Jasper Cepl

Hertzberger trifft Palladio

Andrea Palladio: Die vier Bücher zur Architektur (1570)
Herman Hertzberger: Lessons for Students in Architecture (1991)

Dr.-Ing. Jasper Cepl (*1973) studierte Architektur an der RWTH Aachen und der TU Berlin. Diplom 2000, Promotion zum Dr.-Ing. 2006. Seit 2003 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin, Fachgebiet Architekturtheorie. Neben zahlreichen eigenen Veröffentlichungen arbeitete er auch am Standardwerk „Quellentexte zur Architekturtheorie“ (Prestel, München 2002), herausgegeben von Fritz Neumeyer, dessen Neuausgabe derzeit in Vorbereitung ist.

Von den wenigen Büchern, die ich hatte, als ich 1993 anfing, Architektur zu studieren, waren es zwei, die mich besonders beschäftigten. Sie hätten nicht unterschiedlicher sein können, und das war es wohl, was mir so zu denken gab. Es waren Herman Hertzbergers „Lessons for Students in Architecture“, die 1991 bei 010 Publishers erschienen waren, und „Die vier Bücher zur Architektur“ von Andrea Palladio; davon hatte ich eine 1988 veröffentlichte Studienausgabe der Neuübersetzung, die Andreas Beyer und Ulrich Schütte 1983 beim Verlag für Architektur Artemis herausgebracht hatten. An beide Bücher war ich durch Zufall gekommen, und den „Palladio“ hatte ich mir, wenn ich mich recht entsinne, nicht einmal selbst ausgesucht; den hatten mir meine Eltern geschenkt. Sie hatten sich wahrscheinlich nicht viel dabei gedacht. Meine Mutter – eine Germanistin – bekam Autorenrabatt bei dem Verlag, zu dem damals auch der Verlag für Architektur gehörte. Und so bekam ich aus dem Programm bei Gelegenheit das eine oder andere Buch geschenkt, denn dass ich einmal Architektur studieren wollte, das war mir schon während meiner Schulzeit klar geworden.

Durch Zufall kam ich auch an den „Hertzberger“, den ich mir allerdings selbst ausgesucht hatte. Zu den alljährlichen Ritualen in meinem Elternhaus gehörte vor Weihnachten ein gemeinsames „Bücherkaufen“ mit anschließendem Abendessen. Wir fuhren dazu nach Bonn zur Buchhandlung Bouvier, auch wenn wir im Kölner Süden wohnten. Bouvier war ein großer, ziemlich labyrinthischer, nicht wirklich schöner, aber irgendwie sympathischer Laden, den es heute so nicht mehr gibt. Und weil es in Köln so einen Laden auch damals nicht gab, fuhren wir halt nach Bonn, um uns dort einen Nachmittag durchzustöbern. Meine Eltern und Geschwister kamen dabei auf ihre Kosten, nur bei mir ließ die Vorfreude – als ich begann, mich für Architektur zu interessieren – mehr und mehr nach. Denn Bücher über Architektur gab es bei Bouvier kaum. Es waren die paar üblichen Publikumstitel, wie man sie eben in einer normalen, gut sortierten Buchhandlung findet. Wie Hertzbergers „Lessons“ dazwischen geraten konnten, ist mir bis heute schleierhaft. Aber da ich nun einmal etwas auszusuchen hatte, nahm ich das Buch, auch wenn ich mich nicht gerade danach verzehrte, nach einigem Durchblättern mit, weil es mich von allem, was da war, immer noch am meisten interessierte.

Es waren dann tatsächlich Palladio und Hertzberger, die ich in meinen ersten Semestern immer wieder vornahm, auch wenn ich nicht sagen kann, dass ich sie wirklich „durchgearbeitet“ hätte. Ich habe sie eher durchblättert, um immer mal wieder hier und dort hineinzulesen.

Und ehrlich gesagt habe ich den „Hertzberger“ auch schon länger nicht mehr aus dem Regal geholt. Erst die Bitte, etwas ‚bekenntnishaftes‘ zu schreiben, hat mich dazu gebracht, das Buch wieder einmal in die Hand zu nehmen, um nachzusehen, was mich damals interessiert und damit auch zum weiteren Nachdenken über Architektur angeregt hat. Es war wohl der Blick für das räumliche Detail: das Interesse daran, Räume zu schaffen, die zum Gebrauch einladen, und das Bemühen, zu vermitteln, worauf man im Entwerfen achten sollte. Dass Hertzberger dazu nicht nur das eigene Werk erklärte, sondern auch in die Architekturgeschichte zurückgriff – Palladio gehört natürlich zu den Beispielen – machte seine „Lessons“ umso lehrreicher.

Doch wenn ich mich frage, was am Ende hängen geblieben ist, dann würde ich sagen: Hertzberger hat mich der Moderne näher gebracht. Weniger den Formen, eher den Anliegen, um die es geht (und von denen bei Palladio natürlich nichts zu erfahren war). Bauten wie die Diagoon-Häuser oder das Verwaltungsgebäude der Centraal Beheer sind mir immer noch wichtig, auch wenn ich mich für ihre Durchgestaltung im Detail nicht wirklich erwärmen kann – heute noch weniger als damals.

Andererseits bin ich auch kein glühender Verehrer von Palladio, auch wenn ich seine „Vier Bücher“ immer wieder zur Hand nehme. Was mich damals vor allem faszinierte, war das, was Palladio in seinem ersten Buch über die rechte Form von Räumen zu sagen hatte. Die Regeln, die er aufstellte, um ihre Breite, Länge und Höhe aufeinander abzustimmen, erschienen mir – gerade in der Bestimmtheit, mit der er ihre Verhältnisse festlegte – zugleich, ohne dass ich mir das erklären konnte, merkwürdig einleuchtend und in ihrer Großzügigkeit natürlich auch äußerst verwegen. Da werden die Räume so hoch, wie sie breit sind, und, wenn sie länglich oder überwölbt waren, auch höher.

Mit dem, was wir im Studium machten, hatte das nichts zu tun; aber ich fragte mich, ob nicht an Palladios Regeln trotzdem etwas dran war. Ich habe mir Räume ganz besonders genau angesehen, um herauszubekommen, welche Verhältnisse mir gefallen. Und später habe ich mich auch einmal in einem (eher fragenden) Aufsatz damit beschäftigt, wie sich die Raumbewertung in der Moderne ändert (2004 in Wolkenkuckucksheim erschienen). Das Nachdenken über den Raum beschäftigt mich immer noch, derzeit in Forschungen zu Richard Lucae.

Auf verschlungenen Wegen hat mich Palladios absolute Raumvorstellung zu Autoren wie Le Corbusier, Hermann Muthesius oder C. F. A. Voysey geführt, die sich Räume ganz anders dachten. Und damit schließt sich auch der Kreis zu Hertzberger. Denn die Suche nach einem differenzierten Verständnis vom architektonischen Raum begann für mich mit der Gegenüberstellung von Hertzbergers „moderner“ und Palladios „klassischer“ Auffassung. Da entstand eine Spannung, die im Grunde kaum auflösbar war, denn es war doch an beiden Raumvorstellungen etwas dran. Eine einfache Antwort gab es also nicht. Und so blieb mir nur übrig, die Ideen, die ich da kennenlernte, nicht als Antworten, sondern als Hypothesen zu verstehen – als Ideale, deren Gültigkeit ich für mich, in meiner Wahrnehmung von Form, zu prüfen hatte.

Ich bin heute nicht einmal ein besonderer Fan von Hertzberger oder Palladio, und andere Architekten liegen mir mehr am Herzen, aber: Wenn ich heute Studenten erkläre, dass Architekturtheorie helfen kann, die eigene Wahrnehmung zu schärfen, dann habe ich dabei nicht zuletzt diese Erfahrung in Erinnerung.

Andrea Palladio: Die vier Bücher zur Architektur, 472 S., 32,95 Euro, Birkhäuser, Basel 41993, ISBN 978-3-7643-5561-6.

Herman Hertzberger: Lessons for Students in Architecture, 272 S., 29,50 Euro, 010 Publishers, Rotterdam 1991 / 2009, ISBN 978-90-6450-562-1.

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