Buch der Woche: Luftschlosser

Gestern und morgen im Heute

Günter Zamp Kelp, 1941 im transylvanischen Bistritz geboren, war nach seinem Architekturstudium an der TU Wien gemeinsam mit dem Architekten Laurids Ortner und dem Maler Klaus Pinter von 1969 bis 1992 Teil der Architekten-Künstler-Gruppe Haus-Rucker-Co. Diese Gruppe erarbeitete sich im Laufe der Zeit einen nachgerade legendären Status innerhalb der Kunst- und Architekturwelt. Im Leipziger Verlag Spector Books hat Ludwig Engel nun ein Buch herausgegeben, das sich einem Teil dieses legendären Werks annimmt. Es ist mit dem etwas eigentümlich anmutenden Wort „Luftschlosser“ betitelt und schon diese Überschrift sagt viel über Kelp, Haus-Rucker-Co und auch über die Ernsthaftigkeit aus, mit der Engel sich diesem Oeuvre seit mehreren Jahren widmet.

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Der Luftschlosser als Ideenproduzent, der gleichermaßen handwerklich arbeitet, wie seine Gedanken in höheren Sphären rotieren – das ist hier Zamp Kelp selbst. Das Buch zeigt Projekte, die im Rahmen von Haus-Rucker-Co entstanden und solche, die nach 1992 gedacht, gezeichnet und mitunter auch gebaut wurden. Gemeinsam haben Ludwig Engel und Zamp Kelp dafür das umfangreiche Archiv des zwischen 1988 und 2009 an der Universität der Künste Berlin lehrenden Architekten und Professors gesichtet und neben Bild- und Planmaterial auch diverse Essays zutage gefördert. Sie wurden zum Teil von Kelp aktualisiert. Dazu kommen tagebuchartige Einträge von ihm – in der Ich-Form abgefasst – in den Randspalten des Buchs, die Schlaglichter auf jedes Jahr werfen, und wie ein biografischer Abriss der Karriere des Architekten das komplette Buch begleiten.

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Sechs kurze, neu geschriebene Science-Fiction-Geschichten runden die Publikation ab und vergegenwärtigen die Arbeiten Zamp Kelps in einer fiktiven (natürlich) Zukunft erneut. Gerade diese Geschichten nehmen zum Teil auf frappierende Art und Weise vorweg, was wir nun tatsächlich erleben, manche sich wünschen, einige aber womöglich auch gruseln lässt ob der Möglichkeit von Isolation und gedanklichem wie visuellem Eskapismus.

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Ganz vorne ist da „Francis im Wochenenddrama“ zu nennen. Kelp imaginiert hier das Leben eines Mannes, der im London des Jahres 2170 – inzwischen Küstenmetropole – als Hafenmeister arbeitet und, statt eines Kurztrips in die Karibik, das Wochenende in einer, vor sein Wohnungsfenster montierten, Sphäre verbringt. Die Konstruktion erlaubt es ihm, in simulierte Welten abzutauchen. Diese Verquickung aus einer im Jahr 2019 erfundenen Zukunft, die auf einen eigenen Entwurf aus dem Jahr 1967 und dessen Weiterentwicklung von 2011 rekurriert, ist an und für sich schon spannend, durch die pandemischen Ereignisse des Jahres 2020 aber erhält die Geschichte eine neue Wucht und aktuelle Eindringlichkeit.

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Nicht immer gelingt diese Form der Translozierung gleich gut. Wie ein fiktives Paar das gemeinsam von Zamp Kelp, Julius Krauss und Arno Brandlhuber entworfene und anno 2255 „umgenutzte“ Neanderthal Museum erlebt, wirkt bisweilen deutlich weniger elegant. Die Form der Nachnutzung soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Dennoch zeugen diese Geschichten von genau jenem ernsthaften Witz, der die Arbeit von Haus-Rucker-Co von Beginn an auszeichnete. Ein guter Witz ist schließlich immer eine ernste Sache. Und ernste Dinge lassen sich mit einem gerüttelt Maß an Witz oft präziser ausloten als ohne.

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Zamp Kelp: Luftschlosser, hrsgg. v. Ludwig Engel, Spector Books, Leipzig 2020

Ludwig Engel fasst das im Gespräch so zusammen: „Natürlich ist (heute; Anmerk. d. Verf.) alles überhaupt nicht gut, aber ein kritischer Umgang mit der Gegenwart bedeutet nicht, ein Schritt zurück, sondern ein noch viel intensiveres Denken nach vorn.“ So ist das, was Ludwig Engel und Zamp Kelp hier zusammengetragen haben, keine museale Rückschau auf ein abgeschlossenes Werk, sondern eine Befragung von sich stetig weiterentwickelnden Gedanken und Ideen mit Blick auf Gegenwart und Zukunft. Diese Befragung befördert mitunter erstaunliche Aktualitäten zutage, die zeigen, dass sich die Beschäftigung mit den gezeigten Projekten von Haus-Rucker-Co und Zamp Kelp vor allem ob ihrer durch das Buch vorgenommenen Kontextualisierung einmal mehr lohnt.
David Kasparek

Zamp Kelp: Luftschlosser. Ein Blick auf Haus-Rucker-Co / Post-Haus-Rucker, hrsgg. von Ludwig Engel, 238 S., 166 S/w- und Farbabb., 28,– Euro, Spector Books, Leipzig 2020, ISBN 9783959053273

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert