kritischer raum

Licht am Ende des Tunnels

Das Bauhaus-Museum in Weimar von Heike Hanada, Berlin, 2015 – 2019

Heike Hanada, Bauhaus-Museum (Tomas Saraceno: Sundial for Spatial Echoes), Weimar 2012 – 2019, Fotos: Andrew Alberts, © heike hanada laboratory of art and architecture

Der Weg vom Bahnhof zum neuen Bauhaus-Museum in Weimar ist ein Zeittunnel. Vorbei an sozialistischen Gedenk- und Feierstätten geht der Weg immer geradeaus auf den ersten Museumsbau Thüringens zu, das sogenannte „Neue Museum“, ein vergleichsweise raffinierter Bau der Semper-Schule mit Gliederungs- und Schmuckformen der italienischen Renaissance. Die fast charmante Architektur des Museums schließt unmittelbar an die Travertin-Kolonnaden des nationalsozialistischen „Gauforums“ an: Unter unmittelbarer Einflussnahme Adolf Hitlers entstand hier nach Plänen Hermann Gieslers ab 1937 ein großer Ehrenhof mit dreigeschossigen, langgestreckten Gebäuden – einer „Halle der Volksgemeinschaft“, dem Gebäude des Reichsstatthalters und der Gauleitung, einem „Gebäude der Gliederungen der NSDAP“ und als westlichem Abschluss das dreihöfige „Gebäude der Deutschen Arbeitsfront“. Das ist die bauliche und historische Last, unter der sich das neue Bauhaus-Museum beweisen muss.

Allein der Entscheidungsprozess, der zu diesem Neubau geführt hat, ist kolportagereif. Seit 2000 gab es in Weimar Überlegungen, das am Theaterplatz gegenüber dem Goethe-Theater heimische Bauhausmuseum in einem Neubau unterzubringen. Nach einer Reihe von Vorstudien entschied sich eine Expertenkommission im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik, des Thüringischen Kultusministeriums und des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien für den heutigen Standort des Museums am Minolplatz zwischen Weimarhallenpark und Gauforum. Ein zweiphasiger Wettbewerb endete 2011 mit der Einsendung von über 500 Arbeiten und ohne die Vergabe eines ersten Rangs. Vier Preisträger wurden zur Überarbeitung im Rahmen eines VOF-Verfahrens aufgefordert. 2012 entschied man sich schließlich für den Entwurf von Heike Hanada und Benedict Tonon. Ohne die angemessene Würdigung von Anträgen auf Bürgerbegehren erteilte der Stadtrat 2015 eine Baugenehmigung. 2016 wurde dann der Grundstein für den Neubau gelegt, den Heike Hanada anschließend in eigener Regie zu Ende gebracht hat.

Heike Hanada, Bauhaus-Museum, Weimar 2012 – 2019, Fotos: Andrew Alberts, © heike hanada laboratory of art and architecture

Der graue Monolith schiebt sich hinter dem rot verputzten Westgebäude, in dem einst die „Deutsche Arbeitsfront“ ihren Sitz hatte, in den Blick. Seit fast zwanzig Jahren nutzt der Freistaat Thüringen größere Teile der Anlage als Landesverwaltungsamt. Im Süden schließt die Bautengruppe an das Congress Centrum von Gerkan und Marg, das hier vor zwanzig Jahren zum Kulturhauptstadtjahr Weimars etwas unberechtigt als Ersatz für die klassisch-moderne Weimarhalle aus dem Jahre 1931 entstand – und das im Schwanseepark nach fast zwanzig Jahren beinahe aufgegangen ist. Die drei Gebäude bilden ein lockeres Ensemble, bei dessen Vervollkommnung Heike Hanada gezielt jede Axialiät vermieden hat. Die monolithische Figur ihres Museums mit den reliefierten Gussbeton-Gesimsen, die die großen Quader mit den Fertigteilplatten ins Menschenmaß übersetzen, stellt sich hier mit überlegener Ruhe und Kühle dem Vergleich mit dem Westbau des Gauforums.

Die monumentale Lässigkeit, mit der die Architektin die komplizierte historisch-städtebauliche Situation eingefangen hat, ist bemerkenswert: Allzu nahe lag die Versuchung, dem durch die schiere Erstreckung und die gleichförmige Dreigeschossigkeit wirkmächtigen Giesler-Bau eine brechende, gebrochene Figur beizugesellen, die die faschistische Raumdominante konterkariert. Die unaufgeregte Figur des Museums widersteht indes der bloßen Polemik und bringt mit tradierter Elementaristik wie Sockel, Portalrahmen, Treppe und Attika eine selbstbewusste Gewissheit des Besseren ins Spiel, mit der sie den Kampf der Formen souverän für sich entscheidet.

Heike Hanada, Bauhaus-Museum, Weimar 2012 – 2019, Fotos: Andrew Alberts, © heike hanada laboratory of art and architecture

Der Wind der Aufklärung weht erst recht im Innern des Gebäudes. Der Übergang vom neu gestalteten Platz ins Gebäude geschieht fast selbstverständlich durch eine gläserne Membran. Entlang der Enfilade von Kassen- und Informationstresen zur Rechten fällt der Blick gleich auf das große querrechteckige Fenster am anderen Ende des hohen Raums, in dem eine Installation von Tomás Saraceno den Luftraum beherrscht. Auf der durchfensterten Gegenseite lädt eine lange Bank zum Ausblick auf den Park oder zum Einblick ins Entree ein. Gegenüber den Kassen öffnet eine große Glasscheibe den Blick ins Untergeschoss, in dem eine Caféteria mit Terrasse und pädagogischen Einrichtungen angelegt sind, die durch eine seitliche Kaskadentreppe mit Podesten und raumhohen Seitenwänden zugänglich werden.

Jedes der vier Geschosse wird durch eine solche Treppe erschlossen: Eins von mehreren Leitmotiven, die immer wiederkehren und der komplexen Raumstruktur eine eigene Systematik geben. Die Treppenwände gliedern mit weiteren Wandeinbauten den Grundriss des Gebäudes der Länge nach, indem sie es in fünf ähnlich breite Kompartimente zerlegen. Durchbrüche in den Geschossen und Wänden verbinden die verschiedenen Teile horizontal und vertikal und ermöglichen so eine Vielzahl von räumlichen Ein- und Durchblicken, die in jedem Geschoss neue Bilder geschlossener und sich öffnender Räume ermöglichen. Die offenen Plattenbalkendecken aus Pi-Trägern nehmen die gesamte Beleuchtungs- und Haustechnik auf, vereinheitlichen so die unterschiedlichen Raumkompartimente und bringen damit den gesamten Museumsbau unter Dach und Fach.

Heike Hanada, Bauhaus-Museum, Weimar 2012 – 2019, Fotos: Andrew Alberts, © heike hanada laboratory of art and architecture

Jedes Stockwerk hat schließlich einen Zugang zu einer Treppe im Döllgastschen Kleinformat, die über die gesamte Länge des Bauwerks zum Ausgang führt und eine weitere Orientierungsgröße im Haus bildet. Dies funktioniert jedoch nur, wenn die zu ruppig ausgefallenen Zugangstüren, wie von der Architektin intendiert, geöffnet sind, um den Ausblick in die Umgebung und Tageslichtzufuhr zu ermöglichen. Derzeit sind die Türen aus Lichtschutz-Gründen geschlossen, und die Ausstellungsräume dadurch viel zu dämmrig. Nicht nur dieses kuratorische Missverständnis verstellt den Blick auf die Räume des Hauses: Die erste Ausstellung im neuen Gebäude, die Holzer Kobler aus Zürich einrichten durften, nimmt auf die hochkomplexe Raumdisposition kaum Rücksicht und macht irritierenderweise gar keinen Gebrauch von der räumlichen Komplexität und den Sichtbeziehungen, die die Architektin angeboten hat.

Es wäre eine baukulturelle Errungenschaft, den Entwerfern neuer Museen auch das Recht zur Ersteinrichtung zu geben, um deren Vorstellung zur Raumnutzung kennenzulernen. So bleibt in uso die Qualität der Raumschöpfung von Heike Hanada nur gedanklich nachvollziehbar – es sei denn, man hätte das Gebäude ohne die Überfülle von Exponaten gesehen, die die Ausstellung „Das Bauhaus kommt aus Weimar“ in diesem Jubiläumsjahr anbietet.

Heike Hanada, Bauhaus-Museum, Weimar 2012 – 2019, Fotos: Andrew Alberts, © heike hanada laboratory of art and architecture

Heike Hanada hat mit ihrem Bau etwas Entscheidendes zur Bewältigung des lastenden Erbes geleistet: Bis vor kurzem war der Umgang mit der faschistischen Architektur geprägt von Hilflosigkeit. Die unvollendete „Halle der Volksgemeinschaft“ wurde durch eine kuriose Entscheidung unter dem seltsamen Namen „Weimar Atrium“ 2005 in ein gesichtsloses Einkaufszentrum umgewandelt, das heute hauptsächlich unterirdisch zu erreichen ist. Die Gerkansche „Weimarhalle“ zeigt der faschistischen Monumentalanlage lediglich eine kühle Schulter. Auf ganz andere Weise trotzt das Bauhaus-Museum den Nazi-Bauten durch den originelleren und räumlich besseren, das heißt menschenfreundlichen Einsatz der architektonischen Mittel. Sogar des Nachts leuchtet das Gebäude inmitten seiner prekären Nachbarschaft: In die reliefierten Gesimse sind LED-Stäbe eingelassen, die die Masse des Bauwerks entmaterialisieren und überdies – wie das Bauhaus in seinen besten Jahren – das Licht der Aufklärung verstrahlen.
Andreas Denk

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