Neuanfang im Umgang mit Ressourcen

Das Versprechen

Von Annette Rudolph-Cleff & Nourdin Labidi

Mit mehr als 50 Milliarden Tonnen an Materialien, die im Bestand der deutschen Städte schlummern, ist die nachhaltige Transformation des Bauwesens in eine Kreislaufwirtschaft ein großes Versprechen. In der Wiederverwendung von Baustoffen und der Wiederverwertung liegen die richtigen Antworten, um den hohen Rohstoff- und Energieverbrauch der Bauwirtschaft zu senken, Baustoffqualitäten und graue Energie zu erhalten und gleichzeitig das Wachstum vom Verbrauch erneuerbarer Rohstoffe zu entkoppeln.(1)

Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, Abfälle von vornherein zu vermeiden(2) und Rohstoffe in unterschiedlichen Nutzungszusammenhängen immer wieder zu verwenden. Der Bausektor hat aufgrund seines hohen Rohstoff- und Energieverbrauchs das größte Ressourceneffizienz- und Klimaschutzpotenzial aller Wirtschaftssektoren, doch die Maßnahmen der letzten Dekaden gelten vorwiegend der Energieeinsparung in der Nutzungsphase der Gebäude. Im Bereich der Energie- und Rohstoffaufwendungen sowie bei den Bauabfällen sind keine Fortschritte erzielt worden. Es gibt noch viele offene Fragen zu den wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für die notwendigen neuen Prozesse, die in einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft den Rückbau, die Zwischenlagerung und den Wiedereinbau von Baumaterialien begleiten. Das Kreislaufwirtschafts- und Abfallrecht ist hier eindeutig: Mit dem Abfallbegriff sind abfallrechtliche Grundpflichten und Produktverantwortung verbunden. Darüber hinaus regeln die Ökodesign-Richtlinie der EU und das Bauproduktengesetz in Deutschland das Inverkehrbringen und die Verwendung ebendieser. Ob Baustoffe als Abfall oder als Chance für verantwortliches Bauen gesehen werden, ist nicht zuletzt eine rechtliche Frage, die genauer Betrachtung bedarf, denn die ungenehmigte Lagerung von Abfällen ist eine Straftat. Werden Baumaterialien zu Abfall, können sie nicht ohne weiteres als Bauprodukte eingesetzt werden und bedürfen einer erneuten Zulassung.(3) Wann ist das aus den urbanen Minen gewonnene Material „Abfall“ aus „Abbrüchen“ und wann sprechen wir von „Rohstoffen“ aus „Rückbauten“?

Abb.: TU Darmstadt, Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung

Die Grenzlinie wird rechtlich entlang des Begriffs der „Entledigungsabsicht“ in § 3 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) gezogen: Demnach sind Abfälle all jene Stoffe, derer sich man sich „entledigt, entledigen will oder entledigen muss“. Im Gesetz heißt es, dass ein Entledigungswille vorliegt, wenn der Besitzer Stoffe oder Gegenstände einem Verwertungsverfahren oder einer Beseitigung zuführt oder „die tatsächliche Sachherrschaft über sie unter Wegfall jeder weiteren Zweckbestimmung aufgibt“. Auf Baumaterialien bezogen sind also all diejenigen Baustoffe Abfälle, die beseitigt oder verwertet beziehungsweise recycelt werden sollen. Unter Baustoffen, denen man sich entledigen muss, sind gefährliche oder mit Schadstoffen belastete Materialien wie beispielsweise Asbest zu verstehen. Hier eröffnet sich bereits die erste Unschärfe im Abfallrecht, da die Formulierung nicht eindeutig beschreibt, dass ausschließlich diese beschriebenen Stoffe Abfälle im Sinne des Gesetzes sind, was bisweilen Abfallbehörden dazu veranlasst, den Abfallbegriff auf weitere Stoffe auszudehnen.

Weiter heißt es im KrWG, dass der Entledigungswille anzunehmen sei bei Stoffen und Gegenständen, „deren ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck unmittelbar an deren Stelle tritt.“ Umgekehrt lässt sich daraus schließen, dass beim Vorliegen einer neuen Zweckbestimmung für einen Stoff oder einen Gegenstand von einem Willen zur Entledigung nicht ausgegangen werden kann, was zur Folge hat, dass dieser Stoff nicht als Abfall einzustufen ist. Eine Präzisierung wäre nötig, da nicht eindeutig gesagt werden kann, was unter einem „neuen Verwendungszweck“ zu verstehen ist, und was „unmittelbar“ in diesem Zusammenhang bedeutet. Aufgrund dieser wenig konkreten Beschreibung sehen sich einige Abfallbehörden veranlasst, den Gesetzestext möglichst streng auszulegen und geborgene Baumaterialien, die für Wiederverwendung bereitstehen, als Abfall einzustufen und somit dem Materialkreislauf zu entziehen.

Material, das nicht stofflich verwertet werden kann, muss auf Deponien abgelagert werden. Die Deponierung von Bauabfällen verbraucht große Flächen, gehen doch schon durch die Gewinnung von Kies, Sand, Kalk, Ton oder Naturstein große Flächenressourcen und wertvolle Böden im ländlichen Raum unwiederbringlich verloren. Die Inanspruchnahme von Flächen steht damit in direkter Konkurrenz zu einem weiteren Grundsatz der Kreislaufwirtschaft: der Förderung der Regenerierung der Natur, zum Beispiel im ressourcenschonenden Umgang mit Stadtböden, in der ökologischen Landwirtschaft, Forstwirtschaft, bei Biodiversitätsflächen und in Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung.

Lendager, Resource Rows, Wohnhäuser, unter anderem aus recyceltem Altholz und wiederverwendeten Ziegeln, Kopenhagen, Dänemark 2020, Foto: Rasmus Hjortshøj

Der Gesamtrohstoffabdruck Deutschlands beträgt 1,4 Milliarden Tonnen(4); davon sind circa 45 Prozent mineralische Rohstoffe wie Sand, Kies, gebrochene Natursteine und ähnliches, die zu 90 Prozent im Bauwesen verwendet werden(5). Gleichzeitig entfallen 55 Prozent des jährlichen Gesamtabfallaufkommens in Deutschland auf die Bauwirtschaft. Das Recycling mineralischer Baustoffe beschränkt sich fast ausschließlich auf eine Verwendung als Füllmaterial im Straßenbau oder als Deponiebaustoff, was de facto einem Downcycling entspricht. Während ein kleiner Nischenmarkt erfolgreich mit historischen Baumaterialien und Einzelstücken wie Türen oder Waschbecken handelt, enden die meisten Baumaterialien im Downcycling oder auf der Deponie, wobei die enthaltene graue Energie verloren geht. Gleichzeitig sind die Transportradien bei Baumaterialien im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren extrem hoch. Wie kann die Gestaltung einer zirkulären Wertschöpfungskette in der regionalen Wiederverwendung von Baumaterialien aussehen?

Der Versuch

Im Rahmen des Projekts „WieBauin“(6) in der BMBF-Fördermaßnahme „Stadt–Land–Plus“ haben wir uns mit dem Thema der regionalen Wiederverwendung von Baumaterialien im Landkreis Darmstadt-Dieburg auseinandergesetzt. Das Projekt stellt die Frage nach den regionalen Stoffströmen im Bauwesen und den Auswirkungen auf die Stadt-Land-Beziehungen: Ist es richtig, dass die Rohstoffe für unsere gebaute städtische Umwelt auf dem Land abgebaut und zu Baumaterialien verarbeitet werden, wenn dadurch wertvolle Ressourcen an Naturraum, Agrar- und Erholungsflächen verloren gehen? Ist es sinnvoll, dass die Bauabfälle aus den Städten wieder auf dem Lande deponiert werden? Das Land sieht sich mit wachsenden Raumlasten konfrontiert: Die Möglichkeiten für neue Steinbrüche, Sand- und Kiesgruben, aber auch für neue Bauschuttdeponien, sind nahezu ausgereizt. „WieBauin“ zielt auf die Reduzierung der Inanspruchnahme von Flächen- und Rohstoffressourcen im Bausektor durch die Wiederverwendung von Baumaterialien ab, um einen beiderseitigen ökonomischen und ökologischen Vorteil zu schaffen.

Lendager, Upcycle Studios, 20 Stadthäuser, gebaut aus recyceltem Beton sowie wiederverwendeten Doppelglasfenstern und Fußbodenbrettern, Kopenhagen, Dänemark 2018, Foto: Rasmus Hjortshøj

Im Verbundprojekt der TU Darmstadt(7), der Gemeinden Otzberg und Münster (Hessen), der Stadt Darmstadt und des Landkreises Darmstadt-Dieburg haben wir den Bestand analysiert und abgängige Gebäude einer Ressourcenkartierung unterzogen. Diese Materialsammlung diente als Ausgangspunkt für Analysen zu den Stoffströmen in der Betrachtungsregion. Es hat sich in der Modellierung gezeigt, dass die Stoffkreisläufe für mineralische Baustoffe im regionalen Kontext vielversprechend für die derzeit abgängigen Bauten(8) sind. Aufgrund der prognostizierten Abbruchmengen, und dank der vorhandenen Qualitäten wiederverwendbarer Baustoffe im Bestand, können sich wirtschaftlich tragfähige Kreislaufwirtschafts-Geschäftsmodelle entwickeln lassen. Ein Ergebnis, das Mut macht, denn gerade wiederverwendbare Materialien stellen ein energetisches wie baukulturelles Kapital dar.(9)

„WieBauin“ hat den Aufbau einer regionalen Online-Plattform unter dem Namen „Bauteilkreisel Darmstadt-Dieburg“ initiiert, die es allen Bürgern, Unternehmen, Architekten und Handwerkern ermöglichen soll, sich über das Thema Re-Use und Recycling zu informieren sowie Baumaterialien verkaufen und kaufen zu können. Neben breiter Öffentlichkeitsarbeit, um die Bürger für das Thema zu gewinnen, wurde parallel auch eine Fachberatung angeboten, die bei der Baustoffkartierung, bei Strategien zum Wiedereinsatz und bei konstruktiven Leitdetails zum reversiblen Einbau von Baustoffen beraten kann. Auch wenn das Projekt in allen Veranstaltungen großes Interesse gewinnen konnte, ist der Erfolg der Online-Plattform im Blick auf die Zahl der registrierten Nutzer und die Anzahl der angebotenen Projekte noch überschaubar.(10) Es hat sich vielmehr gezeigt, dass die Notwendigkeit von Recycling und Re-Use von den meisten Akteuren bislang leider nicht gesehen wird und dass die Wiederverwendung von zahlreichen Hemmnissen und Vorbehalten begleitet wird. Zuallererst stehen die hohen Lohnkosten für die behutsame Demontage und Aufbereitung von Materialien in Missverhältnis zu ihrem Neuwert. Die Re-Use-Materialien können zudem nur selten Just-in-Time, in gewünschten Stückzahlen oder Maßen weiterverwendet werden, so dass zusätzliche Kosten für deren Lagerung oder Bearbeitung aufgewendet werden müssen. Bei Recyclingmaterialien liegt zudem aufgrund hoher Transportkosten im Verhältnis zu ihrem Wert ein starker Raumbezug vor, der eine möglichst regionale Verknüpfung von Ressourcenlagerstätten und Nachfrageorten erfordert.

Flores & Prats Arquitectes, Sala Beckett, Sanierung und Umbau eines Industriegebäudes in Räumlichkeiten für Theater und Ausstellungen, Barcelona, Spanien 2014 – 2017, Foto: Adrià Goula

Es lässt sich erkennen, dass noch zahlreiche Hindernisse überwunden werden müssen. Unzureichendes Wissen, mangelnde Transparenz bezüglich der Nachfrage nach Baustoffen sowie ein begrenztes Angebot an Recyclingbaustoffen erschweren die Umsetzung. Darüber hinaus bestehen erhebliche Vorbehalte gegenüber der Wiederverwendung von Baumaterialien.(11) Dies zeigt sich gerade auch beim System der öffentlichen Vergaben in Deutschland.(12) Die Forderung nach einer hohen „Wertigkeit“ im Bauwesen, die fälschlicherweise davon ausgeht, dass diese hauptsächlich durch den Einsatz fabrikneuer Produkte erreicht werden könne, verdeutlicht, dass es in erster Linie um baukulturelle Fragen und weniger um technische Herausforderungen geht.

Neue Qualitäten mit alten Materialien

Mit lokalen Materialien und handwerklicher Qualität lassen sich neue gestalterische Ansätze gewinnen, die die Traditionen des regionaltypischen Bauens weiterentwickeln können. Die spanischen Beispiele von Flores & Prats Arquitectes aus Barcelona zeigen, wie das Bauen im Bestand und die Revitalisierung in historischem Kontext durch die Wiederverwendung von Baumaterialien gewinnen können. Das Theater Sala Beckett gewinnt gerade durch die Spuren und Fragmente der Vergangenheit seine architektonische Qualität. Aulets Arquitectes aus Palma de Mallorca haben sich regionaltypischen Materialien verschrieben und zeigen bei der Sanierung des Weinguts Felanitx, wie die Wiederverwendung von lokalen Materialien die Architektur bereichern kann.

Flores & Prats Arquitectes, Sala Beckett, Sanierung und Umbau eines Industriegebäudes in Räumlichkeiten für Theater und Ausstellungen, Barcelona, Spanien 2014 – 2017, Foto: Adrià Goula

Vorausschauende Projekte wie beispielsweise die Upcycle Studios vom Büro Lendager oder das DGNB-zertifizierte Bürogebäude Augusthus / Woods(13) in Ørestad, Kopenhagen, weisen den Erfolg einer kreislauforientierten und wirtschaftlichen Architektur nach. Dort wurde sogar ein neues Ausschreibungsverfahren für einen nachhaltigen Rückbau entwickelt. Superuse Studios in Rotterdam haben sich als internationales Architekturkollektiv für zirkuläres Bauen etabliert, dessen Projekte wie die „Wohnkooperative W1555“(14), der Umbau eines Spaßbades zu den Blue City Offices oder das Collective Ecosystem Boschgaard in Den Bosch, eine Siedlung aus 84 Prozent Sekundärmaterialien, belegen, dass unterschiedliche Strategien angewandt werden können, um nachhaltige Architektur mit Gebrauchtmaterialien zu schaffen. Das Basler Baubüro in situ zeigt, dass es im Ansatz der Kreislaufwirtschaft auch um die Weiterentwicklung von bestehenden Typologien geht, sie beschäftigen sich mit der Transformation von Leerstandsgebäuden unter Verwendung von gebrauchten Materialien und Materialien aus Fehl- und Überproduktionen.(15)

Neue Ressourcen

Durch die Verwendung von Abfallprodukten für die Herstellung neuer Produkte können neue Materialquellen erschlossen werden. A:gain aus Kopenhagen arbeitet mit Partnern aus der Industrie, um hochwertige Upcycling-Produkte aus Bauabfällen in großem Maßstab herzustellen, die als neue, marktfähige Alternativen zu bestehenden Produkten eingesetzt werden können und durch (Liefer-)Garantie, Zertifizierung und Dokumentation herkömmlichen Baumaterialien in nichts nachstehen. Dazu zählen thermisch behandelte Holzverkleidungen aus ausrangiertem Material aus der regulären Produktion, Akustikplatten aus wiederverwendetem Textilfilz und recyceltem Altholz, Parkett aus dem Verschnitt eines Herstellers oder auch Glastrennwandsysteme aus der Wiederverwendung von Fensterelementen. Auch New Horizon aus Nieuwkuijk (NL) sucht gezielt nach Spendergebäuden, unter anderem mit der Applikation Ooogstkaart („Erntekarte“), und entwickelt Sekundärmaterialien, die in ihrer Produktqualität herkömmlichen hergestellten Produkten entsprechen. So wurde aus dem bei der Utrechter Domsanierung anfallenden Schutt der Domsteen hergestellt und in Projekten vor Ort wiederverwendet. Der CicloBrick wurde als Ziegel aus Flusston, einem lokalen Rohstoff, und 20 Prozent keramischem Spendermaterial entwickelt. Die No-Waste-Wall nutzt Fichten- und Kiefernbalken aus Abbrucharbeiten; der No-Waste-Boden besteht aus alten Fensterrahmen, Türen, Treppen und Dielen. Die Urban-Mining-Produkte werden mit Label in den Baumärkten der niederländischen Kette „Stiho“ angeboten. Stone Cycling aus Amsterdam bietet neue Mauerziegel aus Ziegelschutt an. Die WasteBasedBricks bestehen zu mindestens 60 Prozent aus Abfall, das Ziel ist, zukünftig 100 Prozent zu erreichen.(16)

Neue Kooperationen

Flores & Prats Arquitectes, Sala Beckett, Sanierung und Umbau eines Industriegebäudes in Räumlichkeiten für Theater und Ausstellungen, Barcelona, Foto: Adrià Goula

Die erfolgreichen Beispiele in der Recyclingwirtschaft zeigen, dass es oft neuer Akteurskonstellationen und Organisationsformen bedarf, um die neuen Aufgaben und Schnittstellen zu bewältigen. Aus der Zusammenarbeit des Planungsbüros ZEDFactory aus London und dem gemeinnützigen Unternehmen Bioregional im Projekt BedZERO in Wallington entstand die erste britische Wohnanlage im Nullenergiestandard mit 100 Wohnungen, Büros, Kita und Gemeinschaftseinrichtungen (mit 15 Prozent Baumaterial und fast 90 Prozent Stahl aus Re-Use und Recycling). Aus diesem Projekt wurde Bioregional Hill gegründet, das sich auf die Entwicklung bezahlbarer CO2-neutraler Wohnsiedlungen mit Baugemeinschaften spezialisiert hat. Die Materialnomaden / HarvestMap in Wien sind eine Genossenschaft, die eine breite Palette von Aufgaben im Bereich Kunst, Stadtplanung, Bauausführung und angeleitetem Selbstbau übernimmt. Sie entwickeln Projekte und Prototypen, bewerten das Potenzial von Materialien in Machbarkeitsstudien und Bauteilkatalogen und vermitteln gebrauchtes Baumaterial über den re:store.(17)

Politische Impulsgeber haben die Möglichkeit, eine gesellschaftlich-politische Agenda zu setzen und die öffentliche Debatte zu prägen, um so die Weichen für eine nachhaltige Zukunft zu stellen. Circle Bank in Dänemark ist ein dreijähriges Projekt zur Schaffung einer einheitlichen digitalen Plattform, die als zentraler Knotenpunkt für die Zusammenarbeit beim zirkulären Bauen dient. Das Vorhaben umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Dabei werden eine Bau- und Materialbank, eine Börse für Kreislaufmaterialien sowie eine Palette an Beratungsleistungen bereitgestellt. Hinter dem ambitionierten Vorhaben stehen namhafte Partner wie der Innovation Fund Denmark und Realdania, eine private philanthropische Organisation mit 180.000 Mitgliedern. Der Beirat setzt sich aus Vertretern von Gemeinden, Forschungseinrichtungen, Hochschulen sowie Planungsbüros wie Arup, 3XN und Ramboll zusammen.

Mit Unterstützung aus der Politik ist eine andere Ausgangssituation für die Akteure und ein größerer Impuls für die Recyclingwirtschaft verbunden: Mit der Ressourcenstrategie Bauwerk Stadt Zürich (2009) hat die Stadt Zürich eine proaktive Rolle beim Ressourcenmanagement mineralischer Baustoffe übernommen, um den Einsatz von Recycling-Materialien in der Breite voranzutreiben. Mit 4000 Bauten und über elf Prozent des Gebäudevolumens geht die Stadt selbst als Vorbild voran und sichert damit weit sichtbar einen Markt für den Einsatz von Recyclingbeton.(18) Ein Forschungsprojekt der RWTH Aachen bestätigt, dass der politische Nachdruck eine Grundvoraussetzung für den Erfolg von RC-Beton in der Schweiz ist.(19)

Aulets Arquitectes, Umbau eines Weinbaubetriebs, Felanitx, Spanien 2014 – 2017, Foto: José Hevia

Weder sind in Deutschland die abfallrechtlichen Voraussetzungen im Kreislaufwirtschaftsgesetz ausreichend präzise, noch sind die Herausforderungen bei der Produkthaftung gelöst. Eine proaktive Entwicklung von Projekten und Prototypen ist kaum möglich, auch wenn das Thema „Stadt als Ressource“ bei Architekten, Verbänden und Hochschulen längst angekommen ist. Im Blick auf das europäische Ausland wird deutlich, dass ausgerechnet Deutschland als führender Markt für nachhaltiges Bauen bei der Wiederverwendung und -verwertung von Baumaterialien keine Führungsrolle übernimmt. Erfolgreiche Beispiele für Re-Use und Recycling im Baugewerbe sind in Deutschland noch rar.(20) Neue Kooperationen und Konstellationen, um die Grenzen des linearen Bauens zu überwinden, sind sehr zögerlich im Entstehen. Unsere Erfahrung mit dem Bauteilkreisel in Südhessen hat gezeigt, dass das Angebot einer Plattform mit Beratungs- und Dienstleistungsangeboten trotz breiter Öffentlichkeitsarbeit nur ein Anfang ist und kein Impulsgeber. In Konkurrenz zu den stets verfügbaren und im Vergleich günstigen Einmalprodukten der Bauindustrie haben es nachhaltige Produkte aus Sekundärmaterialien schwer. Doch es ist aus unserer Sicht auch die offene Rechtslage, die die Entwicklung von neuen Prozessen und Kooperationen im Bausektor verzögert.
Im Experteninterview wird deutlich, dass die europäischen Richtlinien zwar einen verbindlichen Rahmen vorgeben, jedoch bei der Auslegung der Gesetzeslage Spielraum für unterschiedliche Bewertungen des „Inverkehrbringens und der Verwendung von Bauprodukten“ in den einzelnen europäischen Ländern lassen. Infolgedessen liegt die Verantwortung in den Händen der Politik und in den Vorgaben der Regierungspräsidien. Erst wenn diese Klarheit schaffen, können Verwaltungen, Unternehmen, Handwerker und Architekten handeln. Ein Neuanfang im Umgang mit Ressourcen im Baugewerbe ist dringend erforderlich. Das Konzept der Stadt als Ressource birgt ein wunderbares Versprechen, das es einzulösen gilt.

Prof. Dr.-Ing. Annette Rudolph-Cleff studierte Architektur an der TH Karlsruhe und in Paris-Belleville. Sie arbeitete bei Jean Nouvel in Paris und ist seit 1994 freiberuflich tätig. 2006 wurde sie an die TU Darmstadt berufen, wo sie das Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung leitet und in verschiedenen Forschungsprojekten tätig ist. Sie ist Mitglied im Redaktionsbeirat dieser Zeitschrift.

Dipl.-Ing. M.Sc. Nourdin Labidi studierte Architektur und Stadtplanung an der TU Darmstadt, EPF Lausanne und der RWTH Aachen. Nach Stationen als Architekt in Stuttgart und Heidelberg sowie in der kommunalen Bauleitplanung nahe Frankfurt ist er seit 2019 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Entwerfen und Stadtentwicklung an der TU Darmstadt beschäftigt.

Fußnoten

1 https://www.nachhaltigkeitsrat.de/nachhaltige-entwicklung/ressourcenschonung-und-kreislaufwirtschaft/

2 Weltwirtschaftsforum Davos

3 Halstenberg und Franßen 2022, in: Regelwerke des Normungs- und technischen Zulassungswesens anhand des Themenkomplexes Recyclingverfahren und Weiter-/Wiederverwendung von Bauprodukten und Baustoffen. https://www.bauindustrie.de/fileadmin/bauindustrie.de/Media/Veroeffentlichungen/Wiederverwendung_Bauprodukte_Roadmap_Studie.pdf, S. 7.

4 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_323_32.html

5 https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/Monatsbericht/Monatsbericht-Themen/2018-09-bauen.pdf?__blob=publicationFile&v=6

6 „WieBauin – Wiederverwendung von Baumaterialien innovativ“, BMBF-Förderkennzeichen: 033L209A

7 Unter Beteiligung der Fachgebiete Landmanagement, Stoffstrommanagement und Stadtentwicklung

8 Vorwiegend Gebäude mit einer Entstehungszeit bis ca. 1965.

9 Die Komposit-Baustoffe unserer Zeit werden allerdings in Zukunft eine neue Herausforderung darstellen.

10 Allen erfolgreichen Re-Use-Plattformen liegen Dienstleistungs- und Beratungsangebote zugrunde, so z. B. Opalis in Belgien, Niederlanden, Frankreich und Luxemburg oder die Schweizer Materialbörse Salza, wo Baumaterialien schon vor der Demontage zur Wiederverwendung angeboten werden. Salza wird vom Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) gefördert. Rotor DC in Belgien hat sich auf den großen Gebäudebestand der 1960er und 1970er Jahre spezialisiert. Die Genossenschaft bietet in Partnerschaft mit 3DCM auch die Erfassung in einem BIM-Modell an, um Baumaterialien genau zu quantifizieren und zu lokalisieren. Salvo im britischen Canterbury hat zusätzlich ein eigenes Gütesiegel entwickelt. Der Erfolg der Materialbörsen beruht nicht zuletzt auf politischer Unterstützung, rechtssicheren Grundlagen und neuen Organisationsformen, was in Deutschland gegenwärtig leider nicht im gleichem Maß gegeben ist.

11 Das Umweltbundesamt stellte dazu 2022 fest, dass „aus rein technischer Sicht somit nichts gegen den vermehrten Einsatz von Recycling-Baustoffen spricht, wird dieser in der Baupraxis nach wie vor durch diverse Hemmnisse erschwert. Oftmals sind Recycling-Baustoffe immer noch durch mangelnde Kenntnis und Erfahrungen in der Anwendung mit einem negativen Image behaftet. Die fehlende Akzeptanz hat negative Auswirkungen auf die Nachfrage seitens der Bauherren und folglich wird in der Abbruch- und Aufbereitungspraxis der logistische und technische Aufwand sehr gering gehalten.“ https://www.umweltbundesamt.de/themen/abfall-ressourcen/abfallwirtschaft/urban-mining/stoffstrommanagement-im-bauwesen#hemmnisse-beseitigen-

12 Dass gerade die öffentliche Hand in Ausschreibungen klar Recyclingbaustoffe diskriminiert, indem diese grundsätzlich ausgeschlossen werden, bestätigt das ifeu Heidelberg und macht hierfür „Vollzugsdefizite in der Verwaltung“ und eine „effizienzgetriebene Planungskultur der Risikovermeidung und Unangreifbarkeit“ aus. (Leonard Fromm in DAB Online: https://www.dabonline.de/2020/12/28/rc-beton-recycling-bauschutt-baustoff-umweltstation-wuerzburg/)

13 Fassadenverkleidung aus Upcycling-Holz, Außenwand aus Ausschuss-Ziegelsteinen (Ersparnis: 500 g CO2 / St) und einer Akustikdecke aus Upcycling-Papier)

14 Zirkuläre Sanierung von Arbeiterwohnungen aus der Vorkriegszeit für eine Wohnkooperative mit 46 Wohneinheiten.

15 Im Projekt Zero-Waste-Umbau wird ein Zürcher Bürogebäude für den Outdoorhändler Transa ressourcenschonend umgebaut, beim Projekt Elys in Basel wird aus einem ehemaligen Verteilzentrum der Coop AG ein neues Gewerbe- und Kulturhaus.

16 Es gibt eine Vielzahl realisierter Projekte, die die Qualität dieser Klinkersteine nachweisen, wie das Umspannwerk Ijburg in Amsterdam, die Wohn- und Geschäftshäuser 5Tracks in Breda, der Nature-Inclusive-Pavillon der Universität Leiden oder die Amsterdamer Wohntürme 360 Degrees.

17 In Zusammenarbeit mit dem Eigentümer, dem Bauträger und Landschaftsarchitekten haben sie für die ehemalige OMV-Zentrale in Wien Möglichkeiten erarbeitet, verschiedene Altmaterialien in das Design des Außenbereichs des neuen Gebäudes an gleicher Stelle zu integrieren, noch bevor der Abbruch stattfand.

18 „Wenn alle öffentlichen und privaten Bauherrschaften den Einsatz von Recyclingbeton mit entsprechenden Vorgaben fordern würden, könnte sich die Stadt Zürich zu großen Teilen selbst mit mineralischen Baustoffen versorgen.“ Quelle: Stadt Zürich: „Bauwerk Stadt Zürich“, S. 11.

19 Dmytro Katerusha 2020: Einsatz von Recyclingbeton fördern – D versus CH in: Zürcher Umweltpraxis (ZUP). Informations-Bulletin der Umweltschutz-Fachverwaltung des Kantons Zürich. 26. Jahrgang, S. 44.

20 Hier seien z. B. das Recyclinghaus von Cityförster Architekten, Hannover, der Neubau der Stadtwerke Neustadt (Holstein) von IBUS Architekten, Berlin, und der Rathausneubau aus RC-Beton im hessischen Korbach (heimspiel Architekten, Münster (Westf.), in Kooperation mit agn, Ibbenbüren) erwähnt.

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