kritischer raum

Schlange am Turm

Das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Duisburg von Ortner & Ortner Baukunst, Wien/Berlin, 2007–2014

Der Duisburger Innenhafen hat das Zeug, irgendwann einmal zum Museum der Architektur der Neo-Moderne zu werden. Foster, Ingenhoven, Herzog und de Meuron und Gott weiß wer alles, haben hier ihre Spuren hinterlassen – meist halbwegs gutgemachte Standards, aber nichts Weltbewegendes. Charakteristische Architektur ist bislang nur in Form des Jüdischen Gemeindezentrums von Zvi Hecker von 1999 entstanden. Das ist allerdings schon eine Weile her.

Die Umstrukturierung der nordrhein-westfälischen Staatsarchive bot 2010 eine neue Möglichkeit, dem schönen Hafengelände architektonisches Profil zu geben. Denn freundlicherweise hatte man in der Landeshauptstadt Düsseldorf bei der Wahl des Standorts für die beiden rheinischen Staatsarchive an den ärmeren Nachbarn gedacht, und so wurden Duisburg und sein Stadthafen zum Standort des Super-Archivs erkoren.

Ausgangspunkt des Entwurfs, der zum Thema eines eigenartigen Ausschreibungsverfahrens wurde, sollte ein großer Getreidespeicher aus dem Jahr 1936 sein, der unter Denkmalschutz steht. Ortner und Ortner Baukunst gewannen den „Wettbewerb“ mit einer bildhaften Idee: Aus der Mitte des ziegelgewandeten Stahlbetonspeichers, der die eigentlichen Archivmagazine mit Urkunden, Akten, Amtsbüchern, Karten, Fotos, Filmen, Tondokumenten und Datenträgern aufnimmt, wächst ein gewaltiger Turm. Östlich schließt sich auf einem eingeschossigen Sockel ein mäandernder Riegel an, in dem die Büros der Wissenschaftler, der Verwaltung und die Lesesäle für die Archivbenutzer untergebracht sind. Interpretationen des Gebildes als Schlange mit Kopf  im Turm haben schon die Runde gemacht. Laurids Ortner hat vorsichtigerweise von einer „guten Skulptur“ gesprochen, die polarisieren werde.

Vergleicht man die beiden Bauteile, so ergibt sich jedoch ein qualitatives Gefälle. Der Archivturm mit seinem originell entwickelten Ziegelrautenmotiv gibt sich als neue Hinzufügung zum alten Speicher in gleicher Materialqualität, aber leichter farblicher Nuancierung zu erkennen, die die Patina des Altbaus bewirkt. Selbst die zugemauerten Lukenöffnungen des Speichers wirken bei der Fassadenbildung als Teil eines monumentalen Ornaments mit. Das wellenförmige Büro- und Lesesaalgebäude bleibt in Gliederung und Detaillierung hingegen banal. Besonders zur Straße entwickelt der leicht spiegelnd verglaste Sockel höchstens das Image eines beliebigen Bürogebäudes, zumal eine Eingangsmöglichkeit nicht erkennbar ist. Der mit einem rot gefärbten, allzu billig wirkenden Wärmedämmverbundsystem verkleidete Bau verliert schließlich auf der Hafenseite sogar einen Teil der raumbildenden Kraft seiner Schwingung durch die Grünflächen, die bis an die Fassadeneinbuchtungen herangezogen wurden.

Die innenräumlichen Qualitäten des Turms sind entsprechend der archivalischen Funktion beschränkt. Die Architekten haben sich bemüht, die Stahlbetonstruktur des Speichers als Gestaltungselement zu verwenden, was allerdings visuell nur in den wenigen Räumen greift, in denen keiner der insgesamt 148 Kilometer langen Regalfluchten untergebracht ist. Auch der fünfgeschossige schlangenförmige Annex hat im Zuge der Ausführung Defizite erlitten. Das Glanzstück ist das Entree, das mit Galerien ausgestattet ist und über große, runde Öffnungen im Westen fast surreale Blicke ins Regalmagazin eröffnet. Die räumliche Qualität des Gebäudes hat jedoch insbesondere durch die Minimierung der – entsprechend der äußeren Form des Gebäudes – an- und abschwellenden Breite des Mittelflurs gelitten, die im Wettbewerbsentwurf noch abwechselnd Zonen der Bewegung und des Aufenthalts bot. Die Raumzuschnitte und ihre qualitative Ausstattung entsprechen den Gepflogenheiten, mehr aber auch nicht.

So bleiben einprägsame Bilder: Zum Beispiel erinnert man sich an die Fernwirkung des Turms, der von der Autobahn oder von der Stadt her den Standpunkt des Archivs markiert und zum Duisburger „Merkzeichen“ geworden ist. Beim Näherkommen nimmt man die Hubbrücke am Nonnentor, den geziegelten Platz mit seiner markanten Einfriedung im Westen und den Archivturm als ein fast pittoreskes Ensemble von unterschiedlichen Formen mit ähnlichem Material wahr. Und es bleibt der Eindruck des Blicks entlang den Kaianlagen, wo sich zwischen den alten grünblau lackierten Hafenkränen und der roten Wellenfassade ein interessanter, bildhafter Kontrast zwischen früherer und heutiger Nutzung offenbart.

Das ist indes bedeutend mehr, als die meisten anderen Gebäude in der Umgebung vermögen. Die strukturverbessernde „Maßnahme“ wird sich als teurer, aber sinnvoller Baustein des Ausbaus des Innenhafens erweisen: Nach einer Kostenerhöhung von (völlig unrealistischen) 30 Millionen auf 195 Millionen Euro wurden Bestechungsvorwürfe gegen den landeseigenen Bauliegenschaftsbetrieb laut. Auch das zweifelhafte Geschäftsgebaren einer Essener Projektentwicklungsfirma, die als Zwischenhändler die Grundstücke für teures Geld an das Land verkauft hat, wurde dabei diskutiert. Inzwischen wurde ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss gegründet, der die Vorgänge beleuchten soll. Auch das sind, tragischerweise, Faktoren des Raums, der hier entstanden ist.

Andreas Denk

Ortner & Ortner Baukunst
Landesarchiv Nordrhein-Westfalen
Duisburg 2007–2014
Fotos: Ortner
 & Ortner, Andreas Denk

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