Houston, we have a problem

Architektur für den Endgegner

Zur Relevanz junger Architekten
von David Kasparek

Mit dem Jahresthema „Kulisse und Substanz“ nimmt der BDA sich 2019 verstärkt den drängenden Fragen rund um den Themencluster Ökologie und Verantwortung an. Dabei steht die Diskussion im Vordergrund, welche Maßnahmen uns substanziell dabei helfen können, die Effekte des Klimawandels zu gestalten, und welche Eingriffe, Postulate oder Moden nur Kulisse bleiben. Bereits von zehn Jahren haben zahlreiche Verbände – darunter auch der BDA – das Klimamanifest „Vernunft für die Welt“ verfasst und damit auch eine Selbstverpflichtung kundgetan, sich für eine Architektur und Ingenieurbaukunst einzusetzen, „deren besondere Qualität gleichermaßen durch funktionale, ästhetische und ökologische Aspekte bestimmt wird“. Auch der diesjährige BDA-Tag in Halle an der Saale wird sich am 25. Mai dem Thema annehmen und einmal mehr ein ökologisch-gesellschaftliches Umdenken anregen. Wir veröffentlichen an dieser Stelle Texte und Gespräche erneut, die seit der Publikation des Klimamanifests erschienen sind.

Die frühen 1990er Jahren waren bewegte Zeiten. Man wähnte die Trennung der Welt in Blöcke überwunden und konnte sich ganz der Kultur, dem Savoirvivre und den vermeintlich visionären Entwicklungen hingeben. Alles schien möglich in dieser Zeit. Sogar, dass eine aus dem Urlaub geholte Mannschaft dänischer Kicker Fußballeuropameister werden konnte. Auch kulturell brachte die Zeit einige bis heute anhaltende Umwälzungen mit sich. Nach der unter anderem durch die Filme Beat Street und Wild Style ausgelösten ersten Hip-Hop-Welle der 1980er schwappte eine zweite durch Mitteleuropa, die sich unter anderem in der legendären „Klasse von 95“ manifestierte – jenem Sampler, auf dem Künstler wie die (damals noch Absolute) Beginner, Stieber Twins, Massive Töne, MC Rene oder Der Tobi & Das Bo vertreten waren.

Cover des Samplers „Klasse von ’95“ von Mode2

Nach dem in Europa erstmals 1990 von Nintendo eingeführten Game Boy präsentierte der japanische Konzern im August 1992 die Spielekonsole SNES für den deutschen Markt, die von Sony zwei Jahre später mit der Play Station gekontert wurde. Eines der meistgespielten Games für die Play Station sollte das 1995 zunächst nur für Arcade-Automaten präsentierte Spiel „Tekken“ werden. Mit „eiserner Faust“, so die deutsche Übersetzung des Titels, galt es, sich dabei durch ein Turnier zu kämpfen und einen Gegner nach dem anderen auszuschalten – bis zum Endgegner, der sich dadurch auszeichnete, die größten Fertigkeiten von seinem Kontrahenten abzuverlangen. Wer ihn in die Knie zwingen wollte, musste auf dem Weg dahin zahlreiche Rückschläge in Kauf nehmen, sich in Geduld üben und dabei stetig an den eigenen Skills arbeiten. Ein weithin verbreitetes Motiv in Computerspielen.

Beides – Rap als ein Ausdruck von Hip-Hop und Computerspiele sowie die angegliederten Industrien – sind inzwischen zu unbestrittenen Motoren unserer kulturellen Entwicklung geworden. Kein Musikgenre hat sich derart in den internationalen Charts etabliert wie die unterschiedlichen Spielformen des Rap, kaum ein Haushalt, der heute nicht mindestens ein Gaming-Tool aufweisen könnte. Computer, Mobiltelefone, Tablets. Der Endgegner unserer Gesellschaft aber hat sich anderweitig manifestiert.

Nintendo Game Boy, Foto: Archiv

Mit dem Klimawandel und seinen mannigfaltigen Folgeerscheinungen stehen wir vor einem Problem, das so groß und komplex ist wie keines bisher. Allein, dass die Folgen unseres Handelns nicht wir, sondern die Generation unserer Kinder und Kindeskinder sowie die Menschen in anderen Teilen der Erde zu spüren bekommen, macht es so schwer, diesem Endgegner entgegenzutreten. Auch, weil sich viele immer noch schwer tun, ihr Handeln in messbare Zahlen zu übertragen. Ein solcher Übertrag könnten dabei aber unsere Emissionen sein: ein global ernst gemeinter CO2-Ausgleich. Oder, mit anderen Worten: Wir sitzen mit allen Menschen der Weltgemeinschaft an einem Tisch, den Kuchen in der Mitte müssen wir uns gerecht teilen. Wer sich dieses Bild vor Augen hält, dem fällt schwer zu erklären, warum wir in Europa größere Stücke vom Kuchen bekommen sollten als andere, warum wir nicht wenigstens ordentlich dafür bezahlen sollten und warum wir nichts für unsere Kinder und Enkel übrig lassen sollten. Anders als eine Schwarzwälder Kirschtorte werden saubere Luft und andere Ressourcen theoretisch nämlich in unserer Atmosphäre nicht schlecht. Wir stehen vor einem Dilemma generations- und kontinentalübergreifender Fairness.

Super-Taifun Mangkhut am 12. September 2018 über dem Pazifik, Foto: EUMETSAT, 2018

Folgt man den Berechnungen des wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, darf jeder Mensch im Jahr 2050 ungefähr eine Tonne CO2 emittieren. Das ist in etwa die Menge, die ein Mensch in Pakistan derzeit durchschnittlich und jährlich ausstößt. Wir in Deutschland liegen bei etwa neun Tonnen pro Person und Jahr – und da ist die sogenannte „Graue Energie“ noch nicht mit eingerechnet. Allein ein Flug aus Zentraleuropa an die US-amerikanische Westküste schlägt mit drei bis vier Tonnen zu Buche. Dass wir also beginnen müssen, global und intergenerationell fair zu handeln, steht außer Frage. Doch was tun, wenn sich nicht alle dieser Logik beugen mögen – zumal sie offenkundig mit Einschränkungen unserer Lebensweise einhergehen muss?

Nun, hier kommen die Architekt*innen ins Spiel. Wir haben es heute mit einer der wohl am besten ausgebildeten und bestinformierten Generation von Planer*innen zu tun, die je agiert hat. Mit der Architektur hat diese Generation zudem ein Tool an der Hand, mit dessen Hilfe sich relativ leicht sehr viel bewegen lässt. Das bedeutet zwar, dass man sich von liebgewonnenen und einfach zu handhabenden Dingen – wie etwa dem massenhaften Einsatz von Beton – abwenden, vieles in Frage stellen und einiges ausprobieren muss. Dabei wird es aber auch in Zukunft immer auch sinnvolle Einsatzmöglichkeiten für Beton geben, nur werden wir ihn aufgrund seiner CO2-Billanz womöglich eher so behandeln wie ein Edelmetall. Auch diese nutzen wir ja, nur eben nicht für jede Schraube, jeden Beschlag und jeden Gitterost.

Die kroatische Nationalmannschaft vor dem Finale gegen Frankreich in Moskau, Foto: Kremlin.ru (wikimedia/CC-BY 4.0)

Mit diesem Wissen und dem richtigen Sound im Ohr ist es dieser Generation der heute jungen Architekten und Architektinnen tatsächlich möglich, diesem Endgegner wirklich etwas entgegenzusetzen, Adaptionen für die bereits eingesetzten und stärker werdenden Veränderungen zu finden. Wie viel derzeit wieder möglich ist, zeigt sich auch daran, dass ein kleines Land wie Kroatien ins Finale der Fußballweltmeisterschaft kommt. Nimmt diese junge Generation von Architekt*innen sich und ihre Profession dahingehend ernst, speist sich aus dieser Entwicklung einer Architektur für den Endgegner unmittelbar eine wirkliche Relevanz, die über die bisher vollzogenen Änderungen des Bauens und der Architekturgeschichte weit hinausgeht.

Dipl.-Ing. David Kasparek (*1981) studierte Architektur in Köln. Er war als Gründungspartner des Gestaltungsbüros friedwurm: Gestaltung und Kommunikation als freier Autor, Grafiker und Journalist tätig. Nach einem Volontariat und freier Mitarbeit bei
der architekt ist er seit 2008 Redakteur dieser Zeitschrift, seit Anfang 2019 als Chef vom Dienst. David Kasparek moderiert mit wechselnden Gästen die Gesprächsreihe „neu im club im DAZ-Glashaus“, die neu in den BDA berufene Mitglieder vorstellt. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Dieser Text wurde zum ersten Mal publiziert in Ausdruck AKJAA – Arbeitskreis
Junger Architektinnen und Architekten. Positionen junger Architekten im BDA, Berlin 2018.

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