Die Zukunft des Planeten entscheidet sich in der gebauten Umwelt

Die Kraft des globalen Netzwerks

Die Art und Weise, wie sich das Wachstum von Städten fortsetzt und wie es vielerorts sogar zunimmt, verstärkt nicht nur soziale Missstände, sondern auch die Klimakrise. Das viel geforderte Umdenken im Bausektor kann nicht mehr nur schadensbegrenzend, es muss grundstürzend sein. Philipp Misselwitz beschreibt das Bauen mit biobasierten Materialien als Ausweg – ein globaler Kraftakt, den das „Bauhaus Erde“ anstoßen und unterstützen möchte. Der Text zeigt auf, wie die gemeinnützige Organisation in weltumspannenden Projekten mittels Machbarkeitsanalysen, Implementierung in regenerativen Designlösungen sowie Schulungen die Ideen in gebaute Realität überführen möchte.

Während intensiv über Flugscham, Energiewende oder Verkehrswende gesprochen wird, ist der Gebäudesektor als der „Elefant im Klimaraum“ nicht überall erkannt: Der Bausektor ist weltweit zur wichtigsten Quelle anthropogener Umweltbelastungen geworden, während er gleichzeitig die Grundbedürfnisse von Milliarden von Stadtbewohnenden nicht erfüllt, die nach wie vor unter verarmten und unwürdigen Bedingungen leben. Einem aktuellen Bericht der Global Alliance for Buildings and Construction (GlobalABC) zufolge entfielen im Jahr 2020 36 Prozent des weltweiten Endenergieverbrauchs und 37 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen auf die bebaute Umwelt, und das trotz einer pandemiebedingten Verlangsamung der Bautätigkeit. Gleichzeitig nimmt der Ressourcenverbrauch unaufhaltsam zu: In der Europäischen Union ist der Sektor laut Eurostat für die Hälfte aller gewonnenen Materialien und für mehr als ein Drittel des gesamten Abfallaufkommens verantwortlich.(1)

Während in Europa oder Nordamerika die Forderung nach einer drastischen Einschränkung des Bauens auf das Notwendigste verständlich ist, greift eine „Bauscham“ in der globalen Situation zu kurz. Bis 2050 werden zusätzlich 2,5 Milliarden Menschen in Städten leben, vor allem in Asien und im Afrika südlich der Sahara, einer Region, in der 80 Prozent der Gebäude erst noch entstehen werden. Zusätzlich haben weitere zwei Milliarden Menschen das Recht, in würdigen Behausungen und mit Zugang zu essenziellen Infrastrukturen der Daseinsvorsorge zu leben und viele urbane Gebiete müssen durch strategisches Retrofitting nachgebessert werden. Das beispiellose Ausmaß und Tempo dieses städtischen Wachstums wird einen enormen Bedarf an Wohnraum und städtischer Infrastruktur mit sich bringen, wodurch sich in den kommenden Jahrzehnten sowohl der weltweite Gebäudebestand als auch die Grundflächen verdoppeln könnten. Die Verstädterung der Welt, die eigentlich immer als Erfolgsgeschichte galt, droht zu einer Geschichte des menschlichen Scheiterns zu werden. 60 Prozent der Gebäude, die bis 2050 existieren werden, sind noch nicht gebaut: Werden sie mit herkömmlichen Materialien wie Stahl, Zement oder Aluminium errichtet, werden drei Viertel des CO2-Budgets verbraucht, mit dem wir arbeiten müssen – wenn wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten wollen, das für unser Überleben und das unserer Artgenossen notwendig ist.(2) Die Zukunft unseres Planeten hängt also davon ab, wie wir mit diesem Bauprojekt umgehen: von unserer Fähigkeit, Materialien, Mittel und Methoden, mit denen wir unsere Gebäude und Städte bauen, und die Art und Weise, wie wir sie organisieren, bewohnen und instand halten, radikal zu überdenken und zu verändern.

Vom Klimaverursacher zum Klimaheiler

Die Geschichte des Auf- und Abbaus von Kohlenstoff, Abb.: Grey Organschi Architecture / Bauhaus Erde

Die derzeitigen Diskussionen und Maßnahmen konzentrieren sich weitgehend auf die Schadensminimierung im Sinne einer Dekarbonisierung des Sektors. Doch nur durch einen systemischen Wandel im Lebenszyklus von Gebäuden, weg vom linearen Extraktivismus auf der Basis fossiler Brennstoffe hin zu einem regenerativen, zirkulären städtischen Wirtschaften und biobasierten Bauen, werden wir in der Lage sein, die Klimakrise zu bewältigen. Es reicht nicht mehr, nur klimaneutral zu sein. Es bedarf menschlicher Hilfe, um das in die Atmosphäre geblasene CO2 zurückzuholen, und genau hier ergibt sich eine einzigartige Chance in Form einer systemischen Umstellung oder Ko-transformation von gebauter Umwelt und globalen Wäldern. Durch Schutz, Regeneration und Ausweitung der globalen Wälder und anderer biobasierter Materialien können die zur Hälfte verlorene terrestrische Biomasse wieder vermehrt und große Mengen an Kohlenstoff aus der Atmosphäre zurückgeholt werden, während gleichzeitig neue Entwicklungschancen für eine vom neoliberalen Wirtschaftssystem weitgehend abgekoppelte ländliche Bevölkerung entstehen. Ein Teil der neu gewonnenen CO2-speichernden Biomasse kann nun, anstatt im Wald zu verrotten und somit wieder CO2 freizusetzen, zu einem klimapositiven Ersatz für energie- und emissionsintensive Materialien wie Stahl und Beton werden. Diese biobasierten Materialien – beispielsweise Holz, Bambus und landwirtschaftliche Abfallprodukte – können als „regenerativ“ bezeichnet werden, da sie die CO2-Emissionen konventioneller Bauweisen nicht nur massiv reduzieren, sondern Gebäude und menschliche Siedlungen von Klimasündern in dauerhafte urbane Kohlenstoffsenken und Klimaheiler verwandeln.(3) Klimarettung wäre eigentlich einfach: Wenn wir weltweit 50 Milliarden Bäume pflanzen und nachhaltig pflegen würden, entstünde zusätzliche Biomasse, die in etwa zwei Milliarden Behausungen dauerhaft gelagert werden könnte, inklusive dem gespeicherten CO2. Die Folge dieser „Waldbaupumpe“ (Hans J. Schellnhuber) wäre eine globale Klimarestauration.

Dieser einfachen Formel stehen selbst­verständlich unendlich viele Hindernisse und Pfadabhängigkeiten im Weg. Man sollte es dennoch versuchen, auch wenn die Chancen der Umsetzung nicht gerade positiv stehen. Der erforderliche Transformationsprozess bedeutet eine beispiellose, konzertierte Kraftanstrengung. Essenziell ist, dass die Länder des globalen Nordens, die größtenteils für die Klimakrise verantwortlich sind, und die Länder des globalen Südens, die sich eigentlich nicht für den Klimawandel verantwortlich fühlen und in denen der Großteil der Bautätigkeit in naher Zukunft stattfinden dürfte, eng miteinander kooperieren. Der Umbau der gebauten Umwelt in eine künstliche CO2-Senke ist nicht nur unser größter Hebel zur Bewältigung der globalen Klimakrise, sondern bietet uns auch die Möglichkeit, unsere gebaute Umwelt umzustrukturieren und neu zu gestalten, um schönere und lebenswertere Wohnungen und öffentliche Räume in Städten zu schaffen, die gerecht verteilt sind. Durch die Modernisierung und Nachrüstung des Gebäudebestands und die Minimierung der Bautätigkeit gibt es die einmalige Chance, Gebäude und Städte so umzugestalten, dass die Beziehung zur Natur wieder ins Gleichgewicht kommt.

Foto: Vinay Darekar

Das „Bauhaus Erde“ wurde von dem Klimawissenschaftler Hans J. Schellnhuber als globaler interdisziplinärer Think-and-Do-Tank gegründet, um eine radikale Transformation der gebauten Umwelt hin zu einer regenerativen Zukunft zu fördern. Mit Sitz in Potsdam und Berlin bezieht sich das Bauhaus Erde auf die berühmte historische Schule, die vor etwa einem Jahrhundert versuchte, die Chancen der Industrialisierung zu nutzen, um weltweit bessere Wohnungen und Städte zu bauen. Heute, im Kontext der planetarischen Krise, brauchen wir wieder eine transdisziplinäre Anstrengung, die führende Denkerinnen, Designer und politische Entscheidungsträgerinnen aus der ganzen Welt zusammenbringt, um eine neue Vision sowie Aktionspläne für einen systemischen Wandel zu formulieren. Ermöglicht wurde der Start dabei von der Laudes Stiftung. Seit Januar wird die Initiative durch das Land Brandenburg gefördert und auch auf Bundesebene wurden Mittel im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz BMUV bereitgestellt.

Was kann die heute noch kleine gemeinnützige Organisation konkret beitragen? Zunächst zum Think-Tank: Unser interdisziplinäres Team befasst sich mit Wissenslücken in der bestehenden Forschung und Politik und identifiziert Ansatzpunkte, um die Umgestaltung des Bausektors auf die globale Agenda zu setzen. Extrem wichtig, um private und öffentliche Investitionen für diesen Umbau zu mobilisieren, ist eine datengestützte Beweisführung, die aufzeigt, dass eine weitreichende Umstellung des Bausektors auf regenerative Baustoffe funktionieren würde. So ist eine globale Potenzialanalyse geplant, als systematischer Abgleich potenzieller Bedarfe und realistischer Angebote an biobasierten Materialien: Das Projekt wird die Machbarkeit der Transformation der gebauten Umwelt hin zu regionalen, biobasierten Kreislaufwirtschaften bewerten und in regional-spezifische Transformationsszenarien und Politikempfehlungen (Road Maps) anwenden. Hierfür sind Kooperationen mit weltweit führenden Wissenschaftsinstitutionen wie dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung geplant.

Agbogbloshie Makerspace Platform (AMP): eine Plattform des Recyclings, Machens, Teilens und Handelns neben der namensgebenden Elektromülldeponie in Accra, Ghana, Foto: AMP (via Flickr / CC BY-SA 2.0)

Wesentlich ist allerdings auch die konkrete Arbeit an Umsetzungen und Demonstratoren, die sichtbar und greifbar neue Wege des Bauens aufzeigen. Hierfür gründen wir Labs als gemeinschaftliche Räume für Experimente, Design und Implementierung. Unser eigenes Lab wird derzeit im Berliner Marienpark, einem ehemaligen Gaswerk, aufgebaut und soll uns ermöglichen, Prototypen von Bauelementen und 1:1-Modelle zu testen und dabei mit Bauträgern, Kommunen sowie Architektinnen und Architekten zu kooperieren. Dabei soll unser Lab Teil eines globalen Netzwerks werden – wir sehen uns als Teil einer immer größer werdenden Gruppe von Experimentierenden in unterschiedlichsten geografischen Regionen der Welt. Wir alle teilen die Auffassung: Eine Wald-Bau-Wende kann nur gelingen, wenn über die reine Forschung hinaus gezeigt wird, was in der realen Welt jetzt schon möglich ist. Um dieses Netzwerk aufzubauen, soll die „Global Regenerative Building Challenge“ gestartet werden, die Bauherren, Designerinnen und Designer sowie Forschende aus der ganzen Welt auffordert, regenerative Designlösungen zu entwickeln. Es geht darum, die Vielfalt bestehender Ansätze zu entdecken und regenerative Gebäudelösungen aus allen Kontinenten zu fördern, um zu zeigen, dass Gebäude klimaschonend sein können. Gleichzeitig sollen auf diese Weise konkrete Changemaker über Klimazonen, Landesgrenzen, sektorale Silos, Sprachen und Kulturen hinweg vernetzt und ihre Ideen von Entwicklung, Erprobung und Umsetzung gefördert werden – und zwar so, dass die Ideen replizierbar, wirtschaftlich und auch skalierbar werden. Die Beiträge können von spezifischen ökosystemischen und sozialen Analysen über architektonische Entwurfsprozesse bis hin zu vollständig ausgeführten Bauprojekten innerhalb der vom „Bauhaus Erde“ festgelegten regenerativen Kriterien reichen. Es werden Bewerberinnen und Bewerber aus den Bereichen Logistik, Bau-Lieferketten, Ökologie, Architektur, Design, Bauwesen, Gebäudeentwicklung, Umweltmanagement oder Politikgestaltung erwartet.

Die Ergebnisse unserer Forschung und experimentellen Praxis fließen in transdisziplinäre Lehr- und Schulungsformate für Entscheidungsträger, Praktikerinnen und Akteure der Zivilgesellschaft ein und befähigen sie so zu agilen und kreativen Teilhabenden des Wandels in der gebauten Umwelt zu werden, systemisch zu denken, Kreativität zu mobilisieren und administrative Silos und bürokratische Hierarchien zu überwinden. Dafür braucht es neue Ansätze für das Lernen und den Aufbau von Kapazitäten innerhalb und außerhalb bestehender Bildungseinrichtungen und über geografische Grenzen hinweg. Der Zugang zu Wissen und die Vernetzung von Menschen über Disziplinen und lokal spezifische Kontexte hinweg können den Transfer und die Anpassung von Ideen, Instrumenten und Ansätzen fördern.

Arbeit mit indonesischer Dorfbevölkerung an der nachhaltigen Nutzung von Bambus für Bauten und Designobjekte: Environmental Bamboo Foundation (EBF), Partnerprojekt des „Bauhaus Erde“, Foto: EBF

Zum Abschluss noch ein konkretes Beispiel für die Kraft eines globalen Netzwerks. Im Frühjahr dieses Jahres initiierte das „Bauhaus Erde“ einen gemeinschaftlichen Diskussionsprozess, an dem Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft, Architektur, Raumplanung und Politik aus der ganzen Welt beteiligt waren. Es ging darum, ob und wie eine gemeinsame globale Vision für eine regenerative gebaute Umwelt formuliert werden kann. Das Ergebnis ist die „Charta für die Stadt und die Erde“(4) die anlässlich der Konferenz „Reconstructing the Future“ vom „Bauhaus Erde“ am 9. Juni 2022 in der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften im Vatikan vorgestellt und schon von zahlreichen internationalen Vordenkerinnen, Praktikern und politischen Entscheidungsträgerinnen unterzeichnet wurde. Die als „lebendes Dokument“ konzipierte Charta soll regelmäßig aktualisiert werden und als Aufforderung an die globale Gemeinschaft dienen, ihre Kräfte zu bündeln und gleichzeitig die notwendigen finanziellen Ressourcen zu mobilisieren, um konzeptionelle Ideen in konkrete und wirksame Maßnahmen umzusetzen.

Prof. Dr. Philipp Misselwitz ist Architekt und Stadtforscher. Seit 2021 leitet er als Co-Geschäftsführer das Bauhaus Erde, eine gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, die Transformation zu einer regenerativen gebauten Umwelt zu befördern. Seit 2013 leitet er das Fachgebiet für Internationale Urbanistik und Entwerfen – Habitat Unit an der TU Berlin und war bis 2021 geschäftsführender Direktor des Instituts für Architektur. Seit 2017 ist er Visiting Professor an der Universität von Witwatersrand Johannesburg, Südafrika.

Fußnoten

1 Europäisches Parlament (2020): Abfallwirtschaft in der EU. Zahlen und Fakten.

2 WBGU – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2016): Der Umzug der Menschheit. Die transformative Kraft der Städte, Berlin.

3 Churkina G / Organschi A / Reyer CPO et al. (2020): Buildings as a global carbon sink, in: Nature Sustainability 3, S. 269 – 276.

4 www.bauhauserde.org/initiatives/re-entanglement

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