Buch der Woche: Durch Manhattan

Die Stadt als Wundertüte

Kaum eine Stadt ist so mit Klischees überfrachtet wie New York. Die meisten Menschen in der westlichen Welt meinen, ein gewisses Bild der US-amerikanischen Metropole vor Augen zu haben. New York war Hintergrund von so vielen Filmen, Musikvideos und historischen Ereignissen, so dass wir mindestens eine Idee von „Big Apple“ im Kopf haben. Ob das Woody Allens „Stadtneurotiker“ oder „Manhattan“ sind, Coppolas „Der Pate“-Filme, Science-Fiction-Pop-Corn-Movies wie „Independence Day“, „Cloverfield“ oder „Krieg der Welten“, oder aber die unzähligen Musikvideos von Nas, Jay-Z, Alicia Keys, Black Star, den Beastie Boys und vielen anderen mehr – New York ist immer mit im Bild. Dazu kommen Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben: von Hochhäusern, die von Flugzeugen getroffen einstürzen, von Reden vor der UN-Vollversammlung, von die Stadt okkupierenden Protestierenden, von erstochenen und erschossenen Pop- und Rap-Stars. Wolkenkratzern, Bahnhofshallen im Streiflicht, Straßenzügen mit Fassaden voller Feuerleitern, die Freiheitsstatue, Wall-Street, Central-Park, U-Bahn und Graffiti. All das kulminiert in Manhattan und man meint, es zu kennen – auch wenn man selbst noch gar nie dort war.

Dass es zwischen all dem vermeintlich Bekannten dennoch Neues zu entdecken gibt, beweist das Buch „Durch Manhattan“ von Leanne Shapton und Niklas Maak. Shapton, 1973 in Toronto geboren, lebt und arbeitet als Autorin, Publizistin und Künstlerin in New York, Maak ist Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Autor und Architekturkritiker – unter anderem mit dem BDA-Preis für Architekturkritik 2015 ausgezeichnet – und kennt die Stadt durch viele Besuche. Für das nun vorliegende, 220 Seiten dicke Buch haben sich Maak und Shapton an der Südspitze Manhattans am Staten Island Ferry Terminal getroffen und auf einer Karte eine Linie längs über die Insel gezogen, bis in den Norden, wo der Inwood Hill Park die Mündung des Harlem River in den Hudson markiert.

Dieser Linie folgend lassen sich die beiden durch die Stadt treiben und halten ihre Beobachtungen fest. Niklas Maak in Texten, Leanne Shapton in Bildern. Maak gelingt es, das bekannte New York in zweierlei Hinsicht anzureichern. Zum einen, in dem er bekannte Geschichten von noch bekannteren Menschen wie Donald Trump, Barbara Hutton, Carl G. Fisher oder Michael Bloomberg erzählt. Zum anderen, in dem er diese ergänzt um Erzählungen und Anekdoten von Personen, die er trifft. Manche davon kennt man, wie Christian Kracht und Karl Ove Knausgard, andere nicht. Sie sind Passanten, Bewohner, die einfach da sind und ihren täglichen Verrichtungen nachgehen. Maak schildert, was er beobachtet, vermutet und spekuliert. Das alles reichert er an um Fakten zu Architekten, Gestaltern, Bauherren, Auftraggebern und interessantem oder einfach nur skurrilem Hintergrundwissen. Diese städtische Wundertüte schließlich wird ganz wunderbar illustriert von den Aquarellen Leanne Shaptons, durchgehend schwarz, hier und da aber von einem leuchtenden Orange betont werden.

Dieses Orange ist dann auch – neben den Tönen des Papiers und des Umschlags – die einzige Farbe im Buch. Auch Kapital- und Leseband sind in diesem Orange gehalten. Überhaupt die Handwerklichkeit: Analog zur gestreckten Form der Insel Manhattan ist das Buch in einem schmal stehenden Format gefügt, was vom zweispaltigen und fein gesetzten Layout im Innern noch einmal unterstützt wird. Hinzu kommt eine ausfaltbare, schmale Übersichtskarte. Sie ist – anders als bei vielen Reiseführern, bei denen selbst der Tisch im Café oft nicht ausreicht, um sie aus zu falten – genau im richtigen Maß gehalten. So lassen sich auch beim Lesen in der Bahn die Positionen im Stadtgefüge verorten, die Karte schnell und problemlos ein- und ausfalten.

Die oft anekdotenhaften Beobachtungen von Niklas Maak kann man dabei portionsweise in kleinen Häppchen oder an einem Stück leicht und verständlich lesen, die Illustrationen von Leanne Shapton sind eine unausgesprochene Einladung, eine eigene Assoziationskette anzulegen. So gelingt es dem Buch, nicht einfach nur ein weiteres Mal ein Klischee von New York zu bedienen, sondern den Reiz, den die Stadt bis heute und trotz all ihrer Veränderungen für viele hat, zu erläutern und um viele Details zu bereichern.

David Kasparek

Niklas Maak/Leanne Shapton: Durch Manhattan, 224 S., zahlr. Illustrationen, fester Einband, Hanser Verlag, München 2017, 25, Euro, ISBN 978-3-446-25666-8

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