Buch der Woche: Kybernetische Architektur

Mensch, Klima, Architektur

Der Klimawandel als solcher scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein. Die Frage ist nur, wie schwer er unsere Zivilisation treffen wird und welche Antworten wir finden werden, um ihm zu begegnen. Architektur könnte ein Teil eines multikomplexen Systems solcher Antworten sein. Dass bei der Suche nach Lösungen auch immer Irrwege eingeschlagen werden, liegt auf der Hand. Einer dieser – als Lösungsvorschlag gestarteten und inzwischen als Sackgasse erkannten – Wege ist offenkundig das großflächige Verpacken von Häusern mit Wärmedämmverbundsystemen. Von vielen verteufelt, von ebenso vielen massenhaft eingesetzt, sind die Dämmstoffplatten zum vermeintlichen Allheilmittel in Zeiten knapper Ressourcen stilisiert worden. Den Diskurs darüber, ob und wenn ja, wie man unter architektonischen Gesichtspunkten mit diesem Material umgehen kann, hat unter anderem das Münchener Architekturbüro Hild und K mitgeprägt – ein entsprechendes Buch zum Thema liegt vor –, muss hinsichtlich der inzwischen geänderten Vorzeichen aber wohl neu verhandelt werden. Seit Herbst letzten Jahres gelten einige Dämmstoffmaterialien als Sondermüll, und Studien belegen giftige Auswaschungen, die das Erdreich um die gedämmten Gebäude herum kontaminieren. Verbaut werden diese Materialien freilich dennoch weiter. Sehenden Auges steuern wir auf das nächste Problem zu, das mit der immer noch akuten Frage nach der sachgerechten Sanierung und Entsorgung asbestbelasteter Häuser und Bauteile durchaus zu vergleichen ist.

Einer der Vorreiter im Bereich ungedämmter und dennoch ressourcenschonender Architektur ist der Freiburger Architekt Günter Pfeifer. Mit wechselnden Partnern forscht Pfeifer seit geraumer Zeit daran, wie Architektur heute an die autochtone Architektur der Ära vor der Industrialisierung anknüpfen und dabei dennoch einen zeitgenössischen Ausdruck finden kann. Für Pfeifer ist die Architektur dabei ein System, das sich aus vielen kleineren Systemen zusammensetzt und selber Teil eines größeren Systems ist. Dabei sind all diese Systeme miteinander verbunden und weisen Schnittmengen in unterschiedlichen systemischen Konstellationen auf. Diesen ganzheitlichen Ansatz des Bauens nennt Pfeifer „Kybernetische Architektur“. Unter Kybernetik versteht man im allgemeinen – und dem Duden folgend – eine „wissenschaftliche Forschungsrichtung, die Systeme verschiedenster Art (zum Beispiel biologische, technische, soziologische Systeme) auf selbsttätige Regelungs- und Steuerungsmechanismen hin untersucht“. Geprägt wurde der Begriff in seiner heutigen Form dabei ab etwa 1948 vom US-amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener (1894–1964), das Griechische kennt seit jeher den Begriff „kybernētikḗ (téchnē)“, was die Steuermannskunst umschreibt.

Zur Verdeutlichung seiner Idee von Architektur hat Günter Pfeifer nun im Freiburger Syntagma-Verlag das gut 200 Seiten starke Buch „Kybernetische Architektur“ vorgelegt. Die Lektüre des Buches ist insofern erhellend, da es nicht nur die theoretischen Grundlagenüberlegungen Pfeifers zur Architektur als „Zusammenwirken von Mensch und Klima“ darlegt, sondern mit einer Vielzahl ganz konkreter Beispiele aus der gebauten Praxis der unterschiedlichen Bürokonstellationen aufwartet, in denen der Architekt und Hochschullehrer tätig war. Dabei wird stets deutlich, dass das Ziel ist, „…mit Hilfe einfacher typologischer, konstruktiver und thermischer Strukturen die Anforderungen an unsere Lebens- und Behaglichkeitsbedingungen zu erfüllen.“ Wie das vonstatten gehen soll, erläutern kurze Texte zu den Gebäuden ebenso wie zu den jeweiligen kybernetischen Konzepten der einzelnen Häuser. Untermauert wird das durch gut lesbare Grafiken, Grundriss- und Schnittzeichnungen.

Als Schwäche mag man diesem handlichen Lesebuch auslegen, dass es keine innerstädtischen Projekte enthält – Häuser also, die im Kontext der klassischen europäischen – mehr oder weniger dichten – Stadt entstanden sind. Fast alle vorgestellten Bauten sind freistehende Häuser, die in unterschiedlichem Maßstab und Typus – vom kleinen Einfamilienhaus bis zum großen Institutsbau – relativ frei auf der sprichwörtlichen grünen Wiese stehen. Wie das kybernetische System auch in einem städtischeren Umfeld funktionieren könnte, deuten nur einige Projekte an, die bestehende Strukturen aus den 1950er und 1970er Jahren transformieren. Das zeigt aber auch, wie gut sich diese Systematik sich zur Sanierung und zur Ertüchtigung bestehender Bauten eignet.

Der in diesem Buch vorgestellte Ansatz ist somit in doppelter Hinsicht interessant. Zum einen, weil er einen echten Beitrag zur Frage nach der Ausprägung von Architektur in Zeiten des Klimawandels darstellt. Zum anderen aber auch, weil diese aus dem jeweiligen Ort, seinem Klima, seiner Materialität, Topografie, Flora und Fauna entwickelten Architekturen tatsächlich wieder einen ganz konkreten gebauten Ausdruck von lokaler und damit kultureller Identität darstellen.

David Kasparek

Günter Pfeifer: Kybernetische Architektur, 208 S., zahlreiche Abb., Syntagma-Verlag, Freiburg 2016, 28,50 Euro, ISBN 978-3-940548-56-6

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