Tatort

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Gesucht wird wieder ein Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Lösungsvorschläge können per E-Mail (redaktion[at]die-architekt.net) eingereicht werden. Zu gewinnen gibt es das Buch „Wohnen im Einklang. Strategien zum Bauen im Lärm aus Forschung, Lehre und Praxis“ (Park Books). Einsendeschluss ist der 18. März 2023.

Das Antlitz des ehemaligen Arbeiterviertels im Norden einer Großstadt ist nach wie vor geprägt von Fabrikgebäuden und -arealen, von denen die meisten aus der ursprünglichen Nutzung gefallen sind. So auch der gesuchte Tatort, der einem unvermittelt an der Kreuzung zweier Seitenstraßen mit einem Eckturm entgegentritt – ein fünfstöckiger Bau auf unregelmäßigem Grundriss, aus dessen Front (unverputzter Schalungsbeton) in Höhe des vierten Geschosses ein Glas-Beton-Kasten auskragt. Es war dies der Verwaltungstrakt des Produktionsgeländes. Daran schließt zur einen Seite eine vorgelagerte, niedrige Montagehalle mit kleinen Lichtkuppeln und ein Büroriegel an, über dessen gesamte Länge sich rückwärtig ein gründerzeitlicher Bau anschmiegt. Zur anderen Seite grenzen Flachbauten an, die eine breite Einfahrt säumen. Passiert man diese, erreicht man den großzügigen Betriebshof samt Rondell und dem technischen Büro am Kopfende: ein langgestreckter Bau, dessen Obergeschoss repräsentativ durch eine rot gerahmte Glasfassade geöffnet ist und insbesondere durch das nach hinten leicht abfallende Pultdach an zeitgenössische Theaterfoyers erinnert. Daneben erhebt sich das Pendant des eingangs erwähnten Eckturms: Das Tischlerei- und Lehrwerkstättengebäude besteht aus in der Front je verglasten Kuben, die versetzt aufeinandergestapelt und ineinandergeschoben sind.

Foto: Theresa Jeroch

Die beschriebenen Bauten stammen zu großen Teilen aus der Feder eines jungen Architekten, der abgesehen von einer viel beachteten Diplomarbeit und „international“ – das heißt in Italien – gesammelter Erfahrung wenig vorzuweisen hatte. Die beauftragende Firma, die sich ein modernes Erscheinungsbild zu geben wünschte, wurde zu Beginn des Jahrhunderts gegründet und zog 1916 in das umrissene Areal. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der weitgehenden Zerstörung der Produktionsanlagen erlebte sie beeindruckenden Aufschwung, der in den 1970er-Jahren abebbte und schließlich im Konkurs endete. Aufgrund der Schulden fiel das Gelände in die Hände des Landes. Zunächst vermietete man einzelne Räumlichkeiten, beschloss aber dann – ganz im Sinne des damals herrschenden Privatisierungsfiebers – auch dieses Grundstück dem freien Markt preiszugeben und höchstbietend zu verkaufen. Erstaunlich war nicht so sehr der sich regende Widerstand, sondern dass er Erfolg zeitigte. Initiiert von zwei Kunstschaffenden vor Ort gründete sich eine Mieterinitiative, die mit langem Atem für die Übernahme der mittlerweile streng denkmalgeschützten Fabrik kämpfte. Widersacher war übrigens ein Investor, der den Bau von Loftwohnungen anstrebte. Seit 2007 ist das Gelände dank gemeinnütziger Rechtsform und Erbbaurecht der Bodenspekulation entzogen und wird zu gleichen Teilen an Gewerbetreibende, Künstler und soziale Einrichtungen vermietet. Wie lautet der Name der Fabrik und wer zeichnet für den Entwurf der Gebäude verantwortlich?
Theresa Jeroch

Bei dem Tatort aus Heft 6 / 22 handelt es sich um die Stadthalle Neubrandenburg aus dem Jahr 1969. Die Schalenkonstruktion entwarf Ulrich Müther. Neubrandenburg wurde im Zuge einer Verwaltungsreform Bezirkshauptstadt in der DDR und sollte, verbunden mit einem forcierten Bevölkerungszuwachs, zu einem politischen und wirtschaftlichen Zentrum ausgebaut werden. Gewinner des Buchs „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ von Karin Hartmann (jovis Verlag) ist Thomas Grüninger.

 

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