tatort

Nationaler Grundstein

Wieder einmal – zum letzten Mal in diesem Jahr – ist es soweit: Wir suchen ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Nachkriegs-Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat, sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per Post, Fax oder E-Mail an die Redaktion gesandt werden. Unter den Einsendern der richtigen Antwort verlosen wir ein Buch. Einsendeschluss ist der 16. Januar 2016.

„Hoch in den Himmel ragst du empor, du stolzes Haus (…)
Heute wird die Richtkrone auf das Haus gehoben.
Auf das erste Haus von schönen,
die schon morgen Deutschlands Hauptstadt werden krönen. (…)
Dies ist der Grundstein zum Programm der Nation
Zum Aufbau für ganz Deutschland.“

So begann der Richtspruch für ein großes Wohngebäude, den der Zimmermannspolier am 1. Mai 1952 in Anwesenheit des damaligen Oberbürgermeisters und des Architekten sprach. Das neuartige Gebäude sollte ein Aushängeschild des neuen Staates sein und Wohnraum für „verdiente Leute, die in schlechten räumlichen Verhältnissen lebten“, bieten. Ein damaliger Bewohner erinnert sich, dass ein formloser Antrag genügte, um in dem 45 Meter hohen, achtstöckigen Gebäude mit gläsernem Dachgarten und Fahrstuhl eine von 33 großzügigen Wohnungen zu bekommen. Jede Wohnung war mit Zentralheizung, elektrischem Herd und Heißwasserspeicher, Speise-, Besen- und Geschirrschrank, Telefon und Müllschlucker ausgestattet. Im Erdgeschoss befanden sich überdies eine Konsum-Fleischerei und eine Verkaufsstelle für Getränke, die später für einen Wirkungsbereichsausschuss der Nationalen Front genutzt wurde. Stolz verkündete ein Reporter vom Richtfest des in nur 121 Tagen hochgezogenen Gebäudes, dass der Mietpreis mit 90 Pfennig nur die Hälfte von dem betrage, was man im benachbarten, ideologisch anders aufgestellten Teil der Stadt bezahlen müsse.

Der Architekt des „tatorts“ hatte ursprünglich einen hochmodernen Entwurf für die Gesamtanlage der Straße vorgelegt. Hier, so erinnerte er sich 1980, habe er dem in der Jugend erworbenen Ideal eines Wohnens in Licht, Luft und Sonne Ausdruck verleihen wollen. Die gleiche Ausstattung der Wohnungen sollte den Bewohnern das Gefühl geben, dass hier „Gleiche unter Gleichen“ lebten. Nach einer öffentlichen Attacke durch ein hochrangiges Regierungsmitglied änderte er im Wettbewerb um das Hochhaus seine Handschrift und bezog sich dabei auf die Architektur Karl Friedrich Schinkels: Der Regierungsspitze sei es um die Wirkung der Architektur auf die Massen gegangen – und deshalb habe sie eine Stilistik bevorzugt, die das „Heimatbild“ der Hauptstadt wiedererkennen lasse. Schließlich hätten ihn Gespräche mit Bertolt Brecht und anderen „Genossen“ überzeugt, „dass das Bauen für Millionen von ästhetischen, geschmacklichen und emotionalen Voraussetzungen der Menschen abhängt. (…) Sie sollten das Gefühl bekommen, Herren eines neuen Staates zu sein und Eigentümer der Bauten und der Stadt, in der sie leben.“ Bertolt Brecht schuf auch den Sinnspruch für das Hauptportal, das im übrigen mit vier Säulen aus der ehemaligen Reichskanzlei gefasst ist: „Friede in unserem Lande, Friede in unsrer Stadt, dass sie den gut behause, der sie gebauet hat.“

Auch wenn der neue Staat, den das Hochhaus repräsentieren sollte, nicht mehr existiert: Der „tatort“ steht seit langem unter Denkmalschutz. Um welches Gebäude handelt es sich, und wer hat es entworfen?

Der „tatort“ der Ausgabe 5/16 war das Haus der Bremischen Bürgerschaft, das Am Markt 20 1965/66 nach Plänen Wassili Luckhardts gebaut wurde. Gewinner des Buchpreises ist Friedrich Karl Borck aus Berlin.

Foto: Gryffindor / Wikipedia Commons

Foto: Gryffindor / Wikipedia Commons

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