Neu im Club: Lina Maria Mentrup, Kahla

Transformation im Ländlichen

Es ist ein sonnig-warmer Nachmittag Anfang September. Gemeinsam im Auto der Architektin Lina Maria Mentrup fahren wir durch die saftig grünen Hügel und dunklen Waldstücke im Thüringer Saale-Holzland-Kreis, um uns ihr erstes Projekt anzuschauen. Wir landen schließlich in Seitenbrück, einem winzigen Dorf mit von Tannen umringten Fachwerkhäusern, eingebettet in die Erhebungen der Landschaft. Man könnte sich vorstellen, dass es hier vor 500 Jahren nicht viel anders aussah. Vorbei am Dorfbrunnen laufen wir eine Anhöhe hinauf und stehen vor einem kleinen, langgestreckten Haus, das mit seinem Fachwerk zwar nicht aus der umgebenden Architektur heraussticht, aber doch einige Hinweise auf die Gegenwart gibt.

Lina Maria Mentrup in Zusammenarbeit mit Julia Franziska Steffen und Moritz Mentrup, Fuge No. 1 – Bauern- und Atelierhaus Seitenbrück, 2016, Foto: Raimonds Galuza

Die Grundidee für das Gebäude, das Lina Maria Mentrup selbst mit ihrer Familie bewohnt, bestand in einer zeitgenössischen Weiterentwicklung der regionalen Typologie, die sich durch eine Trennung zwischen steinernem Sockelgeschoss und dem darüberliegenden leichten Holzaufbau auszeichnet. Der entkernte Bestandsbau aus dem 18. Jahrhundert erhielt einen die Statik sichernden Betonkern, der zugleich die Versorgung enthält. Die historischen Holzdecken wurden aufgearbeitet und das Obergeschoss mit Schlaf-, Kinder- und Badezimmer ausgebaut. Im Untergeschoss dominiert das Massive: Regale, Küche und Sitzbank gliedern dabei als gemauerte und verputze Elemente die Räume; die flächenbündigen Fenster, Türen sowie die Treppe wurden aus Stahl gefertigt. Im Obergeschoss dagegen ist Holz prägend, beim Hinaufsteigen taucht man in eine völlig andere, wärmende Umgebung ein. Bewusst trennt die beiden Sphären eine Fuge, die den Kontrast und die jeweilige Eigenständigkeit betont. Anstatt der üblichen Dachfenster wurden Kniestockfenster eingebaut, die dem Raster des Fachwerks folgen.

In Berlin aufgewachsen, zog es Lina Maria Mentrup für ihr Studium zunächst nach Weimar. In ihrem Auslandsjahr nach dem Bachelor sammelte sie Praxiserfahrungen im Chilenischen Büro Pezo von Ellrichshausen, das Mentrup nachhaltig prägte: „Sie haben mit ihrem ersten Haus, der Casa Poli, ihre Karriere angefangen, dabei ganz viel selbst gemacht… und damit einen großen Erfolg gelandet. Ich war beeindruckt, dass sie das einfach gemacht haben.“ Zurück in Weimar, entdeckte sie dann mit ihrem Freund und heutigen Mann die Immobilie in Seitenbrück. „Zum damaligen Zeitpunkt war alles total günstig, in manchen Orten wurden zum Teil Mehrfamilienhäuser verschenkt“, erzählt Mentrup. Sie verliebten sich in das Dorf und die Landschaft und erwarben das stark baufällige Haus. Noch beeindruckt vom Pioniergeist von Pezo von Ellrichshausen machte Mentrup es dann gemeinsam mit einer Kommilitonin zum Gegenstand ihrer Masterarbeit.

Lina Maria Mentrup in Zusammenarbeit mit Julia Franziska Steffen und Moritz Mentrup, Fuge No. 1 – Bauern- und Atelierhaus Seitenbrück, 2016, Foto: Raimonds Galuza

Bemerkenswerterweise stand bei den Entwürfen zum Grundstück zunächst nicht im Vordergrund, sich ein eigenes Zuhause zu schaffen, meint Lina Maria Mentrup: „Wir hatten keinen Mietinteressenten, deswegen war klar, dass wir dort einziehen müssen. Aber es ging erstmal nicht um den Traum vom Leben auf dem Land, sondern um das Objekt selbst.“ Bei der Umsetzung des Umbaus setzte man nicht auf die üblichen Lösungen, versuchte beispielweise, ohne Kunststoff zu bauen: „Es war ein absolutes Experiment“, so Mentrup, „die Kastenfenster etwa funktionieren bauphysikalisch nicht hundert Prozent.“

Glücklicherweise gab es kurz darauf bei einem weiteren Umbau einer Scheune zum Wohnhaus die Möglichkeit, das Konzept der Differenzierung zwischen massivem Erdgeschoss und hölzernen Obergeschoss wieder aufzugreifen und dabei die kleinen Mängel des Erstwerks zu vermeiden. Mittlerweile gehört die Transformation von landwirtschaftlichen Gebäuden zu einem wichtigen Standbein von Mentrups Büro. Darüber hinaus bearbeitet sie in der Region aber auch Bauanträge und Genehmigungen, berichtet Mentrup: „Da es hier kaum Architekten gibt, sind wir eine wichtige Anlaufstelle für solche Aufgaben. Dagegen haben wir uns auch nicht gewehrt“. Ein weiteres Standbein sind Aufstockungen und Umbauten in Berlin, auf die die Architektin zunächst über ihr persönliches Netzwerk stieß.

Lina Maria Mentrup in Zusammenarbeit mit Anja Beck, Lehrbienenstand, Ichtershausen 2023, Auftraggeber: Imkerverein Arnstadt und Umgebung, Foto: Aaron Levi Beck, Anja Beck

Im Gespräch, das wir auf der Terrasse vor dem Haus führen, umgeben vom Gackern und Krähen aus dem nebenliegenden Hühnerstall, erzählt Lina Maria Mentrup vom Dorfleben, das inzwischen immer mehr Menschen in die Gegend zieht: „Ich glaube schon, dass es ein absoluter Trend ist, die Bestandsimmobilie der Eltern und Großeltern zu nutzen oder Höfe zu kaufen. Wir haben unglaubliches Glück, dass wir diese Nische bedienen können.“ Von der Mentalität der hier auf dem Land lebenden Menschen ist sie durchaus angetan: „Das sind schon sehr bodenständige Leute, aber das gefällt mir – ehrlich, direkt, und anpackend.“ Das Dörfliche habe auch für die Arbeit Vorteile: „Oft arbeite ich mit den gleichen Bearbeitern im Bauamt oder der Denkmalpflege, man kennt sich und hat mit den Jahren gute Erfahrungen zusammen gemacht. Es ist schön, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.“

Kurz darauf fahren wir gemeinsam weiter ins zehn Minuten entfernt gelegene Städtchen Kahla, das unter anderem für sein Porzellangeschirr berühmt ist. Hier hat Mentrup ihre Büroräume, die etwas außerhalb in einem kleinen Gewerbegebiet liegen. Als wir das Auto verlassen, umgibt uns der süße Duft von Gebäck, der aus der nahegelegenen Keksfabrik hinüberweht. Wir stehen vor einem einfachen, postmodernen Bau, der sich deutlich von der vorherigen Dorfidylle unterscheidet. Die Räumlichkeiten wurden früher von einem Ofenbauer genutzt, wodurch in jedem Raum ein anderer gemauerter Kaminofen steht – mal mehr, mal weniger geschmackvoll gestaltet. Lina Maria Mentrup nimmt die etwas schrägen Büroräume, in denen sie mit ihren drei Mitarbeitenden sitzt, aber mit Humor: etwa die Toilettentüren, die mit Folie in Holzoptik bezogen sind, darauf die Aufschriften „Buben“ und „Mädel“.

Lina Maria Mentrup, Sommerfrischehaus Döschnitz, 2019, Projekt der IBA Thüringen, Auftraggeber: Zukunftswerkstatt Schwarzatal, Foto: Dörthe Hagenguth

Da wir uns in Thüringen befinden, verwundert es nicht, dass die junge Architektin auch an Projekten der Internationalen Bauausstellung Thüringen, die in diesem Jahr ihr Abschlussjahr begeht, beteiligt war. Bei ihrem ersten IBA-Projekt sollte das Gebäude, ein Bestandsbau von 1700 in der einst sehr touristischen Region des Schwarzatals, mit minimalen Mitteln zu einer Ferienwohnung umgewandelt werden. Die Idee bestand darin, Menschen ein kostengünstiges „Probewohnen“ im sogenannten Sommerfrischehaus Döschnitz zu ermöglichen, um sie für das Leben im Dorf und das schlummernde Potential der vielen leerstehenden Häuser zu begeistern. Mit Betonsteinen, die normalerweise für Garagen eingesetzt werden, wurde eine Badezimmerkabine in den Wohnraum hineingestellt. „Dieser Low-Budget-Ansatz war sehr experimentell und auch etwas provokativ“, so Mentrup.

Ein neueres Projekt ist der sogenannte Lehrbienenstand, den Mentrup mit einer befreundeten Architektin für einen Imkerverein gebaut hat. Der Bau dient als Schutzhütte zum Lehren, Lernen und als Treffpunkt. Auch hier war das Budget extrem knapp, sodass für die Fassade Kreativität gefragt war. So riefen die Planerinnen bei einer Kunststofffirma an und fragten, ob diese womöglich Restbestände übrig hätten: „Der Unternehmer meinte dann, sein ganzer Keller sei voll mit Kunststoffgranulat, das wir nutzen könnten. Der Imkerverein musste nur noch die Schalung herstellen, um daraus Fassadenschindeln zu gießen“, erzählt Mentrup. Inspiriert von der Verlegeart von Schieferschindeln wurde aus den so entstandenen Kunststoffplatten schließlich die Fassade erstellt.

Auf dem Weg zurück zum Bahnhof von Kahla sind wir noch Zeugen eines Telefongesprächs, das Lina Maria Mentrup mit einer Baufirma führt. Sofort kann man erahnen, warum die Architektin an diesem Ort so gut angekommen ist. Mit ihrer klaren und zugleich immer sympathischen Art erscheint sie im besten Sinne so, wie auch sie selbst die Menschen hier beschreibt: ehrlich, direkt, und anpackend.
Elina Potratz

www.architektur-mentrup.de

www.daz.de
www.neuimclub.de
Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Erfurt,
Lunos und sowie den BDA-Partnern.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert