tatort

Geist der Zeit

Wieder einmal ist es soweit: Wir suchen ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegs-Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per Post, Fax oder E-Mail an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 11. Juli.

Unser heutiger „Tatort“ liegt in der Mitte einer Stadt im östlichen Ruhrgebiet. Er entstand im Zuge des Wiederaufbaus der zu 90 Prozent zerstörten City der ehemaligen Reichs- und Hansestadt. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert erhielt die Stadt, die als bedeutender Standort der Montanindustrie ein gewaltiges Wachstum erlebt hatte, erstmals ein eigenes Amt zur Gesundheitsfürsorge. Nach dem Krieg plante man, mehrere Einrichtungen dieser Art in einem Haus zusammenzuführen.

In einem mehrteiligen Gebäudeensemble mit achtgeschossigem Haupthaus brachte man eine Vielzahl von Untersuchungsräumen, die Tuberkuloseberatung, eine Schulzahnklinik und eine kreisärztliche Dienststelle mit zahlreichen Büros unter. Der Architekt dürfte wohl noch in Berlin bei Hans Poelzig studiert haben, was seine fast expressionistische Form- und Materialverwendung erklärt. Er erwies sich weiterhin durch den Bau eines Funk- und Fernsehturmsturms, durch einen großartigen Restaurantbau zu dessen Füßen sowie durch zahlreiche ungewöhnliche Privathäuser in derselben, hier gesuchten Stadt als Spitzenkraft der 1950er und 1960er Jahre. Er widmete das gesamte Haus in Erscheinung und Ausstattung dem Thema der Gesundheit.

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Foto: Andreas Denk

Die Stahlbetonskelettkonstruktion macht schon durch sein Äußeres einen freundlichen Eindruck, der jenseits jeder Krankenhausatmosphäre hygienisch, aber lebendig wirkt: Dieser Eindruck entsteht vor allem durch die Verkleidung des Hauptbaus mit zeittypischen kleinen Glasmosaikplättchen, die blau changieren und eigens für dieses Gebäude entwickelt wurden. Die helle und heitere Atmosphäre setzt sich im Innern des Gebäudes fort, das man über ein verglastes Foyer unter einem spielerisch wirkenden Vordach aus Beton-Halbtonnen betritt. Von hier aus führt der Weg entlang einer üppigen künstlerischen Ausstattung, die die Funktion des Gebäudes thematisiert, durch ein grandioses skulptural aufgefasstes, mit farbig gestalteten Terrazzoböden in die Etagen.

Die Verwendung von farbigen Glasbausteinen, die frei verteilten Deckenleuchten und die großen Glasflächen in vielen Räumen tragen dazu bei, dass man das Gebäude auch heute noch als künstlerischen „Beitrag zur Gesundheitspflege“ wahrnehmen kann, wie Stadt und Architekt zur Entstehungszeit wünschten. Das damals deutschlandweit beachtete Gebäude gehört fraglos zu den originellsten Schöpfungen seiner Zeit. Seit 1993 steht es unter Denkmalschutz. Seitdem der amtierende Oberbürgermeister der Stadt eine Neuordnung der städtischen Immobilien angekündigt hat, besteht jedoch die Gefahr, dass das Gebäude seine Funktion verliert: Eines der besterhaltenen und wichtigsten Denkmäler der westdeutschen Nachkriegsmoderne geriete so in Gefahr.

Der „tatort“ der Ausgabe 2/16 war die Philharmonie auf dem Berliner „Kulturforum“, die nach Plänen von Hans Scharoun 1960 bis 1963 errichtet wurde. Die Gewinnerin des Buchpreises ist Anja Bezdjian aus Pforzheim.

Foto: Andreas Denk

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