Bücher der Woche: Zwei Mal Leipzig

Viele Namen, eine Stadt

Kaum eine deutsche Stadt hat sich in den letzten 25 Jahren so oft und so drastisch verändert wie Leipzig, die Stadt der ungezählten Namen: Von der „unrettbaren Stadt“ der späten DDR-Zeit wurde sie zur „Boomtown“ und zum Investorentraum. Später dann, als sich der Traum als genau solcher entpuppte, war sie „Shrinking City“ und „Armutshauptstadt“, bis das Pendel erneut umschlug. Als nunmehr wachsende Stadt wurde sie zum „New Berlin“ hochgejubelt – ein Hype, dessen Ende von manchen bereits proklamiert (und erhofft) wird.

Städte verändern sich permanent. Aber die Leipziger mussten sich in letzter Zeit schon besonders oft verwundert die Augen reiben ob der rasanten Veränderung „ihrer“ Stadt und deren öffentlicher Wahrnehmung. So ging es auch Arnold Bartetzky, dem Autor von „Die gerettete Stadt“, einem 290 Seiten starken Buch über Architektur und Stadtentwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte. Im Vorwort schreibt er, dass sich auch für ihn, als Leipzig-Kenner, im Verlauf der Recherche zum Buch „so manches eigene Urteil wandelte“ und er immer wieder in Staunen versetzt worden sei.

Doch ist Lokalpolitik überhaupt interessant für eine überregionale Leserschaft? Ja, das ist sie. Denn Entwicklungen für diese sind für andere Städte beispielhaft, vor allem für solche, die sich ebenfalls im Umbruch befinden. Und doch ist Leipzig auch ein Extrem und Unikum, treten „in keiner anderen Stadt Ostdeutschlands die Hoffnungen und Enttäuschungen, Chancen und Gefahren, Erfolge und Krisen, Glanzleistungen und Desaster des Planens und Bauens seit dem Untergang der DDR so deutlich vor Augen“ wie dort, so der Autor. Beim Lesen zeigt sich, dass lokale Politik gar Stoff für Literarisches wäre – für Krimis zum Beispiel, oder Dramen, wahlweise auch Komödien. Passend dazu ist die Sprache des Autors – wenn er auch als Wissenschaftler mit zahlreichen Fußnoten und Belegen jongliert – sehr anschaulich und plastisch. Dabei scheut er weder Wertungen noch grelle Töne und findet deutliche Worte: sei es für Bausünden wie Einkaufszentren („Gestaltungsqualität […] einer Großlagerhalle“), Baumärkte in Innenstadtlagen („Rache der Peripherie“), Stadthäuser („asoziales Bauen“) oder der Universitätsneubau („Architekturdebakel“), oder für Gelungenes, wie das Verwaltungsgebäude der Dresdner Bank („markante Form, gute Manieren“), die neue Leipziger Propsteikirche („konzentriert wie ein Steinmassiv und zugleich feierlich archaisierend“) oder das von der Kritik weithin gerühmte (weil aus dem architektonischen Mittelmaß herausragende) KMP-Verwaltungsgebäude. Das polarisiert und provoziert. Und auch wenn man nicht immer konform gehen möchte – etwa was die Beurteilung so mancher DDR-Bauten und -Planungen betrifft –, macht es durchweg Spaß, die Geschichte der „geretteten Stadt“ zu lesen: Sie ist unterhaltsam, erhellend und bildend in einem – Architekturkritik im besten Sinne.

Aktuell steht Leipzig wieder an einem Wendepunkt. Die Stadt wird voller, enger, bunter. Eine Entwicklung, die zuvorderst den Mitarbeitern des Stadtmarketings Freudentränen in die Augen trieb, aber nicht unbedingt jenen, die an dem Image, dass nun verbreitet und medial verwertet wird, maßgeblichen Anteil hatten – der alternativen Szene. Freiräume schwinden, die Gespenster der Gentrifizierung und Verdrängung werden von manchen beschworen. Das beschreiben auch die Autoren des Sammelbandes „Leipzig. Die neue urbane Ordnung der unsichtbaren Stadt“. Geistes- und Sozialwissenschaftler haben sich hier versammelt, um über die aktuellen Tendenzen und Probleme der Stadtentwicklung zu schreiben. „Ausgrenzungen und soziale Ungleichheiten sind Begleiterscheinungen dieser oftmals positiv wahrgenommenen Entwicklung“, so die These der Autoren. Themen sind das wohnungspolitische Konzept der Stadt, Segregation, alternative Raumaneignung, neonazistischen Strömungen oder der Alltag von Flüchtlingen in Leipzig. Auch dieses Buch ist sowohl aus der Leipziger Innenperspektive als auch von außen interessant: Als Leipziger erfährt man, wo hinter sanierten Fassaden möglicherweise an einer Neuordnung der Stadtgesellschaft gebaut wird. Außenstehende erhalten anhand des „Modells Leipzig“ Einblicke über eine Stadt im Wandel, der sich beispielsweise am Schwinden urbaner Brachen oder „unaufgeräumter“ Ecken festmachen lässt, aber auch an ihren Bewohnern und der veränderten Kommunikation unter ihnen. Dafür haben die Autoren ein weiteres Attribut für Leipzig gefunden, einen weiteren Namen, womit sie all das bezeichnen, was hinter und innerhalb der Mauern verhandelt und gesprochen wird, aber selten große Öffentlichkeit erfährt: sie nennen sie die „unsichtbare Stadt“.
Juliane Richter

Arnold Bartetzky: Die gerettete Stadt, Architektur und Stadtentwicklung in Leipzig seit 1989 – Erfolge, Risiken, Verluste, Lehmstedt Verlag 2015, 350 Seiten mit 95 Abbildungen, Festeinband, Schutzumschlag, Fadenheftung, 19,90 Euro, ISBN 978-3-942473-93-4

Frank Eckardt, René Seyfarth, Franziska Werner (Hg.): Leipzig, Die neue urbane Ordnung der unsichtbaren Stadt, Unrast Verlag 2015, 296 Seiten, Softcover, 18,- Euro, ISBN 978-3-89771-577-6

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