Spaziergänge mit Heiner Farwick

Am Ufer der Sieg

Weder architektur- noch berufspolitische Fragen interessieren unsere Protagonisten, den Präsidenten des BDA, Heiner Farwick, und den Chefredakteur dieser Zeitschrift, Andreas Denk, an diesem halbwegs sonnigen Tag bei ihrem Spaziergang am Fluss: Es ist die Frage nach dem Enthusiasmus als Grundmotiv des Architektendaseins, das die beiden miteinander verhandeln.

Andreas Denk: Enthusiasmus ist eine Eigenschaft, ohne die ein guter Architekt eigentlich seinen Beruf an den Nagel hängen kann. Die Leidenschaft und Begeisterung für das, was man als Architekt tut, ist überlebenswichtig – oder was meinen Sie?

Heiner Farwick: Enthusiasmus sollte ein Berufsmerkmal des Architekten sein. Die Begeisterung für die Architektur wird bei guten, engagierten Architekten im Vordergrund stehen. „Architekt“ zu sein heißt, niemals nur einen Job zu machen. Es gibt viele andere Berufe, in denen Menschen mit Begeisterung und Enthusiasmus arbeiten, aber bei Architekten ist es eine wesentliche Grundlage der Arbeit. Wenn man sich nicht für Architektur begeistert, kommt man in seiner Arbeit nicht zu Ergebnissen, die einen selbst zufrieden stellen.

Andreas Denk: Was heißt es denn, sich für Architektur zu begeistern? Es kann hier ja nicht nur um ein formalästhetisches Interesse gehen, das man als Flaneur oder Voyageur angesichts der Wohlgestalt des Pantheons, des Chartreser Doms oder der Moschee von Isfahan empfindet …

Heiner Farwick: Natürlich kann man als Flaneur über ein formalästhetisches Interesse hinaus empfinden; Architektur kann körperlich ansprechen. Die Vermittlung einer körperlich-sinnlichen Erfahrung ist schließlich auch eine architektonische Aufgabe. Die Begeisterung desjenigen, der Architektur schafft, sollte hingegen tiefergehend sein. Die Aufgabe des Architekturschaffens geht weit über die Erfüllung von baulichen Notwendigkeiten – und diese ordentlich und regelgerecht zu tun – hinaus: Der Entwurf guter Architektur resultiert aus einem kontinuierlichen Ringen um räumliche, gestalterische und funktionale Lösungen, in welchem man nur mit Enthusiasmus für die Sache an sich ein langes Berufsleben bestehen kann…

Andreas Denk: …es geht um einen Gedanken, der hinter der architektonischen Produktion stecken sollte: Erst der Glaube oder die Hoffnung auf einen höheren Zweck, den Architektur erfüllen kann – also ein ethisches und moralisches Ideal – ermöglicht, das Entwerfen und vor allem das Umsetzen von Architektur mit soviel Enthusiasmus zu betreiben, dass es über eine normale berufliche Motivation hinausgeht. Es geht schlichtweg um die Idee, was Architektur sein könnte und sein sollte…

Heiner Farwick: Ja, wir meinen nicht nur die sinnvolle Fügung von Material, welches qualitätvolle Räume umhüllt. Es ist schon eine große Leistung, wenn das überzeugend gelingt. Aber wahre Begeisterung stellt sich dann ein, wenn man an einer grundsätzlichen Verbesserung der Verhältnisse arbeiten kann. Das gilt nicht nur für die Gestalt der Architektur, sondern auch für die Stadt und die Art und Weise, wie die Menschen in ihr zusammenkommen können. Der Enthusiasmus des Architekten betrifft alle räumlichen Verhältnisse, in denen wir leben. Und das ist womöglich ein höherer Zweck der Architektur.

Foto: Andreas Denk

Andreas Denk: Vom Architekten als „Veredler aller menschlichen Verhältnisse“ sprach auch Schinkel im Anschluss an Schleiermachers pädagogisches Konzept, das auch die Förderung von Individuen zum Mitwirken an einer fortschreitenden gesellschaftlichen Entwicklung vorsah…

Heiner Farwick: Mit einem hohen Maß an Qualität daran mitformen zu können, ist das, was den Enthusiasmus des Architekten ursächlich begründet – und wofür er unbedingt nötig ist. Deshalb ist es ein gutes Gefühl, mit dem eigenen Entwurf alles getan zu haben, um eine solche Verbesserung von Lebensverhältnissen zu ermöglichen, was wiederum erhebliche motivierende Auswirkungen haben kann.

Andreas Denk: Stimmt. Ohne die andauernde Selbstmotivation würden wahrscheinlich genauso viele, aber bei weitem nicht so gute Dinge und Strukturen entstehen. Ist der fortlaufende Enthusiasmus also eine Qualitätsgarantie?

Heiner Farwick: Im Zuge des Wandels unseres Berufsbildes und der dem Berufsstand aufgelasteten weitgehenden Verantwortungen agieren wir zunehmend unter uns aufgezwungenen Bedingungen, die alles andere als förderlich für den Enthusiasmus für die Architektur an sich sind. Im Bemühen um ein ganzheitliches Schaffen wird Architektur oftmals auf das Minimum einer Funktionserfüllung reduziert. Der Architekt wird unversehens zum Dienstleister, der funktionale Entwürfe beibringt, Termine und Kosten einhalten, nachhaltig und wirtschaftlich bauen soll. Dabei laufen wir – und damit die desillusionierte Architektur – Gefahr, sich von der eigentlich umfassenden Betrachtungsebene zu entfernen. Das sehe ich mit großer Sorge.

Andreas Denk: Eine Besserung ist nicht in Sicht: Der Idealismus vieler Architekten wird nur selten erkannt, geschweige denn honoriert. Am ehesten nimmt man Künstlern oder den pflegenden Berufen die Fähigkeit zur Selbstentäußerung ab. Für viele Zeitgenossen sind Architekten Menschen mit sehr spezifischen Gestaltungsvorstellungen, derer man sich lediglich bedient, wenn man extravagante Vorstellungen und ausreichende Mittel hat…

Heiner Farwick: Man braucht sich ja nur anzuschauen, wie die Architektur, die ehedem als Mutter aller Künste gehätschelt wurde, inzwischen zur Dispositionsmasse von vordergründigen wirtschaftlichen Interessen geworden ist. Insofern ist der Architekt auf das schmale Feld des Schaffens von Notwendigkeiten degradiert worden. Es geht aber bei der Architektur um die Erfüllung von deutlich weitergehenden Bedürfnissen, die das Leben der Menschen allgemein betreffen.

Andreas Denk: Sie kennen die Freuden des Gelingens, der Fertigstellung und des sinnstiftenden Gebrauchs von Architektur genauso wie das Scheitern von Projekten und das Leiden an den schlechter werdenden Rahmenbedingungen des eigenen Berufs. Wie motivieren Sie sich immer wieder neu?

Heiner Farwick: Gerade dann, wenn das Schaffen immer weiter erschwert wird, ist es mitunter sehr kräftezehrend, sich immer wieder neu zu begeistern. Es gelingt mir auch nicht jeden Tag. Aber es gelingt immer dann, wenn ich mich mit der Architektur selber auseinandersetzen kann. Es ist immer ein Sich-Einnehmen-Lassen, ein Erspüren des Erbaulichen, das Architektur haben kann, das mich begeistert und immer wieder neu motiviert. Das geht mir genauso beim Erleben von historischer wie auch ganz besonders von zeitgenössischer Architektur. Und ab und an gelingt es auch bei den eigenen Bauten.

Andreas Denk: Jüngere Generationen haben inzwischen andere Ideale vom Verhältnis von Freizeit und Arbeit. Glauben Sie, dass sich die begeisterte Grundeinstellung eines Lebens für die Architektur der jüngeren Generation noch vermitteln lässt?

Heiner Farwick: Das Thema einer „work-life-balance“, das heute gerne angeführt wird, kann auch auf Irrwege führen. Es suggeriert, dass die Arbeit nichts mit dem eigentlichen Leben zu tun hat. Wenn ich „work“ und „life“ so trenne, habe ich eine grundsätzliche Komponente des gelingenden Lebens voreilig ausgeschlossen. Eine positive Berufsauffassung – sie muss ja nicht gleich enthusiastisch sein – ist ja nicht nur eine Möglichkeit des Erwirtschaftens des Lebensunterhalts, sondern eine Chance, sein Leben zu bereichern.

Andreas Denk: Die Entwicklung einer Begeisterung für die Disziplin der Architektur muss schon beim Studium anfangen. Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie es an den Hochschulen sein kann: Was können die Hochschulen tun, um in den ersten Semestern die Flamme zum Lodern zu bringen?

Heiner Farwick: Wir können nicht erwarten, dass alle Studierenden schon mit einer großen, inhaltlich begründeten Motivation an die Hochschule kommen. Da viele Studieninhalte zudem heute nur oberflächlich vermittelt werden, erlangt das Studium nicht immer die geistige Tiefe, die zu einem besseren Verständnis der gesellschaftlichen Dimension der Aufgabe „Architekt“ führt und damit weitertragen könnte. Vielleicht müssen unsere Professorinnen und Professoren deshalb noch mehr eine Haltung vorleben, der der Enthusiasmus für die Architektur innewohnt.

Andreas Denk: Sie haben es bereits angedeutet: Dieser studentische Enthusiasmus kann sich im Laufe der Zeit im beruflichen Alltag legen. Was empfehlen Sie dagegen?

Heiner Farwick: Das Engagement muss immer über die Tätigkeit im eigenen Büro hinausgehen: Es müsste für jeden eine Freude sein, durch Reisen und Besichtigungen, durch Vorträge, durch Symposien das eigene Wissen um die Dinge zu vertiefen und seine Auffassung und Begeisterung anderen mitteilen zu können und die Anderer wahrzunehmen. Dazu gehört übrigens auch die Mitwirkung im BDA: Er ist eine wunderbare Plattform, um durch gegenseitige Vermittlung architektonischer Positionen und den Austausch über Möglichkeiten und Probleme des Berufs Gleichgesinnte und Gleichinteressierte zusammenzuführen. Der BDA kann, um im Bilde zu bleiben, auch Nahrung sein für die Flamme, die in den meisten von uns lodert.

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