Günter Pfeifer

Alles heiße Luft?

Dichtung und Lüftung, Atmung und Leib

Man kennt die herablassende Bemerkung „Alles heiße Luft“ – sie steht für etwas, das groß angepriesen wird und dennoch nichts Besonderes ist. Ein Halbsatz für angekündigte Handlungen, die dann doch nicht stattfinden: Gerede ohne Substanz, großspurige, leere Versprechungen. Gleichauf steht das Synonym von „Luft schaffen“ oder „Luft verschaffen“ für Zeit, Platz oder Übersicht gewinnen.

Wenn wir uns mit Luft beschäftigen, geht es auch ums Luftholen. Und wenn jemand nach Luft ringt oder keine mehr bekommt, dann ist Alarm im Gesundheitssystem angesagt, und bildlich gesprochen ist diese Enge auch in der Psychologie vorhanden, wenn jemand so eingeschnürt ist, dass er nach Freiheit dürstet. Das Luftholen jedenfalls ist Teil der Atmung und die Atmung ein Teil der Atmosphäre, die den Menschen umgibt – nur in einer Atmosphäre gesunder Luft gedeiht der Mensch, fühlt sich wohl und bleibt gesund. Atmung, Luft und Klima sind so eng miteinander verknüpft, dass man sich fragen muss, warum dieser Zusammenhang nicht in einem Ganzheitsaspekt betrachtet wird.

Aus den Erinnerungen meiner Kindheit taucht ein Frühbeet auf, das meine Großmutter im Garten hatte. Ein einfacher hölzerner Rahmen um ein, zwei Beete gelegt, auf dem eine gläserne Abdeckung montiert war, aus einem der alten Vorfenster, die im Winter vor die Wohnzimmerfenster montiert und jetzt aus Altersgründen für derlei Zwecke verwendet wurden. In diesem kleinen Raumgebilde wurden die ersten Setzlinge für Tomaten und Salat und anderes herangezogen. In meiner heimatlichen Kleinstadt gab es einige Gärtnereibetriebe, die einfache Treibhäuser auf dem Gelände stehen hatten, in denen ich mit kindlicher Neugier die vielen Pflanzenarten bewunderte, die in erwärmter Luft heranwuchsen und gediehen. Diese gläsernen Stahlgestelle mit den kleinen Glasausfachungen waren auf einfachste Art konstruiert. Einige Fenster konnte man zur Belüftung ausstellen, die besseren Treibhäuser hatten große Dachlüftungselemente oder die Möglichkeit, an langen Zahnradstangen das ganze Dach anzuheben.

Jedenfalls ist in meinem Empfinden die sehr warme, wenn nicht sogar heiße Luft eingelagert, die in diesen Häusern herrschte. Und das zu Jahreszeiten, in denen man draußen noch mit Wollpullover und Anorak herumlief. Alles heiße Luft also, in der etwas heranwächst und zur Reife gelangt.

Würde jemand dieses uralte Prinzip solarer Energienutzung, seit hunderten Jahren bewährt und immer noch verwendet, abschaffen oder durch eine andere Technik ersetzen wollen? Käme jemand auf die Idee, die Treibhäuser gegen Sonne abzudämmen, um die Pflanzen mit künstlich erwärmter Luft zu versehen? Blumenzüchter in Nizza, Tomatenzüchter in den Niederlanden oder Rosenzüchter in Brasilien – alle würden so eine Idee für absurd und verrückt halten. In diesem Zusammenhang transformiert sich der Satz mit der heißen Luft zu einer anderen, fast transzendenten Bedeutung: Heiße Luft ist das Element des Wachstums, des Werdens und Reifens.

Unterschiedliche Schichten der Erdatmosphäre bei Sonnenuntergang. Gesehen von der STS-127 Besatzung aus dem erdumkreisenden Spaceshuttle Endeavour, Foto: NASA

Luftholen, Atmen – dafür gibt es in der japanischen Kultur ein eigenes Zeichen und einen Begriff. Es ist das Ki, von dem man sagt: „Es umgibt die Erde. Wenn es sich bewegt, wird es Wind. Wir Menschen atmen es ein und leben. Es ist der Ursprung alles Seienden“ (Zitat aus dem Daijiten, großes Zeichenlexikon, Erstauflage 1932, erweitere Neuauflage 1965). Das Klima ist der Raum der Begegnung von Mensch und Natur. Ki ist die Durchdringung des Atmosphärischen, des Luftigen, und bestimmt die Gestimmtheit des Menschen. Diese leibliche Durchdringung ist mehr als Atmen, es ist die Durchdringung des Gestimmt-seins mit Atmosphäre (Kimura Bin: Zwischen Mensch und Mensch).

Mit Atmosphäre wird in der architektonischen Denkweise die Stimmung von Räumen, eines Gebäudes oder einer Stadt beschrieben. Der Philosoph Gernot Böhme beschreibt in seinem Buch „Anmutungen“ die unterschiedlichen Atmosphären vornehmlich anhand von Lichtstimmung wie der Dämmerung und der Helligkeit. Auffallend ist das Fehlen des eigentlichen Ursprungs, der Atmosphäre, die als Lufthülle um die Erde, von Gasen gebildet, der Ort ist, in dem sich Klima und Wetter bilden. Sie sorgt für den Temperaturausgleich zwischen Äquator und den Polen. Ohne sie wäre es unerträglich heiß oder kalt, und sie schützt überdies vor dem Einfall gesundheitsschädlicher Strahlung. Wir erfahren die klimatischen Atmosphären wie Kühle und Wärme, Feuchtigkeit und Trockenheit, Weichheit und Härte an und in unserem Leib.

Darum ist das Klima in den Räumen des unmittelbaren Lebens, der nach der Kleidung wichtigsten Umhüllung innerhalb des Umfelds Wohnen, die entscheidende Grundlage des Durchdringens und Eingelassenseins mit der Natur. Dies hat nicht nur mit der Übernahme einer bestimmten Art und Weise des Erfahrens und Denkens zu tun. Bereits bevor der Mensch sich klimatisiert, wird ihm so etwas wie eine Vorbereitetheit für eine bestimmte Klimatisierung gegeben. Wenn der Mensch seinen Leib bekommt und geboren wird, ist dieser Leib in diesem Sinne bereits Teil des Klimas. Das Klima beeinflusst so die mentale Infrastruktur und die ästhetische Wahrnehmung.

Die Staatsagentur dena (Deutsche Energie Agentur) will uns mit Hilfe breit angelegter Werbekampagnen klar machen, dass alles ganz anders herum sein soll. (siehe FAZ Nr. 29 ‚Angriff der Umerzieher’) Hinter dieser Rabulistik steckt nichts anderes als eine von der Dämmindustrie und -lobby angestrengte Umerziehung zum Energiesparen mit dem Ziel, Häuser mit dicken und dichten Dämmungen zu verpacken. Diese als alternativlos propagierte Methode leidet wie jede andere Art vorweg genommener Feststellungen an der Tatsache, dass einseitige Betrachtungen a priori immer falsch sind. Dass es auch anders geht, soll in dieser Ausgabe von der architekt zum wiederholten Male vertieft werden.

Prof. Dipl.-Ing. Günter Pfeifer (*1943) ist freier Architekt BDA in Freiburg. Bis zu seiner Emeritierung im Sommer 2012 hatte er an der TU Darmstadt den Lehrstuhl für Entwerfen und Wohnungsbau inne. Seit Sommer 2011 betreibt Günter Pfeifer mit Prof. Dr. Annette Rudolph-Cleff die Fondation Kybernetik – ein Praxislabor der TU Darmstadt und Pool für Nachhaltigkeitsforschung. Günter Pfeifer ist Mitglied des Redaktionsbeirats dieser Zeitschrift.

Foto: NASA

Artikel teilen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert