Houston, we have a problem

Second-Hand-House

Recyclinghaus Hannover-Kronsberg

Gemeinsam mit dem BDA und dem Deutschen Architektur Zentrum DAZ hat die Zeitschrift der architekt den Call for Projects „Houston, we have a problem“ gestartet und um Einreichung substanzieller Beiträge gebeten, die uns dabei helfen können, die Effekte des Klimawandels zu gestalten. Dabei sind rund 150 gebaute und gedachte Projekte zusammengekommen. Im Wochentakt stellen wir an dieser Stelle ausgewählte Beiträge vor.

Die herrschende Materialkultur bringt unentwegt Müll hervor, von dem nur ein Bruchteil tatsächlich recycelt wird. So auch in der Bauindustrie, deren Produkte zumeist ebenso wenig auf Wiederverwertung ausgerichtet sind wie die Bauweise und der architektonische Entwurfsprozess. Doch dies wird immer mehr infrage gestellt und es gibt sogar einige kleinere Vorreiterprojekte. Eines davon ist das Recyclinghaus Hannover-Kronsberg von Cityförster architecture+urbanism, das weitgehend aus gebrauchten Bauteilen besteht und sowohl die Chancen als auch die Schwierigkeiten dieses Ansatzes verdeutlicht.

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

„Wie viel Recycling ist möglich?“, war die Ausgangsfrage für das praktische Forschungsprojekt, das von 2015 bis 2019 umgesetzt wurde. Für einige Bestandteile des Einfamilienhauses konnten Rohmaterialien wiederverwertet werden, etwa bei der Gründung aus Recycling-Beton und der Fassadendämmung aus recycelten Jutesäcken. Zudem wurden ganze Bauelemente genutzt, gewonnen aus eigenen Gebäudebeständen des Bauherren, einem Bauunternehmen aus Hannover. Auch die zukünftige Recyclingfähigkeit spielte dabei eine Rolle: Die Bauweise war daher auf eine möglichst verlustfreie, sortenreine und einfache Demontage ausgerichtet. Der Rohbau, der nicht aus Rezyklaten gefertigt werden konnte, besteht aus leimfrei zusammengesetzten Massivholzelementen.

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Wie die Architekten des Projekts betonen, war das Vorhaben sowohl eine logistische als auch planerische Herausforderung. Das verwundert nicht – schließlich muss der Entwurf von den jeweils verfügbaren Bauteilen ausgehen. Hiermit gab es quasi einen „umgekehrten Planungsansatz“, bei dem etwa der Rohbau auf die Dimensionen der vorhandenen Fassaden- und Fensterelemente zugeschnitten wurde. Zudem fand man noch während der Bauphase weitere Materialien, die nachträglich integriert werden mussten.

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Ästhetisch schafft es das Projekt durchaus  – insbesondere von außen –, Ruhe in die Materialvielfalt zu bringen. Im Innern führt die Materialmixtur zum Teil zu überraschenden und ungewöhnlichen Lösungen. So erscheint im Badezimmer ein schlammgrünes siebziger-Jahre Waschbecken, eingelassen in einen weißen Waschtisch mit einem darüber liegenden Kronkorken-Mosaik, plötzlich ziemlich hip. Alte Bauernhaustüren in Ziegelwänden stehen einer Treppenhauswand aus gebrauchtem Eichenholz sowie Stufen aus Stahlteilen gegenüber. Dass der Bau hinsichtlich der Materialverfügbarkeit ein Zufallsprodukt ist, lässt sich dabei natürlich nicht ganz verhehlen, doch dass jedes Element eine eigene Geschichte mit sich bringt, kann sicher auch als Stärke empfunden werden.

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Auch Probleme taten sich bei der Materialbeschaffung auf, denn neben der Schadhaftigkeit und Schadstoffbelastung von Materialien fehlten bei einigen Elementen bauaufsichtliche Zulassungen. Hier zeigt sich, wie eine gute Dokumentation und Datenlage zu verbauten Teilen helfen könnte, Recycling im Bauen und Planen zu erleichtern.

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Cityförster architecture+urbanism, Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019, Foto: Olaf Mahlstedt

Das Projekt, das von der Firma Gundlach als Wettbewerbsverfahren ausgelobt wurde, zeigt zum einen, dass es experimentierfreudiger Auftraggeber bedarf, um sich auf das noch unerforschte Terrain vorzuwagen. Zudem wird deutlich, wie weit Bauwirtschaft und Planung noch davon entfernt sind, Architektur mit seiner grauen Energie als Teil einer komplexen Wertschöpfungskette zu betrachten und Kreislauffähigkeit mitzudenken. Es bedarf daher eines politischen Umdenkens sowie der Bereitschaft von Wirtschaft und Planenden, die ausgetretenen Pfade der Wegwerfgesellschaft zu verlassen und den Wandel nicht als Einschränkung, sondern als Bereicherung zu begreifen.

Elina Potratz

Recyclinghaus Hannover-Kronsberg, 2015 – 2019
Architektur: Cityförster architecture+urbanism
Auftraggeber: Gundlach GmbH & Co. KG
Status: realisiert

weitere Projekte aus dem Call for Projects „Houston, we have a problem“ können Sie in der Übersicht hier einsehen.

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert