kritischer raum

Transformation und Palimpsest

Das Schusterbauerhaus in München-Alt-Riem von Peter Haimerl, München 2014/15

Peter Haimerls Ruhm wird vor allem durch seine originellen Umbauten alter Bausubstanz größer. Der Neubau des unterirdischen Konzertsaals im oberpfälzischen Örtchen Blaibach, der 2016 mit der „Großen Nike“ des BDA ausgezeichnet wurde, ist nur scheinbar eine Ausnahme: Eigentlich entwickelt der Münchner Architekt mit seinem Projekt „zoomTown“ strukturelle Ideen für die Stadt der Gegenwart, wenn nicht der Zukunft. Meist jedoch fällt das Rampenlicht auf seine originellen Neuinterpretationen von bayrischen Bauernhäusern wie „Birg mich Cilly!“ oder „Haus Schedlberg“. So auch diesmal.

Die Umgestaltung des Schusterbauerhauses, ein bis vor kurzem nahezu abbruchreifes Stück Geschichte in München-Alt-Riem, ist nämlich durch das beherzte Eingreifen Peter Haimerls und des Immobilienentwicklers Stefan Höglmaier zu einem Kabinettstück der Architektur geworden. Das Haus ist der übriggebliebene Wohn- und Scheunenbau eines kleinbäuerlichen Anwesens aus der Zeit um 1750, auf dem ein Bauer ursprünglich neben einer bescheidenen Vieh-, Feld- und Gartenwirtschaft auch als Schuster etwas dazu verdient hat – ein für die ländliche Wirtschaft des 18. und 19. Jahrhunderts sehr übliche Wirtschaftsweise. Im südwestlich gelegenen Teil des Hauses wurde gewohnt und gearbeitet, der unter einem Dach daran anschließende „Stadl“ war Stall und Scheune. Der letzte Eigentümer war nicht mehr Bauer, sondern Metzger und erwarb mit Rennpferden ein Millionenvermögen. Er überließ schließlich das kleine Anwesen seinem Knecht, der sich seinerseits durch Wetten um Kopf und Kragen brachte. Seit den 1990er Jahren stand das Haus leer: eine Münchner Geschichte.

Haimerl hat bei seinem Umbau des baulichen Wracks, das zu Zeiten des Leerstands offenbar „ausgeschlachtet“ worden war, so viel wie möglich „gelassen“. Fast vollständig war ihm das in den ehemaligen Wohnräumen des Schusterbauern möglich: Fenster- und Türrahmen sowie die gezimmerte Innenstruktur wurden wiederhergestellt oder rekonstruiert. An einigen Stellen der Fassade, jedoch vor allem in den gezimmerten Wänden und der Holzdecken der Wohnräume des südwestlich gelegenen Wohnbereichs hat der Architekt die unterschiedlichen Farbschichten der Wände und der Holzdecken freigelegt und konserviert. Verputzte Wandteile verbergen die notwendige neue Elektro- und Heizungsinstallation. Eine Reihe von Türblättern und die Erdgeschossböden mussten neu gearbeitet werden – dabei ließ sich zudem das Gehniveau vertiefen, um hier höhere, halbwegs zeitgemäße Raumhöhen zu erreichen.

Im Stall fand sich kaum etwas, das weiterverwendbar war: Hier setzte Haimerls Idee einer Transformation des Gebäudes mit einem einschneidenden Eingriff an: Ausgehend vom 45-Grad-Winkel der Dachneigung konstruierte der Architekt einen quadratischen Betoneinbau, den er dem Gebäude als auf die Spitze gestellte Raute mit gleich langen Schenkeln über die gesamte Tiefe und bis zum First einverleibte und als vertikal und horizontal zueinander versetzte Raumsequenz ausformulierte.

Von außen sieht das Gebäude mit restaurierten und ergänzten Fensterrahmen, mit frischem Putz aus wie ein gut restauriertes Baudenkmal, das ein ambitionierter bayrischer Denkmalpfleger unter seine Fittiche genommen hat. Im Innern überrascht der südwestliche Teil durch den Erhalt fast der gesamten überlieferten Raumstruktur, der Stallbereich durch die ungewöhnlichen Raumformen, die der durch Raumpodeste wohnbar gemachte Betoneinbau ermög-licht. Hier ersetzte der Architekt die äußeren Wandflächen im hinteren Teil des Gebäudes durch traufhohe Verglasungen, die auf der Vorderseite mit scheunentorähnlichen Bretterverschlägen geschlossen werden können. Auf Rück- und Giebelseite des Hauses fügte er weitere Fenster ein. Durch die verschiedenen Schnittwinkel zwischen der Raute und den Horizontalebenen entstehen völlig unterschiedliche Räume, deren komplexe Folge durch die neue Lichtregie dramatisch, fast expressionistisch inszeniert wird.

Vom Betoneinbau profitiert auch die andere Wohnung, weil so der Einbau einer Essküche über die volle Gebäudetiefe möglich wurde. Auch das Badezimmer hat durch die Belichtung über die Schräge des Einbaus einen ganz eigenen atmosphärischen Charakter gewonnen. Wenn das Fehlen kubischer Raumformen im „neuen“ Teil des Gebäudes einen Verzicht auf manche tradierte Vorstellung vom „Wohnen“ bedeutet, so wartet das farbige Palimpsest, das die „alte“ Wohnung prägt, mit anderen Anforderungen auf: Wünsche nach einem White Cube, in dem man seine Möbel wie Ausstellungsstücke präsentiert, bleiben hier auf der Strecke. Stattdessen verlangen die kleinformatigen Räume mit ihren geringen Fenstergrößen und im Obergeschoss immer noch bescheidenen Höhenverhältnissen nach einer maßgerechten Möblierung, die den jetzigen Bewohnern mit viel Liebe zum Detail gelungen ist. Erleichtert wird das Leben hier durch eine Reihe geschickt eingebauter Wandschränke, deren Kapazität auf der Rückseite des Gebäudes durch eine oberirdische Flucht von kleinen Abstellräumen ergänzt werden, die wandbündig dem Bauwerk eingefügt sind.

Dass Peter Haimerl schließlich anstelle des üblichen Misthaufens vor dem Schusterbauerhof einen flachen Schuppen errichtet hat, der die Mülltonnen und Fahrräder birgt und einen gemeinschaftlichen Sitzplatz unter einem verschiebbaren Dach offeriert, gehört zu den kleinen, aber wichtigen Aperçus des Baus, weil sie nicht nur die Liebe zum Detail, sondern die Fähigkeit zur typologischen Transformation zeigen, die der Architekt hier bewiesen hat.

Andreas Denk

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