Neu im Club: MS PLUS Architekten, Münster

Den Austausch kultivieren

Mit drei Frauen an der Spitze gehören MS PLUS Architekten aus Münster zu den Büros der Stunde. Maike Holling und Sielke Schwager, die bereits zuvor als Angestellte zusammengearbeitet hatten, machten sich 2011 als MSHS ARCHITEKTEN selbstständig. Stephanie Bücker arbeitete bereits seit 2016 auf freier Basis mit, bevor sie 2018 als Partnerin einstieg und das Büro sich in den heutigen Namen umbenannte. Ein Gespräch über den Wandel der Arbeitskultur, konservative Strukturen und ihren Schwerpunkt im Wohnungsbau.

Maximilian Liesner: Münster ist zwar keine allzu große Stadt, hat aber doch eine lebendige Architekturszene. Es gibt die Münster School of Architecture, an der Sie alle studiert haben, viele öffentliche Veranstaltungen sowie alle zehn Jahre die berühmten Skulptur Projekte mit ihrem Einfluss auf den öffentlichen Raum. Hat die Architektur auch einen hohen Stellenwert in der Stadtgesellschaft oder passiert viel in einer Blase?

MS PLUS Architekten: Stephanie Bücker (ganz links), Sielke Schwager (4. v. r.) und Maike Holling (2. v. r.) mit ihrem Team, Foto: Marie Hense

Sielke Schwager: Das ist eine spannende Frage. Als Beamtenstadt ist Münster ein recht konservatives Pflaster und wir Architekturschaffende neigen dazu, uns in einer Bubble zu bewegen. Der BDA Münster-Münsterland hat aber zum Beispiel erfolgreiche Vortragsformate etabliert, die auch von Nicht-Fachleuten gut besucht werden, auch wenn da noch Luft nach oben ist, vor allem in Richtung jüngere Generation. Aber wir arbeiten daran, die Themen der Architektur, insbesondere die Themen der Nachhaltigkeit, mehr in die Breite der Stadtgesellschaft zu tragen. Zum Beispiel haben wir daran mitgewirkt, die Ausstellung „Sorge um den Bestand“ aus dem DAZ hierher zu holen und deren Thesen zusätzlich an Litfaßsäulen und Bushaltestellen plakatieren zu lassen.

Wie äußern sich die konservativen Strukturen, die Sie angesprochen haben?
Maike Holling: Konservativ sind gar nicht zwingend die Architektinnen und Architekten, sondern eher die Auftraggeber. Dabei handelt es sich in Münster noch häufig um eine ältere Generation in Führungspositionen, die den alteingesessenen Münsteraner Architekturbüros einen Vertrauensvorschuss geben. Das macht es natürlich schwierig, als jüngeres Büro – und als Frauen – Fuß zu fassen.

MS PLUS Architekten, Wohnhaus M08, Münster 2019, Foto: Roland Borgmann

Wie gelingt es dennoch?
Stephanie Bücker: Insbesondere mit den jüngeren Büros sind wir kollegial verbunden. Idealerweise schließen wir uns schon mal mit anderen zusammen, um in einem Verfahren die Referenzlage zu verbessern. Es kann aber auch passieren, dass wir beim nächsten Mal miteinander konkurrieren. Wir versuchen, einen offenen Umgang damit zu finden. Wir wünschen uns – das haben wir zum Beispiel auch in unserem Berufungsvortrag beim BDA so formuliert – eine stärkere Feedback-Kultur untereinander. Denn wenn bei einem Wettbewerb jemand aus dem einen Büro in der Jury sitzt und ein anderes Büro teilnimmt und sich fragt, warum der Entwurf in der zweiten Runde ausgeschieden ist, könnte man das nutzen, um voneinander zu lernen und den Austausch zu kultivieren. Das haben die Kolleginnen und Kollegen sehr positiv aufgenommen, gleichzeitig auch „Nachholbedarf“ erkannt.

Prägt ein solches zugewandtes Arbeitsverständnis auch den Alltag innerhalb Ihres Büros?
MH: Wir wissen flache Hierarchien sehr zu schätzen. Alle können ihre Vorschläge einbringen, unabhängig von ihrem Status. Was zählt, ist die beste Idee. Die Bürolandschaft ist inzwischen vielfältig, aber natürlich existieren noch Büros, in denen es den einen oder die eine gibt, die sagt: „Das ist jetzt der Entwurf“ – und alle anderen dürfen ihn dann nur noch ausarbeiten. Das ist bei uns anders.
SSch: Hinzu kommt eine flexiblere Struktur durch die Kinder, die wir alle haben. Das heißt, wir sind nicht immer von acht bis fünf Uhr im Büro. Das mussten wir uns erstmal trauen, es gab nämlich keine Vorbilder – wir kannten jedenfalls niemanden, der es so machte.
SB: Gleichzeitig zeigt dieser Weg auch das Vertrauen ins Team. In unserem Büro wird nicht nach dem Prinzip der sozialen Kontrolle geschaut, wer als letztes das Büro verlässt, sondern es zählt das Vorankommen im Projekt.

MS PLUS Architekten, Mehrfamilienhaus T14, Münster 2017 – 2020, Foto: Roland Borgmann

Sehen Sie angesichts des (noch) nicht weitverbreiteten Modells eines Büros mit ausschließlich weiblichen Partnerinnen die Gefahr, dass in der öffentlichen Wahrnehmung Ihre architektonische Arbeit gegenüber Ihren Biografien in den Hintergrund gerät?
SSch: Nein, wir freuen uns eher, dass wir auf diese Weise Vorbilder sein können für Studierende und Kolleginnen oder auch Kollegen. Wir verstehen uns als einen Baustein für mehr Sichtbarkeit von Frauen in der Architektur.
SB: Auch wenn es umstritten ist, glauben wir, dass es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt – sowohl in der Führung des Büros als auch in der Kommunikation nach außen. Wir drei sind im Dialog, egal ob mit Handwerkern oder Bauherren oder wem auch immer, stark auf Austausch gepolt. Das kostet Energie, aber wir glauben, dass es schlussendlich wertvoll ist, wenn sich alle abgeholt fühlen. Wir wollten es nicht unbedingt anders machen, sondern funktionieren unterbewusst als Frauen einfach ein bisschen anders als der Großteil der männlichen Architekten. Wahrscheinlich werden wir deswegen auch regelmäßig von Kollegen gefragt, warum wir denn MS Plus Architekten und nicht Architektinnen heißen.

Und warum ist das so, da Sie die Vorlage schon liefern…?
SSch: Abgesehen von der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie war uns anfangs gar nicht bewusst, dass wir mit unserer Struktur ein Alleinstellungsmerkmal haben. Bis von außen die ersten Fragen danach kamen, haben wir uns lange keine Gedanken zur Bezeichnung in unserem Büronamen gemacht.
SB: Perspektivisch würden wir uns natürlich freuen, wenn es wirklich kein Alleinstellungsmerkmal mehr wäre – und die genaue Bezeichnung tatsächlich nicht mehr so wichtig. Zudem haben wir ja erfreulicherweise seit einiger Zeit auch männliche Teammitglieder.

MS PLUS Architekten, Wohnquartier FRML, Münster 2016 – 2019, Grundriss EG

Haben Sie eine Vision für das Bauen in Münster, zu der Sie mit Ihrer Arbeit beitragen möchten?
MH: Wir sehen unseren Schwerpunkt im Wohnungsbau und versuchen, innovative Quartiere voranzutreiben. Dazu sind wir momentan auf Konversionsflächen mit einer Baugruppe und einem städtischen Wohnungsbauunternehmen aktiv. Uns ist sehr an nachhaltigen Grundrissen gelegen, die keinem Trend folgen, sondern in denen mehrere Generationen mit verschiedenen Anforderungen nacheinander wohnen können.
SSch: Münster kann sicherlich noch mehr Dichte vertragen. Außerdem gibt es hier – wir haben schon kurz über „Sorge um den Bestand“ gesprochen – richtig guten Bestand, beispielsweise aus den 1950er Jahren, der aber leider oft nicht als solcher erkannt, sondern abgerissen wird. Hinzu kommt – und da sind wir wieder beim Stichwort „konservativ“ –, dass die Frage des Wohnens in Münster von vielen Einfamilienhaus-Strukturen geprägt ist. Es geht also darum, über gute Vorbilder zu zeigen, dass es auch andere gute Wohnformen gibt.
SB: Mit der Ziegel-Architektur hat sich in der Stadt auch eine gewisse, ebenfalls konservative Ästhetik eingebürgert, die mitunter schon in den Bebauungsplänen fest vorgeschrieben ist. Wir versuchen, unsere neueren Projekte stärker in Richtung Klimaneutralität zu treiben, indem wir große Anteile der Konstruktion in Holz realisieren. Dabei merken wir, dass wir situativ auch Überzeugungsarbeit leisten müssen, mit den hiesigen gewohnten Erscheinungsformen zu brechen.

MS PLUS Architekten, Wohnquartier FRML, Münster 2016 – 2019, Foto: Roland Borgmann

In Ihrem bisher größten Projekt, dem Wohnquartier FRML, haben Sie sich auch für Ziegelwände entschieden…
SSch: Ja, der Wettbewerb liegt aber auch schon sechs Jahre zurück. In der Zwischenzeit ist natürlich viel passiert. Damals standen andere Themen stärker im Fokus. Bis dahin war es nämlich so, dass der Bauherr, der den Wettbewerb ausgelobt hat, häufig Wärmedämmverbundsysteme einsetzte. Demgegenüber haben wir dann die langlebige Ziegelfassade mit Relief-Mauerwerk vorgeschlagen. Ziegel per se ist ja nicht schlecht – und an dem Ort finden wir ihn auch weiterhin städtebaulich genau richtig, vor allem in der von uns dort realisierten baulichen Dichte.

www.msplus-architekten.de

Neu im Club im DAZ
Talk mit Stephanie Bücker, Maike Holling und Sielke Schwager
2. Juni 2022, 19.00 Uhr
www.daz.de
www.neuimclub.de

Medienpartner: www.marlowes.de
Neu im Club wird unterstützt von Haushahn, Erfurt und Heinze sowie den BDA-Partnern.

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