kritischer raum

Ein architektonisches Anagramm

Die ehemalige Bremer Landesbank in Bremen von Caruso St. John Architects, 2011 – 2016

Caruso St. John Architects, Bremer Landesbank, Bremen 2011 – 2016, Foto: Andreas Denk

Auf den ersten Blick sieht das neue Bankgebäude an der Ecke des Bremer Domshofs so aus, als ob es immer schon dagewesen wäre. Das ist kein Zufall. Der dunkle Klinkerbau fügt sich trotz seines monumentalen Auftritts den Nachbarn, der historistischen Bremer Nationalbank von 1896, die gleichzeitig das Stammhaus der Landesbank ist, und einem weiteren Bankgebäude des späten 19. Jahrhunderts an. Der monolithische Hauptbaukörper mit fünf geklinkerten Geschossen orientiert sich in der Höhe an den Gebäudetraufen der Typgenossen neben ihm. Zwei Staffelgeschosse wirken nur aus der Ferne, und bedingt durch ihre Verkleidung mit weißer Keramik, nur bei blauem Himmel substanzvergrößernd. Durch den dunklen, groben Klinker und die irden-schwere Blockhaftigkeit erinnert das Haus an hanseatische Kontorbauten: Die mächtige Kubatur wirkt wie die Fortführung der in den Nachbarbauten erkennbaren Bankhaus-Typologie mit den Mitteln der leicht expressiven Ziegel-Sachlichkeit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Im Zusammenwirken mit der stark reliefierten Fassade, die durch schlanke Lisenen mit dazwischen liegenden Fenstern mit Betonsohlbänken und Ziegelbrüstungen gegliedert ist, die mit konkaven Wölbungen vorspringen, erhält er zugleich eine gewisse Eleganz, „massiv und gleichzeitig delikat“, wie die Architekten diesen Effekt beschrieben haben. Im Zusammenklang der Bauten entsteht der Eindruck, hier sei vor hundert Jahren ein Bankenviertel entstanden, dessen einzelne Bauten zwar eine eigene architektonische Präsenz haben, aber zugleich als Baugruppe aufeinander abgestimmt sind. Diese Geste der Einordnung in den Bestand wirkt sich auf die gesamte städtebauliche Situation aus: Das benachbarte Neue Rathaus und die schräg gegenüberliegende Liebfrauenkirche formieren sich mit den Fassaden der alten und der neuen Landesbank zum räumlichen Ensemble. Am Domshof schließt der Neubau die Platzwand im Nordwesten und bildet ein würdiges Gegenüber des Doms, der mit seiner Nordseite den Süden des Platzes begrenzt.

Das merkwürdig unzeitliche und städtebaulich so vielbezügliche Bankgebäude steht an der Stelle eines Vorgängerbaus aus dem Jahre 1972, den die Bremer Architekten Gerd Müller-Menckens und Heinz-Georg Rehberg entworfen hatten. 2011 beschloss man den Abriss des spätmodernen, weitaus weniger ensemblefähigen, weil horizontal gegliederten Gebäudes. Ein Neubau-Wettbewerb 2011 ging zugunsten des Londoner Büros Caruso St. John aus, die ihren Entwurf zwischen 2012 und 2016 umsetzten.

Die Architekten haben nicht nur Müller-Menckens Bauwerk, sondern auch das Stammhaus im Nordwesten abgerissen. Nur dessen Fassade blieb als historische Reminiszenz erhalten. Im Erdgeschoss des Altbauteils brachten die Architekten die geforderten Flächen für Gastronomie und Einzelhandel unter. Die anderen Teile des Gebäudes sollten ursprünglich nur der Bremer Landesbank dienen.

Caruso St. John Architects, Bremer Landesbank, Bremen 2011 – 2016, Foto: Caruso St. John

Im Zuge des vehementen Eingriffs entstand ein arenaartiger Innenhof, der durch ein rundbogiges Tor öffentlich von der Rathausseite zugänglich ist und den Personaleingang aufnimmt. Der Hof ermöglicht die Belichtung der Büroräume in den sieben Etagen gleichermaßen von der Straße wie von der Hofseite her. Ob der hier angebotene Pausenaufenthalt tatsächlich so erquicklich ist, wie man es sich im Büro Caruso St. John vorgestellt hat, ist zweifelhaft. Die paar Bäume im Hof scheinen bei der Schaffung von Atmosphäre im Arenaoval überfordert. Die eher belanglose Fassade des Hofs hätte wenigstens etwas von der Abwechslung des Straßenkleids der Bank abbekommen dürfen. Immerhin deutet die weißtonige Gliederung der Geschosse die Binnenstruktur und im besten Falle die lichte Stimmung der Büroräume an. Die Flure, die zu den Arbeitsräumen führen, erscheinen mit hölzernen Einbauten, roten und grünen Teppichen, weißen Wänden und Deckenstützen wie Zitate eines modernen Schiffsinterieurs. Die Kantine des Hauses hingegen wartet mit munteren Formen und Farben an Boden, Decke und Interieur auf, die eine gewisse gestalterische Leichtigkeit der 1950er Jahre zu beschwören scheinen.

Caruso St. John Architects, Bremer Landesbank, Bremen 2011 – 2016, Foto: NordLB

Das Besondere des Hauses, die Art und Weise nämlich, wie die Architekten aus bekannten Motiven ein Neues fügen, fällt erst beim genauen Hinsehen auf, manchmal erst beim zweiten oder dritten Hinsehen. Caruso St. Johns typologischer Mimikry-Versuch entpuppt sich nämlich nach und nach als Collage von Gesehenem und Zu-Sehendem, von Entdecktem und Zu-Entdeckendem. Mit dem Gebäudetypus fängt es an: Im Gegensatz zu Hamburg spielt das mächtige Kontorhaus mit bis zu sieben Geschossen, Klinkerfassade, Staffelgeschossen und großem Innenhof in Bremen eigentlich keine Rolle. Das Gebäude würde sich zwar nahtlos einordnen lassen in ein Hamburgisches Quartett von Chilehaus, Sprinkenhof, Meßberghof und Deutschlandhaus, steht aber eigentlich in der falschen Stadt. Der Neubau der Landesbank lässt also – ironisch betrachtet – Bremen Anschluss an eine hanseatisch-metropolitane Entwicklung finden, die der mächtige Nachbar schon seit längerem hinter sich hat. Zur Regionalisierung des aufwendigen Klinkerkleides haben Adam Caruso und Peter St. John mit eigenen Worten dem Bau einen „senkrechten gotischen Charakter“ verliehen. Das wollen sie als Referenz an die Weser-Renaissance-Architektur des Rathauses und der Stadtwaage am Marktplatz verstanden wissen.

Caruso St. John Architects, Bremer Landesbank, Bremen 2011 – 2016, Foto: NordLB

Auch die extreme, wenngleich gestisch richtige Positionierung des gestuften v an der Ecke des Gebäudes, das in die repräsentative Schalterhalle führt, widerspricht der Gewohnheit. Seine Form reflektiert indes wahlweise ähnliche Eingänge in den Dom oder ins Neue Rathaus. Vielleicht diente auch der etwas einfachere geziegelte Eingang ins Glockenspielhaus in der Bremer Böttcherstraße als Vorbild. Das liegt näher, als man denkt, denn auch die vorspringenden Binder der blockhaften Portalrahmung könnten sich auf eine Wandgestaltung beziehen, die der Bildhauer und Architekt Bernhard Hoetger 1926 / 27 im Paula Becker-Modersohn-Haus – ebenfalls in der Böttchergasse – als strukturelles Ornament verwendet hat. So spielen die Architekten vermittels des äußeren Erscheinungsbilds ein intellektuelles, zugleich aber auch sinnliches Vexierspiel mit dem Kenner der Stadt und ihrer Architekturen. Das Haus verankert sich durch eine Kette von architektonischen Motiven in der baulichen Topographie und in der Architekturgeschichte der Stadt. Der Betrachter gewinnt, wenn er die offenen und verborgenen Zitate zu sehen und zu verstehen vermag. Aus dem großen, neuen Fremdkörper an dieser Stelle wird ein mit Vertrautem überfangener Teil der Stadt: So entsteht symbolischer Ortsbezug.

Caruso St. John Architects, Bremer Landesbank, Bremen 2011 – 2016, Foto: Andreas Denk

Das fertige Gebäude hatte alle Chancen, schon kurz nach seiner Einweihung 2016 zum Anachronismus zu werden. Wegen säumiger Schiffskredite geriet die BLB im gleichen Jahr in Schieflage und wurde schließlich von der NordLB geschluckt, die eine Reform der Landesbank in Gang setzte. Immerhin blieb der Hauptsitz erhalten, in dem nach und nach nun die Mitarbeiterschaft mehrerer Filialen konzentriert wird. Die großzügigen Konferenzräume sind deshalb offenbar schon zu Büros umgebaut worden. Teile des Gebäudes sollen an andere Mieter vergeben werden. Vielleicht erklärt das auch, warum in der Schalterhalle, der Visitenkarte jeder Bank, mit ihrem merkwürdigen, wie ein Faltenbalg in den Raum eindringenden Portalgewände für einige Schlußarbeiten offenbar kein Budget mehr aufzutreiben gewesen ist. Seine Funktion hat dieser stimmungsvolle Raum als Folge der Fusion auch schon verloren. Das ist schade, denn es beraubt diesen Raum, und damit den wichtigsten Teil dieses bemerkenswerten Gebäudes, seines Sinns.
Andreas Denk

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