Sowjetischer Pavillon in Leipzig wird Stadtarchiv

Schichten der Stadtgeschichte

Oft dauert es etwas länger, bis für ein leer stehendes Baudenkmal ein passendes Nutzungskonzept gefunden wird – im Fall des sogenannten Sowjetischen Pavillons auf dem Gelände der Alten Messe in Leipzig hat es 20 Jahre gebraucht. Nun steht fest: Die ehemalige Messehalle wird zum Stadtarchiv umfunktioniert. Die hierfür beauftragten Büros ARGE Pfau Architekten/F29 Architekten BDA haben in Zusammenarbeit mit der Leipziger Denkmalpflege ein Konzept ausgearbeitet und zeigen dabei einen gelungenen Umgang mit den zahlreichen Spuren der Baugeschichte.

Entsprechend der jeweiligen baulichen Mode wurde das architektonische Erscheinungsbild immer wieder verblendet und umhüllt – so oft und so lange, dass der Ursprungsbau der 1920er Jahre schließlich beinahe in Vergessenheit geriet. Das Eingangsbauwerk des 1924 als Messehalle für Werkzeugmaschinen gebauten Gebäudes zeichnete sich durch eine langgezogenen Pfeiler-Kolonnade und einen zentralen kubischen Aufbau aus, verkleidet mit hochwertigem Kunststeinmaterial. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den das Gebäude ohne größere Schäden überstand, folgten Anfang der 1950er Jahre rasch aufeinander mehrere Umbauten, verbunden mit der Umwidmung zum Messepavillon der Sowjetunion. Die klassizistisch anmutende Pfeilerfront des Kopfbaus wurde dabei immer wieder unter einer Verkleidung versteckt, die entstehenden Flächen mit monumentalen Schriftzügen und Unionswappen geschmückt und ein schmaler Turm aufgesetzt.

Werkzeugmaschinenhalle um 1924

Werkzeugmaschinenhalle, später Sowjetischer Pavillon, um 1924

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Sowjetischer Pavillon, Ansicht, Zustand nach 1952, Quelle: ARGE Pfau Architekten / F29 Architekten

1952 wurde der Pavillon erneut umgestaltet, diesmal als Variation von Leitmotiven der altrussischen Moskauer Architektur, die in dem stalinistischen Baustil zu jener Zeit eine Renaissance erlebte. Der Eingang wurde nun als Rundbogen verbreitert, die Fassade durch Mauervorlagen stark plastisch durchformt und mit kostspieligen, weiß glasierten Meißner Keramikplatten ummantelt. Außerdem wurde der schmale Turm samt Unterbau durch größere, der neuen Prachtentfaltung angemessenere Exemplare ersetzt. Der neue Turmhelm erhielt eine Außenhaut aus Goldmosaik und einen krönenden Sowjetstern aus rotem Glas. So prunkvoll verblieb der Bau für zwei Jahrzehnte, obwohl man seine Architekturdekoration bald nach Ende der Stalin-Ära als überkommen und eher peinlich empfand. 1977 wurde die Verkleidung teilweise erneuert.

Sowjetischer Pavillon, Zustand des Umbaus der 1970er Jahre

Sowjetischer Pavillon, Zustand nach Umbau der 1970er Jahre, Foto: Peter Leonhardt

Das Aussehen der 1970er Jahre hätte sich wahrscheinlich bis heute erhalten, wäre nicht bei einer Bauzustandsanalyse 2002 festgestellt worden, dass die Teile der siebziger-Jahre-Fassade in derart schlechter Verfassung waren, dass ihr Abriss eingeleitet werden musste. Lediglich im Eingangsbereich ließ man auf Vorschlag der Denkmalpflege vier von Keramik befreite Blendpfeiler stehen, um ein optisches Fundament für den Turmaufbau zu bewahren. Was wir heute sehen, ist somit eine Art Mischwesen, dessen Pfeiler der 1920er Jahre neben dem goldenen Turm und den unverkleideten Überresten aus DDR-Zeiten bestehen. Dieses zusammengestückelte und zum Teil recht roh anmutende Erscheinungsbild soll bei den Umbauten zum Stadtarchiv weitgehend erhalten bleiben. Lediglich im Mittelteil sind weitere Pfeilerachsen eingefügt, die in ihrer Proportionierung zum einen die Imagination des gleichmäßig rhythmisierten Erbauungszustands zulässt, zum anderen aber auch die jüngeren Hinzufügungen respektiert. Die mittleren Achsen werden mit Glas geschlossen, um ein Foyer für den geplanten Lesesaal im ehemaligen Vestibül zu schaffen. Die an dieser Stelle freigelegten ziegelsichtigen Pfeilervorlagen und der Turmunterbau werden hell verputzt und nähern sich somit der Keramikfassade an. Die geplanten Maßnahmen setzen also nicht auf eine prägnante Handschrift oder rekonstruieren die Einheitlichkeit einer präferierten Zeit, sondern lassen Brüche und Widersprüche bestehen. Eine Vielzahl an baulichen Schichten sowie auch ihre Vergänglichkeit wird dabei anschaulich und nachvollziehbar – und die Architektur somit nicht nur funktional, sondern auch baulich zum Archiv der Leipziger Stadtgeschichte.

Sowjetischer Pavillon, Zustand heute

Sowjetischer Pavillon, Zustand heute, Foto: Peter Leonhardt

Entwurf für den Umbau des Sowjetischen Pavillons zum Stadtarchiv, Quelle: ARGE Pfau Architekten / F29 Architekten

Entwurf für den Umbau des Sowjetischen Pavillons zum Stadtarchiv, Quelle: ARGE Pfau Architekten / F29 Architekten

Elina Potratz

Fotos: Peter Leonhardt, ARGE Pfau Architekten/F29 Architekten

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