tatort

Qualität geht vor Verdienst

Wir suchen ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegs-Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können Sie per Post, Fax oder E-Mail an die Redaktion senden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 22. Januar 2016.

Das gesuchte Gebäude ist ein Verwaltungsgebäude der späten 1960er Jahre, das fast gleichzeitig mit benachbarten Sportstätten in einer süddeutschen Landeshauptstadt fertiggestellt wurde. Bei dem Architekten des heute schon legendären Baus handelte sich dem Vernehmen nach um einen besessenen Entwerfer, der mit seiner auf umfassende Perfektion zielenden Arbeitsweise auch das Berufsbild des Architekten neu geprägt hat. Unter dem Motto „Qualität geht vor Verdienst“ gab er persönlich auch kleinsten Bauaufgaben entwerferische Impulse und überwachte bei der Durcharbeitung im Büro akribisch die Einhaltung des Niveaus. Die Projektarbeit sei immer wieder zur „Zerreißprobe“ zwischen dem innovativen Geist und seinen Mitarbeitern geworden, die er bis zur physischen und psychischen Erschöpfung beanspruchte: „Stunde um Stunde, Tag um Tag, und immer wieder auch in der Nacht wurde entworfen, diskutiert, geändert, verworfen und wieder von neuem begonnen.“

Beim „tatort“ ging es dem Architekten darum, ein technisch wegweisendes Verwaltungsgebäude mit möglichst variabler Raumaufteilung und kurzen Wegen zu entwickeln. Dafür wählte er eine Hängekonstruktion, wie sie die Gebrüder Rasch bereits in den 1920er Jahren vorgeschlagen hatten: Das Tragwerk eines 18geschossigen Gebäudekerns mündet in ein auskragendes Trägerkreuz, an dem vier röhrenförmige Gebäudeteile abgehängt sind. Trotz eines vielsagenden Spitznamens geht die Form des Gebäudes nicht auf eine simple Analogie zum Firmenprodukt zurück, sondern sucht einen neuen Ausdruck für seine Funktion. Seinerzeit soll der Architekt das Gebäudeprinzip dem Bauherrn anhand von Bierkrügen verdeutlicht haben.

Um sie schließlich auch von der Funktionalität des Gebäudes zu überzeugen, ließ er auf eigene Kosten eins der Röhrensegmente im Maßstab 1:1 anfertigen und vollständig bis in technische Details wie Schreibmaschinen und Telefone ausstatten. Schauspieler bildeten die täglichen Arbeitsabläufe nach, und aus den Fenstern wurde die spätere Umgebung der parkähnlichen Landschaft mit Sportstätten kulissenartig nachgebildet. Später diente der Bau auch als Drehort des dystopischen Science-Fiction-Films „Rollerball“, wo es als Sitz eines Unternehmens mit Weltmacht figuriert. Ganz soweit ist der damalige Auftraggeber nicht gelangt. Immerhin nutzt er das seit 1999 unter Denkmalschutz stehende Gebäude noch heute – in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Museum, das der selbe Architekt entwarf, und einem weiteren Bauwerk, das von Schülern seines engsten Mitarbeiters stammt.

Der „tatort“ der Ausgabe 5/15 war das Gebäude der ehemaligen Französischen Botschaft in Saarbrücken, die der französische Architekt Georges-Henri Pengusson unter Mitarbeit von Bernhard Schultheis und Hans Bert Baur 1951–1954 entwarf, als das Saarland zu einem autonomen Staat und zum Zentrum der europäischen „Montanunion“ werden sollte. Die Gewinnerin des Buchpreises ist Renate Fuß aus Karlsruhe.

Foto: Andreas Denk

Foto: Andreas Denk

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