tatort

Wenn die Klinker sprechen könnten

Wieder fahnden wir nach einem Bauwerk, das eine besondere Rolle in der Architekturgeschichte spielt oder gespielt hat – sei es durch eine besondere Eigenschaft, eine ungewöhnliche Geschichte oder eine spezifische Merkwürdigkeit. Wir möchten dessen Bezeichnung und den Namen seines Architekten wissen. Unter den Einsendern der richtigen Lösung verlosen wir ein Buch. Die Lösungsvorschläge können Sie per Post, Fax und E-Mail an die Redaktion senden. Einsendeschluss ist der 25. März 2013.

Ut saxa loquntur: Wenn die Klinker sprechen könnten, würde das Baumaterial des gesuchten „Tatorts“ die Geschichte zweier Männer erzählen, deren Wege sich hier kreuzten. Die ungewöhnlichere Geschichte gehört wohl dem Bauherrn. Sein Urgroßvater stammte aus Great Yarmouth und wanderte nebst seiner neunköpfigen Familie in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts nach Deutschland aus. In einer deutschen Hafenstadt gründete er eine Reederei, die noch heute existiert. Der in England lebende Vater des Bauherrn verlor sein gesamtes Vermögen im Krimkrieg und schickte seine beiden Kinder deshalb zum vermögenden Familienzweig nach Deutschland. Dort beendete der Sohn eine Schlosserlehre bei einer renommierten Werft und erhielt durch den Vater eines Freundes Geld, um nach Chile auszuwandern. Im chilenischen Iquique bekam er – wiederum durch Vermittlung der befreundeten Familie – einen Job in einer Salpetermine. 22 Jahre  später gründete er in Tocopilla die erste von mehreren eigenen Salpeter-Fabriken mit dem verheißungsvollen Namen „Gute Hoffnung“. Der Boom des „weißen Goldes“, das sich als Grundlage für Dünger wie für Sprengstoff gleichermaßen eignete, brachte Riesengewinne für die Unternehmer, aber auch elende Arbeitsbedingungen für die Indios und Wanderarbeiter, die von „Enganchadores”, „Menschenwerbern“ mit falschen Versprechungen in die wüsten Abbaugebiete der Atacama Wüste gelockt wurden. Als der spätere Bauherr in die deutsche Hafenstadt zurückkehrte, hatte er indes sein „Glück“ gemacht: Unmittelbar vor dem ersten Weltkrieg wurde er im Ranking reicher Bürger mit einem Vermögen von 60 Millionen Mark und einem jährlichen Einkommen von rund drei Millionen als reichste Person der Stadt geführt. Etwas mehr als ein Jahrzehnt später gründete er sogar eine eigene Bank zur Verwaltung des eigenen Vermögens – zu einem Zeitpunkt, als sein immenser Reichtum ihm eine opulente Bauherrnschaft ermöglicht hatte.

Kurz zuvor nämlich traf der Bauherr auf einen Architekten, der sich ebenso das große Format zur Aufgabe gesetzt hatte. Dieser – im Unterschied zu dem Jungen aus gutem Hause – war das älteste von sechs Kindern eines Kleinbauern und Zimmerers, dessen Professionen er zunächst ergriff. Dann schlug der Mann mit dem Besuch der Baugewerksschule, einer Lehre als Technischer Zeichner und der Arbeit in der Bauunternehmung seines Schwiegervaters eine architektonische Laufbahn ein. Noch vor dem ersten Weltkrieg plante er die ersten großen Bürohäuser für seine Heimatstadt. Sein größter Coup indes wurde das Kontorhaus für den steinreichen Salpeter-Importeur, bei dem er den von ihm geliebten Bockhorner Klinker, seinen „Bauedelstein“ im Märkischen Verband, verwenden konnte, der dem Bau seine charakteristische Fassadenoberfläche gibt. Der Architekt beschreibt das so: „Erwähnt sei noch, dass ich für die Fronten ausgerechnet Ausschussklinker wählte, die sonst normalerweise allenfalls für Schweineställe, Fußböden-Pflasterungen gut genug gehalten würden. Mir aber waren diese deformierten Brocken für meinen Riesenbau gerade so gut, nur durch ihre natürliche Knupperigkeit, so wie sie durch höchste Feuersglut wurden, waren sie mir lieb, nur ihnen verdanke ich einen Großteil der Wirkung des Riesenbaus, durch sie erhielt der Bau seine Beschwingtheit und nahm dem Riesen seine Erdenschwere.“ Mindestens ebenso bedeutend wie die Materialverwendung war die Verwendung der Fotografie von Carl und Adolf Dransfeld für die wohl weltweite Rezeption des zehngeschossigen Bauwerks: Seine markante Ecke ließ sich aus Unterperspektiven so imposant darstellen, dass die Zeitgenossen tief beeindruckt waren. Der Architekt erhielt deswegen zahlreiche weitere Aufträge, die ihn nicht unbedingt zur Selbstkritik anspornten: Kaum ein Künstler, so schreibt ein Architekturhistoriker, sei so sehr wie er Opfer seiner eigenen Sagen und Mythen geworden. „Keiner hat so viel dazu beigetragen, die Spuren zu vernebeln durch großmäuliges Verbreiten von Märchen, durch bramabarsierende Geschwätzigkeit und anbiederndes Selbstlob.“ Der architektonischen Qualität des „Tatorts“ können indes weder die fragwürdigen Praktiken des Bauherrn noch das menschliche Scheitern seines Baumeisters etwas anhaben. Wo liegt der Tatort, wie heißt er und wer hat ihn entworfen?

Der „Tatort“, der in der Ausgabe 6/12 gesucht wurde, war Haus Schmincke im sächsischen Löbau, das Hans Scharoun 1930 für den dort ansässigen Nudelproduzenten Fritz Schmincke entworfen hat. Gewinner des Buchpreises ist Jonas Dimter aus Mainz.

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