Andreas Denk

Die Insel der Glückseligen

Wohnen in Kopenhagen

In der allgemeinen Wahrnehmung erscheinen Dänemark und seine Hauptstadt Kopenhagen mitunter wie eine „Insel der Glückseligen“. Müsste man ein zeitgenössisches Arkadien erfinden, wäre es dänisch: ein halbwegs gemäßigtes Klima im Einflussbereich des Golfstroms, eine reizvolle Küstenlandschaft, eine parlamentarische Monarchie mit einem vorzeigbaren Königshaus, ein erkennbares kulturelles Selbstverständnis, ein funktionierendes Bildungssystem.

Die Grundlage für die gute Laune in Dänemark sind wahrscheinlich unterschiedlicher Natur: das fünfthöchste Bruttoinlandsprodukt in der EU, dafür ein von den Arbeitgebern mitgetragenes hohes Lohnniveau, das durch Tarifverträge geregelt wird, eine seit 2007 kontinuierlich verringerte Staatsverschuldung, ein Minimum an Arbeitslosigkeit, die durch eine im Vergleich zu deutschen Verhältnissen hohe Unterstützung und ein effizientes Weiterbildungsprogramm gemildert wird.

Die Dänen, so könnte der touristische Besucher meinen, sind irgendwie nette Fahrradfahrer munteren Gemüts mit anscheinend hoher Toleranzschwelle. Dass die Erben der Wikinger in einschlägigen Umfragen immer wieder behaupten, besonders glücklich zu sein, verstärkt den Eindruck, dass in Dänemark gut leben ist. Manche Dänen bezeichnen sich selber mitunter als „langweilig“ und „konservativ“, was mancher angesichts der Lebensvielfalt im öffentlichen Raum als nonchalante Koketterie verstehen vermag, aber es stimmt.

Kopenhagen, Foto: Niels Rydahl Jensen (CC BY-SA 3.0)

Der hohe Konsens, der offenbar große Teile der Gesellschaft durchzieht, könnte seine Wurzeln indirekt in der gemeinsamen Religionszugehörigkeit haben: 80 Prozent der Dänen sind in der Folkekirken, der dänischen evangelisch-lutherischen Volkskirche, die unmittelbar mit dem Parlament als gesetzgebender Instanz und der Königin als ihrem Oberhaupt verknüpft ist. Diese Verknüpfung von Staat und Religion erzeugt zwangsläufig ein Klima der Fürsorge und des Aufgehobenseins, dem sich auch der ärgste Agnostiker nicht entziehen kann. Es erzeugt aber auch ein Klima der Mäßigung, das Dänemarks Alltag wie eine Massenveranstaltung von Temperenzlern erscheinen lässt, die sich auf eine ihnen wahrscheinlich selbst unerklärliche Weise dafür entschieden haben, Sex, Alkohol und leichte Drogen als zwangsläufige Folgeerscheinungen religiöser Toleranz zu bewerten.

Die Nachteile des Lebens in Dänemark sind nicht sofort sichtbar: das enorme Maß der Zersiedlung des kleinen Landes, erkennbare Probleme durch Zuzug aus anderen Ländern, ethnische und soziale Segregation, trotz 40 Prozent Verwendung erneuerbarer Energien einer der höchsten C02-Ausstoße in der EU. Im täglichen Leben der Hauptstadt wird dies alles nicht sofort sichtbar. Erkennbar wird es in der Peripherie, in den Siedlungen am Rande der Stadt, die aber im Vergleich zu abgekoppelten Quartieren in Deutschland immer noch wie freundliche Gartenstädte wirken. Die mitunter bewundernswerten Wohnlagen, in denen Dänen ihr Zuhause finden, sind geprägt durch den hohen Grad an Gemeinsinn, den sie suggerieren. Es sind – auch in der Peripherie – seltener die ausgewiesenen Einfamilienhausgettos, die das Bild Kopenhagens bestimmen. Es sind vielmehr Siedlungen und Quartiere, die oft sorgfältig differenzierte private, halböffentliche und öffentliche Räume haben, denen der Versuch zugrunde liegt, eine soziale Mischung der Bevölkerung zu erreichen. Erkennbar wird hier das Motiv der Angemessenheit im Wohnen dem Wunsch nach Repräsentation vorangestellt.

Dass das dänische Wohnen einen Ausgleich zwischen Bescheidung und Komfort anzielt, ist in Deutschland schon in den vierziger Jahren bekannt gewesen: Nicht von ungefähr bereisten die Wiederaufbaugremien zahlreicher deutscher Städte Dänemark, um zu sehen, wie sich das Wohn- und Siedlungswesen dort entwickelt hatte. Was sie mitbrachten waren Siedlungstypen, Grundrisse und Formen, wohl aber lediglich einen Eindruck dessen, was das dänische Wohnen tatsächlich ausmacht: Die Einbettung der Wohnhäuser in ausgedehnte Grünflächen, in Parks und parkähnliche Landschaften, die Nähe zu Naturschutzgebieten, Seen und Wasserläufen gibt vielen Wohnquartieren Kopenhagens einen einzigartigen Charakter. Dass auch dies eine Versöhnung des Menschen – in diesem Falle mit der Natur – bedeuten könnte, liegt auf der Hand.

Diese Ausgabe unserer Zeitschrift widmet sich den unterschiedlichen Wohnlagen Kopenhagens in ihrem landschaftlichen Kontext. An ausgewählten, unterschiedlich zu bewertenden, aber exemplarischen Beispielen verfolgen wir ein Jahrhundert „Siedlungskontinuität“ in Kopenhagen, die dänische und deutsche Autoren im Hinblick auf ihre städtebauliche Anlage – den äußeren sozialen Raum – und im Hinblick auf ihre innere Organisation – den inneren sozialen Raum – kommentiert haben. Gute Architektur weist den Zusammenhang zwischen beiden nach. Das gilt überall. Insofern können wir nur lernen.

Prof. Andreas Denk (*1959) studierte Kunstgeschichte, Städtebau, Technik-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie Vor- und Frühgeschichte in Bochum, Freiburg i. Brsg. und in Bonn. Er ist Architekturhistoriker und Chefredakteur der BDA-Zeitschrift der architekt und lehrt Architekturtheorie an der Fachhochschule Köln. Er lebt und arbeitet in Bonn und Berlin.

Foto: Niels Rydahl Jensen (CC BY-SA 3.0)

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