwerteten Altziegeln, der Sichtbetondecke und den Toren aus massiven Brettern einer alten Eiche hat es der Bau in Fachzeitschriften wie Tagespresse gebracht und sich nebenbei zu einer Art blog-Liebling gemausert. Das wäre auch für einen Bau, der „mehr“ ist als eine Garage, eine beachtliche Bilanz.

Ein weiteres Projekt, das Anspruch wie Herangehensweise des Brüderpaars verdeutlicht, ist das „Haus ohne Zimmer“. Zwischen eine liegende und eine stehende Wandscheibe haben die Architekten freistehende Volumen gestellt, die den Wohnraum strukturieren. In der Ansicht lassen sich die beiden Wandscheiben durch je eine schräge Kante ablesen. „Unser Ziel war es, dass der Dachabschluss ein Gesims für das ganze Haus bildet – nicht nur für die aufgestockte Etage“, erläutert Jan und Benjamin Wirth fügt hinzu: „Vor Augen hatten wir dabei den Palazzo Farnese in Rom, den Michelangelo nach einem Entwurf von Sangallo vollendet hat. Also der Umgang mit Gesimsen in der Spätrenaissance in Abgrenzung zur Stapelung der Geschosse in der Frührenaissance.“

Auch das „Haus Chapeau!“ verdeutlicht den Arbeitseifer und Enthusiasmus der Wirth-Brüder. Wo die Bauherren sich einen Dachausbau mit einigen Gauben vorstellten, konnten die Architekten sie im Laufe des Prozesses davon überzeugen, einen wirklichen Raum aufzustocken, der nicht nur innenräumliche Qualitäten hat, sondern durch die Ausrichtung der Fenster die benachbarte Kirche und den Straßenraum in Szene setzt. Auch das hat mehr Zeit gekostet, als ursprünglich veranschlagt, war aufwendiger als die „bequeme“ Lösung, den Bauherren „einfach“ den Gaubenwunsch zu erfüllen.

„Wirklich lukrativ ist unsere Arbeit nicht, so wie wir sie machen.“ Benjamin Wirth lacht wieder. Jan fügt hinzu: „Aber irgendwie können wir einfach nicht anders: Wenn wir das Gefühl haben, dass es besser geht, obwohl wir eine Lösung haben, mit der die Bauherren vielleicht sogar schon zufrieden sind, müssen wir einfach weitermachen.“ Nicht umsonst, fügt er an, sei das verbindende Element zwischen Name und Profession im Bürologo kein Bindestrich, sondern ein Gleichheitszeichen: „Wirth ist gleich Architekten. Architektur: Das ist das, was uns die ganze Zeit beschäftigt.“ Und so kommt es dann auch, dass die beiden trotz unmittelbar durchwachter Geburt des ersten Kindes pünktlich und pointiert im Gespräch Rede und Antwort stehen. Die Kindsmutter im Übrigen selbst ist Ärztin und vom Fach, wusste also um zeitliche Horizonte der geplanten Geburt und war zu jeder Zeit in die terminlichen Planungen mit dem Interviewgast aus Berlin eingebunden.

David Kasparek

www.wirth-architekten.com

neu im club im DAZ-Glashaus
Talk mit Benjamin und Jan Wirth: 6. September, 19.00 Uhr
Werkschauprojektion: 7. September bis 25. Oktober 2017

www.neuimclub.de
www.daz.de
www.derarchitektbda.de

Medienpartner: www.marlowes.de

neu im club wird unterstützt von dormakaba, Erfurt und Heinze, den BDA-Partnern und den Unternehmen des DAZ-Freundeskreises.

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