Kritischer Raum

Schöner rasten

MONO Architekten / Planorama Landschaftsarchitektur / MUS Studio, Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel, Sömmerda 2014 – 2021

Wenn es einen Ort gibt, den man regelmäßig völlig ohne ästhetische Erwartungen besucht, dann ist es wohl die Autobahnraststätte. Dass aber auch diese Bauwerke schön und anziehend, und sogar kulturelle Vermittlungsorte sein können, scheint sich hierzulande kaum jemand vorstellen zu können. Herausragend waren in der Bundesrepublik bislang noch Perlen wie die Kunst-Raststätte Illertal-Ost an der A7 – gestalterisch eine Mischung aus Hundertwasser und Disneyland – oder die Feng-Shui-Rastanlage Gruibingen Süd an der A8 mit Springbrunnen und Plastikbäumen. Der Beweis, dass eine Raststätte weitaus mehr sein kann, wurde nun in Thüringen an der Autobahn 71 mit der wegweisenden Tank- und Rastanlage Leubinger Fürstenhügel angetreten.

Fürstenhügel, Foto: IBA Thüringen / Thomas Mueller

Konzeptioneller Ausgangspunkt der Tank- und Rastanlage ist – wie bereits der Name verrät – der Leubinger Fürstenhügel, ein hochkarätiges archäologisches Denkmal, das sich in fußläufiger Entfernung zur A71 befindet. Der ursprüngliche Grabhügel für einen Fürsten ist heute eines der bemerkenswertesten Zeugnisse der Aunjetitzer Kultur, die in der frühen Bronzezeit in Mitteleuropa die größte Verbreitung hatte. Bedeutend ist das Hügelgrab zum einen wegen seiner schieren Größe – viele Monate oder sogar Jahre muss eine große Anzahl Menschen für den ursprünglich 8,5 Meter hohen und 48 Meter breiten Erdhaufen gearbeitet haben. Aufgrund dieser Dimensionen wurde die eigentliche Grabkammer im Laufe der Jahrtausende nicht von Grabräubern geplündert, sondern erst im 19. Jahrhundert von Archäologen geborgen. Neben dem Skelett der bestatteten Herrscherpersönlichkeit konnten daher noch ein halbes Pfund Goldschmuck sowie zahlreiche wertvolle Waffen und Alltagsgegenstände freigelegt werden.

Die A71 ist dabei eine recht junge Fernstraße – erst 2010 bis 2015 wurde sie umgesetzt. Für die Archäologie war das jedoch nicht unbedingt nachteilig, konnten doch durch die Autobahngrabungen auch im Umfeld noch viele weitere Funde ausgehoben werden. Aus verkehrsstrategischen Gründen sollte in der Nähe des Leubinger Denkmals anschließend eine Raststätte entstehen, worin die IBA Thüringen hellsichtig Potenzial für ein Grenzen sprengendes Projekt erkannte. Als Projektbegleiterin stieß die IBA Thüringen 2014 daher einen internationalen Wettbewerb an, der eine Bewerbung in interdisziplinären Teams zur Vorgabe machte. Durchsetzen konnte sich schließlich ein Berliner Projektteam bestehend aus MONO Architekten, dem Landschaftsarchitekturbüro Planorama sowie den Kommunikationsdesignern MUS, die auch für die Ausstellungselemente verantwortlich zeichnen.

Gastraum, Blick zum Fürstenhügel, Foto: MONO / Gregor Schmidt

Der Entwurf setzt den Hügel auf unterschiedliche Weise in Szene. Zunächst durch die stützenfreie Tankstellenüberbauung, die den Blick auf den Hügel in einen Rahmen fasst. Der davon abgespreizte, langgezogene Bauteil, der den Tankshop und die Raststätte enthält, wendet sich mit seiner Kopfseite direkt dem Hügel zu, lenkt dabei den Blick der Besuchenden und regt an, einen Spaziergang über den sogenannten „Zeitreiseweg“ zum 500 Meter entfernten Denkmal zu unternehmen. Die Abmessungen des Baukörpers, dessen Flachdach sich zum Hügel hin in ein Satteldach entwickelt, sind ebenfalls der Geschichte entlehnt, indem sie Bezug auf ein weiteres regionales Denkmal nehmen: Das sogenannte Langhaus von Dermsdorf war eine frühbronzezeitliche Versammlungshalle von beeindruckender Größe, deren Überreste 2011 in Sichtweite des Hügels geborgen wurden und die als Inspiration für die Gebäudeform diente.

Gastraum, Blick zur Galerie, Foto: MONO / Gregor Schmidt

Nicht nur die Inszenierung des Hügels, auch die Vermittlung von Wissen rund um das Denkmal ist überzeugend in den Entwurf integriert und nicht nur nachträglich appliziert. So führt vom Tankshop ein großzügiger Ausstellungsgang zu Sanitäranlagen und Restaurant; die Besuchenden können hier niedrigschwellig und ohne Konsumzwang eine multisensuelle Ausstellung erleben, die über die regionale Geschichte und archäologische Funde aufklärt. Auch außerhalb der Öffnungszeiten können die Infotafeln durch die verglaste Fassade, die hier zurückgesetzt ist, von außen gelesen werden. Atmosphärisch prägend ist die vollflächige Holzverkleidung, die bereits im Tankshop beginnt und sich bis in die Raststätte fortsetzt. Der warme Holzton schafft einen Kontrast zur kühlen Alufassade, gleichzeitig wird das Raststätten-typische visuelle Chaos der Markenwelten einem einheitlichen Gesamtkonzept untergeordnet. Auch die beachtliche Raumhöhe, die den Ausblick in die Landschaft und auf den Fürstenhügel voll zur Geltung bringt, wurde im Innenausbau sinnvoll aufgegriffen: Eine eingestellte Galerie enthält im unteren Bereich den Verkaufstresen und eine offene Küche und bietet auf der oberen Ebene weitere Sitzplätze.

Wer sich am Gebäude entlang oder durch die Innenräume hindurch Richtung Leubinger Fürstenhügel bewegt, wird auf den „Zeitreiseweg“ gelenkt, der sich in hellem Ortbeton durch die Vegetation schlängelt. Anhand verschiedener Stationen, die als Bronzestelen in den Betonweg eingelassen sind, werden den Spazierenden konkrete archäologische Fundobjekte in der Umgebung oder historische Ereignisse nahegebracht. Der Weg umringt schließlich den Grabhügel in seinen ursprünglichen Abmaßen und mündet in eine Treppe zur Hügelplattform, die den Ausblick in die Landschaft des Thüringer Beckens eröffnet – nicht unwahrscheinlich, dass dies auch der Herrschaftsradius des hier bestatteten Fürsten war.

Foto: MONO / Gregor Schmidt

Doch nicht nur Autofahrende können den Leubinger Fürstenhügel besuchen. Auch mit dem Fahrrad und zu Fuß kann der Ort durch die Anbindung an den nahegelegenen Unstrut-Radweg erreicht werden. Das trägt zum Eindruck bei, dass hier kein Kulturdenkmal als Marketinggag ausgeschlachtet, sondern ein respektvoller Umgang mit dem Fürstenhügel gefunden wurde, der ihm eine bisher ungekannte Aufmerksamkeit verschafft. Berücksichtigt wurde dabei, dass sich Menschen zwar auch durch klug aufbereitete Ausstellungsinhalte, aber auch schlichtweg durch hervorragende Gestaltung mitreißen lassen. Dass dem Grabbau – der laut der archäologischen Forschung eindeutig als Architektur zu bezeichnen ist – nun eine so würdige architektonische Begleitung zur Seite gestellt wurde, ist eine weitere schöne Lesart dieses vielschichtigen und zugleich sehr nahbaren Projekts.
Elina Potratz

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert