Niko Paech

Klimaschutz

Zwischen Kulisse und Substanz

Solange das grandiose Scheitern aller bisherigen Nachhaltigkeitsbemühungen nicht kritisch durchleuchtet wird, um daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, sind auch zukünftig keine wirksamen Nachhaltigkeits-, insbesondere Klimaschutzmaßnahmen zu erwarten. Dabei fallen insbesondere zwei Kategorien ins Gewicht, die kurz skizziert werden sollen, nämlich erstens die nicht nur ungebrochene, sondern sogar forcierte Wachstumsorientierung und zweitens massive Rebound-Effekte, die Ressourceneinsparungen zunichtemachen, wenn nicht gar überkompensieren. Daran anschließend wird auf das Konzept der Postwachstumsökonomie eingegangen.

Herausforderungen begegnen
Infolge des Klimawandels und anderer dramatischer ökologischer Probleme stehen zeitgenössische Konsumdemokratien vor einer historischen Weggabelung: Soll der für die Umweltkrise ursächliche Prozess unbegrenzter Wohlstandssteigerungen fortgesetzt oder um der Rettung der menschlichen Zivilisation willen abgebrochen werden? Letzteres würde bedeuten, den Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung wachstums- oder gar fortschrittskritisch zu begegnen. Demnach hieße Klimaschutz, sesshaft und genügsam zu leben, folglich weniger (oder gar nicht mehr) zu fliegen, kein eigenes Auto zu besitzen, weniger Fleisch zu essen, keine neuen Häuser, Produktions- und Verkehrsanlagen mehr zu bauen (vorhandene sogar teilweise zurückzubauen), weniger Konsum, weniger digitale und sonstige industriegefertigte Bequemlichkeit zu beanspruchen.

Durch ein derartiges Zugeständnis an notwendige Selbstbegrenzungen wäre das Projekt der Moderne, welches sich niemals aus etwas anderem als einer Permanenz materieller Expansionsspielräume zu speisen vermochte, nicht nur blamiert, sondern als vorerst gescheitert zu betrachten. Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, tobt eine beispiellose Mobilmachung, um das Konsummodell und eine kosmopolitische Lebensführung mit der technologischen Brechstange ökologisch reinzuwaschen – so aussichtslos dies auch ist. Die Umsätze an Bionade, Ökostrom, Naturtextilien, Passivhäusern, Elektrofahrzeugen oder öko-fairem Kaffee steigern sich. Solaranlagen auf den Dächern alter und immer mehr neuer Wohnhäuser wachsen sich zum architektonischen Dress Code eines erwachten Verantwortungsbewusstseins aus. Die weniger ansehnliche, aber essentiellste Seite der grünen Wachstumsstrategie ist ein Amoklauf gegen den Rest halbwegs intakter Naturgüter: Bis dato unversiegelte und unbebaute Landschaften werden einer hektischen Nachindustrialisierung mit Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien, demnächst ergänzt um Speichereinrichtungen und Stromtrassen, unterzogen. Landschaftsschutzgebiete sind längst kein Tabu mehr. Grünes Wachstum bildet die gegenwärtige Kulisse einer nachhaltigen Entwicklung, die zu keiner substanziellen Umweltentlastung beiträgt.

Corwith Intermodal Facility der BNSF Railway in Chicago, Foto: Corwith Intermodal Facility Chicago

Abgesehen von unbedeutenden Ausnahmen lässt sich kein ökologisch relevantes Handlungsfeld finden, in dem die Summe der seit langem bekannten oder neuen Schadensaktivitäten nicht permanent zugenommen hätte. Selbst gesellschaftliche Nischen, in denen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre progressiv-ökologische Lebensmodelle verortet werden konnten, haben den Widerstand gegen die Verlockungen eines komfortablen, geographisch entgrenzten Daseins allmählich aufgegeben; ihr ehemals wegweisender Impuls ist längst in einer Flut der materiellen Aufrüstung, ausuferndem Wohnraum, Digitalisierung, Einweg-Vermüllung und vor allem Fernreisen versunken. Die Anzahl gebildeter, sich politisch progressiv gerierender Menschen, deren globaler Aktionsradius mit einem individuellen CO2-Fußabdruck einhergeht, der alles bisher für möglich gehaltene übertrifft, nimmt sprunghaft zu. Das Insekten- und Singvogelsterben, Elektroschrottgebirge, Plastikkontamination und die horrende Flächen- und Naturzerstörung sprechen Bände. Alles wächst um die Wette: das Zerstörerische, das etwas weniger Zerstörerische und das vermeintlich noch weniger Zerstörerische mit aufgepfropfter Nachhaltigkeitssymbolik.

Die Unbekümmertheit, mit der einem vorprogrammierten Ökosuizid der Weg gebahnt wird, kulminiert unter anderem in der unwidersprochenen Verlautbarung, Deutschland leide unter „Wohnungsnot“. Dabei liegt die pro Kopf genutzte Wohnfläche bei sage und schreibe 46,5 Quadratmeter. Zugleich ergießen sich die Reaktionen auf die „Fridays for Future“ in einhelliger Zustimmung und Rührung. Spätrömische Dekadenz und ein vorgegaukelter Nachhaltigkeitssinn scheinen sich nicht im Geringsten auszuschließen.

Grünes Wachstum?
Der ideologische Überbau, mit dem sich alle parallelen Wachstumsexzesse bemänteln und legitimieren lassen, heißt „grünes“ Wachstum. Technischer Fortschritt vermittels Ressourceneffizienz, Kreislaufwirtschaft und erneuerbaren Energien soll demnach die Güterproduktion und Mobilität von ökologischen Schäden entkoppeln. Dieses schöne Genuss-ohne-Reue-Versprechen ist allerdings schon theoretisch nicht widerspruchslos darstellbar. Es scheitert – je nach konkretem Anwendungsfeld – an diversen materiellen, finanziellen und psychologischen Rebound-Effekten. Gemeint sind damit die Nebenwirkungen technischer Nachhaltigkeitsinnovationen, die der beabsichtigten Umweltentlastung entgegenwirken oder diese sogar überkompensieren können. Dieses Phänomen lässt sich auch am Beispiel des klimaschonenden Bauens und Sanierens verdeutlichen, basierend auf Effizienzmaßnahmen (Dämmung der Gebäudehülle, Optimierung der Heizungsanlage und Wärmeverteilung) und dem Einsatz erneuerbarer Energieträger (PV, Solarthermie, Wärmepumpe, Pelletheizungen).

Erstens: Viele diese Maßnahmen sind mit einem erheblichen Materialaufwand verbunden (Dämmmaterialien, technische Geräte, Solaranlagen, neue Fenster), deren Produktion und Entsorgung problematisch sein kann (WDVS, Kunststoffe), und zwar sowohl die indirekte Energie, eingesetzte Mineralien als auch die Toxizität betreffend. Oft wird also ein positiver Klimaeffekt mit der Entstehung neuer Schäden in einem anderen physischen Medium oder Aggregatzustand erkauft.

Zweitens: Selbst wenn die technische Optimierung gelingt, lässt dies keine Rückschlüsse auf die tatsächlichen Energieverbräuche zu, weil diese nicht nur von der Technik, sondern auch vom Nutzerverhalten abhängig sind. Letzteres kann gerade aufgrund der Gewissheit, dass die Hardware optimiert ist, an Motivation für klimagerechtes Verhalten verlieren.

Drittens: Auch wenn Technik und Nutzerverhalten zugleich klimaschonend sind, kann daraus nichts über den Energieverbrauch beziehungsweise die CO2-Menge pro Kopf geschlussfolgert werden. Schließlich kann eine um den Faktor zwei gesteigerte Energieeffizienz durch eine verdoppelte Wohnfläche zunichte gemacht werden.

Viertens: Angenommen, Technik, Nutzerverhalten und Wohnfläche erweisen sich als kompatibel mit Klimaschutz, dann ist nicht auszuschließen, dass die eingesparten Kosten eine steigende Konsum- und Mobilitätsnachfrage finanzieren können. Damit kann sich die individuelle CO2-Bilanz unter Berücksichtigung aller klimarelevanten Praktiken sogar verschlechtern.

Fünftens: Sich für Klimaschutzmaßnahmen innerhalb eines spezifischen Handlungsbereichs zu verausgaben, etwa für das eigene Haus, kann auch eine symbolische Kompensation für andere, extrem klimaschädliche Aktivitäten (zum Beispiel Kreuzfahrten, Flugreisen, SUVs) sein.

Reduktion
Insoweit die Technik grandios versagt, das Klimaproblem durch eine Entkopplung des ohne Wachstum nicht zu stabilisierenden Wohlstandsmodells zu lösen, verbleibt als Lösung nur, die Produktionsmenge besonders energieintensiver Güter schrittweise so lange zu reduzieren, bis deren Nebenwirkungen einen verantwortbaren ökologischen Rahmen nicht mehr überschreiten. Dies ist kein tugendethischer Imperativ, sondern eine schlichte mathematische Konsequenz. Um die Ökonomie so zu gestalten, dass Menschen befähigt sein können, langfristig mit höchstens 2,5 Tonnen CO2 pro Jahr auszukommen – nur so ließe sich die Einhaltung des Zwei-Grad-Klimaschutzes global gerecht darstellen –, wären sowohl die Nachfrage- als auch die Angebotsseite reduktiv anzupassen.

Das Prinzip der Suffizienz zielt darauf, Reduktionspotenziale auf der Nachfrageseite zu erschließen. Sie konfrontiert konsumtive Selbstverwirklichungsexzesse mit der Frage: Von welchen Energiesklaven und Komfortkrücken ließen sich überbordende Lebensstile und schließlich die Gesellschaft als Ganzes befreien? Welcher Wohlstandschrott, der längst das Leben verstopft, obendrein Zeit, Geld, Raum sowie ökologische Ressourcen beansprucht, ließe sich ausmustern? Dafür liefert eine zeitökonomische Theorie der Genügsamkeit Beweggründe jenseits moralischer Appelle: In einer Welt der Informations- und Optionenüberflutung, die niemand mehr verarbeiten kann, werden Überschaubarkeit und Entschleunigung zur Notwendigkeit. Das zunehmend „erschöpfte Selbst“(1) verkörpert die Schattenseite einer gnadenlosen Jagd nach Glück, die immer häufiger in Überlastung umschlägt. Eine „Befreiung vom Überfluss“(2) würde nicht bedeuten, auf etwas zu verzichten, sondern sich auf eine Auswahl an Konsumaktivitäten und -objekten zu beschränken, die ohne Stress und Reizüberflutung bewältigt werden kann. Selbstbegrenzung und vor allem Sesshaftigkeit – globale Mobilität hat Konsumaktivitäten als klimaschädlichste Form der Selbstverwirklichung längst verdrängt – ist Selbstschutz vor psychischer Überforderung, der nebenbei dem Klima zugutekommt.

Würde die industrialisierte Wertschöpfung schrittweise um 50 Prozent reduziert und der dann verbleibende Bedarf an Arbeitszeit neu verteilt, ergäbe sich für jede erwachsene Person im Durchschnitt eine 20-Stunden-Beschäftigung. Damit ließe sich bestenfalls noch eine suffiziente Konsumausstattung finanzieren. Jedoch würden die nunmehr freigestellten 20 Stunden Spielräume für handwerkliche Ergänzungsleistungen und kooperative Selbstversorgung eröffnen.

Nutzungsintensivierung durch Gemeinschaftsnutzung: Wer die Nutzung von Gebrauchsgegenständen mit anderen Personen teilt, trägt dazu bei, industrielle Herstellung durch soziale Beziehungen zu ersetzen. Doppelte Nutzung bedeutet halbierter Bedarf. Verschenk-Märkte, Tauschbörsen, -ringe und -partys sind weitere Elemente.

Nutzungsdauerverlängerung: Wer durch handwerkliche Fähigkeiten oder manuelles Improvisationsgeschick die Nutzungsdauer von Konsumobjekten erhöht – zuweilen reicht schon die achtsame Behandlung, um frühen Verschleiß zu vermeiden –, substituiert materielle Produktion durch eigene produktive Leistungen, ohne auf Konsumfunktionen zu verzichten. Wo es gelingt, die Nutzungsdauer durch Instandhaltung, Reparatur, Umbau durchschnittlich zu verdoppeln, könnte die Produktion neuer Objekte entsprechend halbiert werden. Offene Werkstätten, Reparatur-Cafés und Netzwerke des hierzu nötigen Leistungs- und Erfahrungstausches würden dazu beitragen, ein modernes Leben mit weniger Geld und Produktion zu ermöglichen.

Eigenproduktion: Im Nahrungsmittelbereich erweisen sich Hausgärten, Dachgärten, Gemeinschaftsgärten und andere Formen der urbanen Landwirtschaft als dynamischer Trend, der zur De-Industrialisierung dieses Bereichs beitragen kann. Künstlerische und handwerkliche Betätigungen reichen von der kreativen Wiederverwertung ausrangierter Gegenstände – zum Beispiel zwei kaputte Computer ausschlachten, um daraus ein funktionsfähiges Gerät zu basteln – über selbst gefertigte Holz- oder Metallobjekte bis zur semi-professionellen Marke „Eigenbau“.

Moderne Subsistenz bedeutet Autonomie, insbesondere sich durch subversive Taktiken unabhängig(er) von Geld- und Industrieversorgung zu machen. Das Rezept ist einfach: Industriegüter werden durch eigene Produktionen ersetzt oder durch selbsttätige und kooperative Subsistenzleistungen „gestreckt“, um das Potenzial der Bedürfnisbefriedigung durch eine reduzierte Produktionsmenge zu vervielfachen. Dazu sind drei Ressourcen nötig: Erstens handwerkliches Improvisationsgeschick, künstlerische und substanzielle Kompetenzen. Zweitens werden eigene Zeitressourcen benötigt, denn manuelle Verrichtungen, die energie- und kapitalintensive Industrieproduktion ersetzen, sind entsprechend arbeitsintensiv. Drittens sind soziale Netze wichtig, damit sich verschiedene Neigungen und Talente synergetisch ergänzen können. Eine derart komplementäre Versorgung steigert die Krisenresistenz und mindert den Wachstumsdruck, weil monetäres durch soziales Kapital ersetzt wird.

Die Rolle der Politik bestünde darin, eine Reduktion und Umverteilung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen zu erleichtern. Wirtschaftspolitik wäre umzudefinieren: Nicht konsumtive Fremdversorgung durch Industrieproduktion, sondern die Befähigung zur möglichst autonomen Selbstversorgung müsste zum Leitbild werden. Eine für das 21. Jahrhundert taugliche Sozialpolitik kann sich nicht mehr allein auf Transferleistungen oder eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen beschränken; sie müsste die ökonomische Resilienz, also Krisenrobustheit, zum Ziel haben. Kommunale Verwaltungen könnten Anbauflächen, brach gefallene Immobilien und Werkstätten verfügbar machen, um neuen Formen einer urbanen Subsistenz Raum zu geben. Bildung und Erziehung könnten sich stärker an geldlosen Versorgungspraktiken, vor allem handwerklichen Befähigungen orientieren. Unternehmen könnten Reparaturkurse anbieten, um Instandhaltungswissen anstelle von Produkten anzubieten. Über politische Maßnahmen müsste gegen „geplante Obsoleszenz“ vorgegangen werden, damit aus hilflosen Konsumenten souveräne Reparateure werden. Denkbar wären gesetzlich verankerte Gewährleistungs- und Garantiefristen, die so lang sind, dass Produzenten keinen Anreiz haben, kurzlebige Ex-und-Hopp-Designs zu vermarkten.

Das Leben in einer derartigen „Postwachstumsökonomie“(3), die hier natürlich nur bruchstückhaft skizziert werden konnte, ist von Sesshaftigkeit und materieller Genügsamkeit geprägt, aber sehr entspannt. Diese Auffassung von nachhaltiger Entwicklung ist kein Unterfangen des zusätzlichen Bewirkens, sondern des kreativen Unterlassens. Die Kunst der Reduktion und teilweisen Selbstversorgung ist nichts anderes als ein Übungsprogramm. Natürlich könnte damit bereits jetzt begonnen werden, aber das sollten nicht zu viele tun, denn sonst wird der Kollaps, auf den derzeit alles zusteuert, schließlich noch verhindert. Das wäre viel zu radikal.

Prof. Dr. Niko Paech (*1960) studierte bis 1987 Volkswirtschaftslehre an der Universität Osnabrück, ehe er 1993 promoviert wurde. Parallel arbeitete er als Unternehmensberater im Bereich ökologische Lebensmittel und begann 2001 seine Tätigkeit an der Universität Oldenburg in der Forschungsgruppe Unternehmen und gesellschaftliche Organisationen sowie Sustainable Markets Emerge. Seine Habilitationsschrift verfasste er zum Thema „Nachhaltiges Wirtschaften jenseits von Innovationsorientierung und Wachstum – Eine unternehmensbezogene Transformationstheorie“. Nach verschiedenen Lehraufträgen lehrt er seit 2016 im Rahmen des Masterstudiengangs „Plurale Ökonomik“ an der Universität Siegen und wurde dort 2018 zum außerplanmäßigen Professor ernannt.

Anmerkungen
1 Ehrenberg, Alain: Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart, Frankfurt / Main 2015.
2 Paech, Niko: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München, 2012.
3 Ebd.

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