Buch der Woche: Die neue Architektur der Gemeinschaft

Zusammen

Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein zeigt seit Juni die Ausstellung „Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft“. Die von Ilka und Andreas Ruby in Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Architekturbüro EM2N kuratierte Schau nimmt sich als eine Art mash-up zweier aktueller Themen an, die die Architektur seit vielen Jahren in wachsender Intensität umtreiben: Zum einen der Frage, wie Wohnraum in Städten und Metropolregionen vor dem Hintergrund dauerhaft steigender Immobilienpreise erschwinglich bleibt, zum anderen, welchen räumlichen Ausdruck Architektur auf die sich verändernden gesellschaftlichen Konstellationen der verschiedenen Formen des Zusammenlebens finden kann. Da klassische Konzepte des Wohnungsbaus dem entstandenen Bedarf offenkundig nicht mehr gerecht werden können, lautet die These der Ausstellung, dass die benannten Herausforderungen eine „stille Revolution in der zeitgenössischen Architektur ausgelöst“ haben. Diese machen die Kuratoren im Bauen und Wohnen im Kollektiv aus.

„Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft“ ist zwar nicht „die erste Ausstellung, die dieses Thema umfassend beleuchtet“, gleichwohl eine der bis dato überzeugendsten, macht sie das Thema doch räumlich erfahrbar. Die gezeigten Filme und Fotografien, vor allem aber die ausgestellten Modelle und Wohnungen im Maßstab 1:1 machen das komplexe Thema anschaulich. Geschickt ist dem Ruby-Team dabei der Rundumschlag von historischen Projekten gelungen, die für heutige Entwicklungen den ideellen und gedanklichen Grundstein legten – über die theoretische wie praktische Veranschaulichung der Gegenwart. Bemerkenswert ist auch, dass der gleichnamigen, und bei Ruby Press verlegten, Ausstellungspublikation diese inhaltliche Klarheit gelingt. Programmatisch spricht sie, wie die Ausstellung selbst, von der „Neuen Architektur der Gemeinschaft“ und nicht etwa nur von neuer Architektur. Analog zur Schau im Gehry-Bau in Weil am Rhein wirft auch das rund 350 Seiten umfassende Buch nach aufschlussreichen einführenden Essays der Herausgeber zunächst den Blick in die Geschichte. Der erste Teil des Katalogs an sich ist bereits ein Stück, für das Ilka und Andreas Ruby, Mateo Kries, Mathias Müller und Daniel Niggli zu beglückwünschen sind, denn er stellt eine lehrreiche und unbedingt empfehlenswerte Sicht auf das Thema und seine Vielschichtigkeit dar.

Es folgen dann gut 200 Hochglanzseiten mit Bildern des Fotografen Daniel Burchard. Dieser hat acht Projekte in Deutschland, Japan, Österreich und der Schweiz besucht und dabei die Architektur an sich, vor allem die Bewohner und wie sie ihre Behausungen in Besitz nehmen und nutzen, porträtiert. Die Ästhetik der Bilder ist dabei gleichwohl zeitgeistig, so wie sie dem Thema angemessen erscheint. Hier allerdings mag sich eine der perspektivisch interessantesten Fragen entzünden. Wie die Bilder nämlich, sind auch Layout und Grafik des Katalogs aus der Hand der Berliner von Something Fantastic durchaus einem eindeutigen modischen Chic zuzuordnen. Von kleineren Unfreundlichkeiten einmal abgesehen, bei denen man sich als Leser mehr Kontrast zwischen Farbflächen und Schrift gewünscht hätte, funktioniert diese Zeitgeistigkeit hier im Großen und Ganzen gut. Für die Sache an sich, die Wichtigkeit des Themas und den vielversprechenden Ansätzen der beteiligten Architekturbüros aber wäre es doch tragisch, wenn in zehn Jahren anhand solcher Indizien bloß von einer Mode in der Architektur gesprochen werden würde.

Wie viel konkretes aus den bis dato realisierten Bauten bereits zu gewinnen ist, zeigt der dritte Teil der Publikation. Unter dem Titel der Ausstellung werden 22 Architekturen zusammengetragen: darunter Bauten von Jinhee Park, Dorte Mandrup, Müller Sigrist, ON design, gaupenraub +/-, Ryue Nishizawa, Hütten und Paläste, Beat Rothen, Enzmann + Fischer, Lacol Cooperativa d’Arquitectes und einigen mehr. Diese Zusammenschau zeigt nicht nur, was es schon alles gibt, und wie weit man das Thema des gemeinschaftlichen Wohnens architektonisch zuspitzen kann, sie führt in aller Kürze die für das Verständnis der Projekte notwendigen Fakten auf, ergänzt Fotografien um Grundrisse und einen Erläuterungstext. In der Ausstellung, das deutet der Katalog nur an, finden diese Projekte zu einer kleinen Idealstadt des gemeinschaftlichen Lebens zusammen. Dieses Kompendium schließlich wird abgerundet durch einen abschließenden vierten Teil, in dem „Betroffene“ in Erfahrungsberichten zu Wort kommen.

Den Herausgebern des Katalogs ist das Kunststück gelungen, die Komplexität des Themas ebenso abzubilden wie das Potential, das in ihm – nach wie vor und trotz der bereits gebauten Beispiele – schlummert. Neben den ausgewählten Projekten überzeugen in „Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft“ auch die Texte: Die Publikation bekommt eine inhaltliche Dichte, die tatsächlich gewinnbringend ist.

David Kasparek

Ilka & Andreas Ruby, Mateo Kries, Mathias Müller, Daniel Niggli (Hrsg.): Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft, mit Fotografien von Daniel Burchard, 352 S., zahlr. Abb., Softcover, Ruby Press, Berlin 2017, ISBN: 978-3-945852-15-6

Together! Die Neue Architektur der Gemeinschaft
Vitra Design Museum
Ausstellung bis 10. September 2017
Charles-Eames-Straße 2
79576 Weil am Rhein
täglich: 10:00 – 18:00 Uhr
Vitra Design Museum: 11,– Euro / ermäßigt 9,–
Vitra Design Museum + Schaudepot: 17,– Euro / ermäßigt 15,–

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