Heiner Farwick

Wohnen

Ein Grundbedürfnis

Nach Nahrung und Bekleidung gehört das Wohnen, das heißt zunächst der Schutz vor den Unbilden der Witterung, zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Über den Zeitraum von Jahrtausenden und über verschiedene Völker und Kulturen hinweg haben sich unterschiedlichste Formen des Wohnens herausgebildet, resultierend aus klimatischen Gegebenheiten, nutzungsspezifischen Anforderungen und unterschiedlichen Modellen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Mit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und beschleunigt im 20. Jahrhundert traten tradierte Formen des Wohnens und damit auch ihre bauliche Ausdrucksformen immer weiter zurück und standardisierte Typologien setzten sich mehr und mehr durch. Das nahezu ungebremste Wachstum der Weltbevölkerung und die damit verbundene weltweite Verstädterung beschleunigten diesen Prozess.

Der sukzessive soziologische Wandel von einer ländlich geprägten Gesellschaft mit großen Familienverbänden hin zu einer städtischen, stark individualisierten Gesellschaft mit einem stetig wachsenden Anteil an Singlehaushalten führt unweigerlich zu geänderten Anforderungen. Doch wie sehen diese Anforderungen  aus? Wie müssen Wohnmodelle der Zukunft beschaffen sein – und was heißt „innovatives Wohnen“?

Aktuell behandeln die Medien und in Folge auch die Verantwortlichen aus Politik und Wohnungswirtschaft die Thematik einer Wohnungsnot, obwohl alle Beteiligten wissen, dass es in Deutschland keine Wohnungsnot an sich gibt, sondern beschleunigte Nachfrageverschiebungen konstatiert werden müssen: Rückgang der Bevölkerung in einigen Städten und Regionen, Zunahme in anderen, was zu einer Verknappung von Wohnungen insbesondere im eher günstigen Mietzinsniveau in den nachgefragten Städten führt. Nur am Rande sei bemerkt, dass gerade auch diejenigen Städte eine Zunahme der Bevölkerung registrieren, die eher über anerkannt attraktive Stadtbilder verfügen. Zu dieser Binnenwanderung kommt die steigende Zahl von Singlehaushalten hinzu, aber auch die gleichen Phänomene, die bereits in den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts den Wohnungsmarkt beeinflussten: Die Generation der Babyboomer drängte in den Wohnungsmarkt und Zuwanderung ließ die Bevölkerung wachsen, heute suchen die Kinder der Babyboomer, wenn auch in ihrer Anzahl geringer, ihre eigenen Wohnungen und es ist erneut eine Zuwanderung zu verzeichnen. Ob die Lösung wieder in die Diskussion gebrachte neue Großsiedlungen sind, darf bezweifelt werden. Auch wird mehr Dichte allein nicht den komplexen Anforderungen von Stadt und Wohnen gerecht. Die extrem verdichtete Stadt, ob mittelalterlich oder gründerzeitlich geprägt, führte nicht ohne Grund zum jahrzehntelang gültigen Ideal von  Licht, Luft und Sonne als Qualitätsmaßstab für Stadtplanung und Wohnungsbau.

Karl Böttcher (1904-1992), Studie: Wohnung für das Existenzminimum, Abb.: Architekturmuseum TU Berlin

Und ob der stark durch den Wiederaufbau geprägte Wohnungsbestand, oft eher im Erscheinungsbild als Siedlung denn als Stadt, in den vorherrschenden – an der Kleinfamilie orientierten – Wohnungstypologien geeignet ist, die Bedürfnisse der Menschen in Zukunft noch zu erfüllen, darf auch bezweifelt werden. Doch wie verändern sich die Vorstellungen über das Wohnen über Generationen hinweg, wie wirken sich gewandelte Lebensmodelle oder ethnische Unterschiede auf die Wohnsituationen aus? Und welche Schlussfolgerungen für den zukünftigen Wohnbau ergeben sich aus dieser genauen Betrachtung von unterschiedlichen „Zielgruppen“?  Vor allem muss erörtert werden, wie der menschliche Aspekt in der existenziellen Bedeutung des Wohnens Raum findet: Sich „zuhause“ zu fühlen in einem guten städtebaulichen Umfeld, in funktionsdurchmischten, gut gestalteten Quartieren oder Nachbarschaften, eingebunden in ein möglichst vielschichtiges soziales Umfeld und ein Wohnen in qualitätvollen Räumen hat wesentlichen Einfluss auf die Lebensqualität. Wohnen ist mehr als Energieeffizienz, Vermarktbarkeit oder Rendite.

Dipl.-Ing. Heiner Farwick (*1961) studierte Architektur und Städtebau am Fachbereich Bauwesen der Universität Dortmund, wo er 1989 diplomierte. Nach Mitarbeit im Architekturbüro Hans Busso von Busse (München) erfolgte 1992 die Gründung des Büros farwick + grote architekten BDA stadtplaner, Ahaus / Dortmund. Von 2007 bis 2009 war Heiner Farwick kooptiertes Mitglied im BDA-Präsidium, ab 2009 Präsidiumsmitglied, seit 2011 Vizepräsident und seit Dezember 2013 ist er Präsident des BDA.

Abb.: Architekturmuseum TU Berlin

 

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