Spaziergänge mit Heiner Farwick

Im Raesfelder Renaissance-Tiergarten

Ein Tag im späten Oktober beschert dem Präsidenten des BDA, Heiner Farwick, und dem Chefredakteur dieser Zeitschrift, Andreas Denk, einen Spaziergang durch den klassischen Farbkanon des Herbstes: Der Park des Renaissanceschlosses Raesfeld bietet eine sorgfältige Komposition von Wasserflächen und -läufen, Wiesen und Wäldern, die mit Symmetrie und Asymmetrie, überraschenden Ausblicken und monumentalen Sichtachsen erfreut. Auch der Präsident hat hier gebaut: Aus dem Büro Farwick Grote stammt der Entwurf für ein Besucherzentrum, dessen gläserne Oberfläche das quaderförmige Haus in der umgebenden Landschaft aufgehen lässt. Eigentlich ein schönes Thema, aber die Herren treibt anderes um: Können BDA-Architekten etwas zum gesellschaftlichen „Zusammenhalt“ beitragen?

Andreas Denk: Ein großes Thema der gerade vorüber gegangenen Klausurtagung des neugewählten BDA-Präsidiums war die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Zeit. Alle Anwesenden haben die Perspektive geteilt, dass der Zusammenhalt zwischen den sozialen Schichten, zwischen Alt und Jung, zwischen den verschiedenen Ethnien in Deutschland zunehmend Auflösungserscheinungen zeigt. Klar war am Ende auch, dass wir, dass der BDA dieses Thema mit Weitblick behandeln wollen, weil Handeln in gesellschaftlicher Verantwortung der Kern des Selbstverständnisses des Bundes ist. Wo sehen Sie Handlungsansätze für den BDA?

Heiner Farwick: Für den BDA steht neben vielen anderen Themen jetzt vorrangig auf der Agenda, was Stadtentwicklung und was Architektur mit divergierenden Tendenzen der Gesellschaft zu tun haben. Sind sie lediglich Spiegel dieser Entwicklung? Oder können und müssen sie einen Beitrag dazu leisten, dass die losen Enden wieder näher zusammenrücken?

Andreas Denk: Als Architekt oder Stadtplaner darf man gegebenermaßen davon ausgehen, dass das eigene Tun gesellschaftliche Relevanz hat. Stadt und Architektur beeinflussen, ja, prägen das menschliche Leben, vielleicht bestimmt die künstliche Natur, die wir um uns herum errichten, unser Leben sogar in einem Maße, wie es uns selbst oft nicht bewusst ist…

Heiner Farwick: Es gibt da eine Wechselwirkung, die oft viel zu wenig gesehen wird. Das wird in unseren Tagen gerade beim Thema des Wohnens deutlich: Vor lauter Freude der Immobilienwirtschaft, dass auch Wohnungen wieder zum begehrten Anlage-Asset geworden sind, wird verkannt, dass das „Wohnen“ für den Menschen eine ganz andere Bedeutung hat. Es ist sicherlich Aufgabe des BDA, auf solche Kurzschlüsse hinzuweisen und Konzepte zu entwickeln, wie dieses gesellschaftliche Werkzeug besser im Sinne des Menschen gehandhabt werden kann.

Andreas Denk: Gesellschaftliche Konflikte sind vorprogrammiert, wenn manche Menschen sich alles erlauben können und andere offensichtlich zum Treibgut von Gentrifizierung und Segregation werden. Fast über das gesamte 20. Jahrhundert – nur die letzten 35 Jahre nicht mehr – haben sich Sozialpolitiker und Architekten darüber Gedanken gemacht, wie die Verteilung des Wohnraums so erfolgen kann, dass „alle“ etwas davon haben, und zwar nicht nur auf die Fläche bezogen, sondern auch auf die Qualität und Ästhetik. Wäre es nicht spätestens jetzt, wo sich sogar für die Finanzwirtschaft Wohnbau wieder „rechnet“, Zeit für einen Ordnungsruf des BDA?

Heiner Farwick: Gerne will ich auf die Stadterweiterungen und die kommunalen Siedlungen der 1920er Jahre verweisen. Es war die Gestalt der Stadt, die durch diese Siedlungen erzeugt und bewahrt werden sollte – eine übergeordnete Ebene, der sich jede Straße, jedes Haus, jeder Garten anzupassen hatte. Obwohl es auch in diesen Siedlungen größere und kleinere Häuser und Wohnungen gab, bessere und schlechtere Lagen und auch reichere und ärmere Bewohner, war die architektonische Aussage immer eine zugunsten der Allgemeinheit, zugunsten der Stadt. Insofern war den Siedlungen immer auch ein symbolischer Gehalt zu eigen – etwas, über das wir heute in der Architektur kaum noch zu sprechen wagen. Dazu kommt: Wir merken ja schon seit längerem, dass wirklich durchmischte Quartiere bedeutend weniger Probleme haben als andere.

Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Es wird sicherlich nicht ganz ohne einen Umbau der Städte abgehen – zumindest was die Stärkung der Quartiere angeht, in deren besserer Ausstattung ich immer noch die größte Chance auf Gemeinschafts- und Verantwortungsbildung sehe. Sie haben das Beispiel des Siedlungsbaus der 1920er Jahre angeführt. Er wurde aber nur möglich, weil es eine Hauszinssteuer gab, die auf Immobilien erhoben und in gemeinnützigen Wohnungsbau investiert wurde, damit auch die unterprivilegierten Schichten an der wachsenden Qualität des Wohnungsbaus teilhaben konnten. Solche wirtschafts- und wohnungspolitischen Steuerungselemente gibt es heute nicht mehr…

Heiner Farwick: … aber auch das Modell „Weniger Staat – mehr Markt“ hat in den vergangenen Dekaden seine Probleme offenbart. Die Verantwortung der Städte für das Gemeinwohl, für das Leben der Menschen scheint viel größer zu sein als viele Verantwortliche das über Jahrzehnte hinweg akzeptiert und dabei das Thema aus den Augen verloren haben. Gerade in den großen Städten sprechen wir, wenn es um die Not an bezahlbarem Wohnraum geht, ja nicht über Randgruppen der Gesellschaft, sondern über breite Kreise bis in die Akademikerschaft hinein. Ein noch eklatanteres Beispiel ist die größer werdende Zahl älterer Menschen, die mit den Jahrgängen der Babyboomer zur kritischen Masse werden wird. Hat man hier Vorsorge getroffen, dass die Gesellschaft bei stark ansteigendem Pflegebedarf noch funktionieren kann? Wie, wo und unter welchen Umständen wird dann gewohnt? Ist unser Alter nur ein Finanzprodukt , das dem Verkäufer eine weitere gute Rendite einbringt oder geht es um eine soziale Aufgabe von generationenübergreifender Bedeutung?

Andreas Denk: Das Problem ist in den ersten Ansätzen jetzt schon sichtbar: Es wird viele Ältere geben, die sich bei kaum steigenden Renten – die bei den meisten Bürgern durchschnittlich etwas mehr als 1.000 Euro bei Männern und bei unter 800 Euro bei Frauen – eine eigene Wohnung, einen Heimplatz oder kontinuierliche Pflege nicht mehr oder nur noch bedingt und in bestimmten Teilen der Städte erlauben können. Der Wunsch nach einem Alter als verdientem Ruhestand bei guter Gesundheit und hoher Lebenserwartung wird sich für viele nur sehr bedingt einlösen, wenn nicht schon jetzt über neue Modelle der Versorgung, der Pflege und der Nachbarschaftshilfe im Quartier nachgedacht wird. Sonst droht die Verelendung nicht nur einer, sondern vieler darauffolgender Generationen. Diese Aussicht beinhaltet soziale Sprengkraft von bisher kaum diskutierten Ausmaßen.

Heiner Farwick: Und sie erhebt damit den Anspruch an Politiker, Planer und Architekten, sich diese Verwerfungen in ihrer räumlichen Konkretion statistisch vorzustellen und öffentlich und genau zu benennen. Wir müssen jetzt anfangen, präzise architektonisch-stadtbauliche Modelle für Stadt und Land zu entwickeln, die mit solchen Phänomenen rechnen und gute Lösungsmöglichkeiten vorschlagen, deren Ziel die bestmögliche Lebensqualität und größtmögliche Sozialität unserer Städte sein muss.

Andreas Denk: Der Appell des BDA muss in beide Richtungen gehen. Der BDA muss nach innen – also in seine eigene Mitgliedschaft hinein – und nach außen, für die Gesellschaft, aber auch für die Politik verdeutlichen, welche Konflikte das Gemeinwesen auf dieser Ebene ins Haus stehen.

Heiner Farwick: Wir müssen im BDA wieder mehr politisches Bewusstsein entwickeln. Nach innen müssen wir noch mehr Mut dazu machen, dass BDA-Architekten aus ihrem Problembewusstsein und ihrer Kenntnis der Umstände vor Ort heraus Lösungsansätze finden und öffentlich machen, die in den Städten, Dörfern und Regionen beispielhaft wirken können. Nach außen muss sich der BDA darum bemühen, die Meinungshoheit zu Fragen der Stadt und der Architektur auszubauen, auch wenn sich das nur über klare und offene Worte über Missstände erreichen lassen wird, die die Politik gern vermeidet. Wir müssen verdeutlichen, dass die Architekten des BDA nicht allein unternehmerische Nutznießer günstiger Wirtschaftslagen sind, sondern ihre besondere Begabung und Befähigung dazu nutzen, drängende gesellschaftliche Probleme zu bedenken und zu lösen. Diese Arbeit am Zusammenhalt der Gesellschaft darf man vom BDA und seinen Mitgliedern erwarten.

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